Die Debatte rund um Getränkegebinde spitzt sich zu, erste Unternehmen fordern öffentlich eine Erhöhung des Mehrwegpfands. Zudem müssen sich die Hersteller alkoholfreier Getränke um gesündere Rezepturen und eine klare Lebensmittelkennzeichnung kümmern. Getränke News fragte Dr. Detlef Groß, Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke (wafg), was 2020 auf die Branche zukommt.
Getränke News: Es ist offenkundig, dass die Politik ein weiteres Absinken der Mehrwegquote nicht tolerieren wird. Zugleich steht PET unter Pauschalkritik. Welche politische Entwicklung erwarten Sie im kommenden Jahr 2020 und wie stellen sich Ihr Verband und seine Mitglieder darauf ein?
Groß: Die öffentliche Diskussion und die Fakten passen nicht immer zusammen. Denn mit Blick auf die reale Situation ist die Getränke-Industrie in Deutschland gleichermaßen bei Mehrweg und Einweg tatsächlich Vorreiter für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft. Diese etablierten Systeme mit hohen und nahezu umfassenden Rücklaufquoten stehen bei Mehrweg für die Wiederbefüllung von Gebinden bzw. bei Einweg für funktionierendes Recycling.
Es bleibt unsere gemeinsame Aufgabe in der Getränkewirtschaft, diese Vorreiterrolle noch deutlicher in das Bewusstsein von Verbraucherinnen und Verbrauchern und auch von Teilen der Politik und der Medien zu bringen. Gerade deshalb lehnen wir politisch motivierte Markteingriffe ab – bei denen natürlich zudem stets zu fragen wäre, auf welcher sachlichen und rechtlichen Grundlage diese überhaupt zulässig wären. Hinzu kommt: Wir sehen hier deutliche Risiken für disruptive Entwicklungen. Dass auch mit Blick auf die erwarteten Ziele sogar kontraproduktive Ergebnisse und Marktverwerfungen drohen, ist ein realistisches Szenario.
Getränke News: Durch die Zunahme von Einweggebinden und im Mehrwegsegment die Zunahme von Individualflaschen gerät Mehrweg tatsächlich zunehmend unter Druck. Hält Ihre Branche weiter an dem System fest? Wie könnte ein sinnvoller Gebindemix zukünftig aussehen?
Groß: Mehrweg hatte und hat bei (alkoholfreien) Getränken in Deutschland eine hohe Marktbedeutung – und wird diese weiter behalten. Dabei gibt es aus unserer Sicht nicht „das“ (eine) Mehrweg-System in Deutschland. Vielmehr gibt es bei Mehrweg unterschiedliche Bereiche und Umsetzungen, durchaus auch noch nach Branchen differenziert. Dass viele Unternehmen der Branche zunehmend in Mehrweg investieren, spricht aus unserer Sicht eindeutig für die Stabilität der Mehrweg-Systeme. Derzeit stärken die von Ihnen angesprochenen Entwicklungen im Übrigen den Mehrweganteil, vor allem bei Glas.
Wir sind zuversichtlich, dass gleichermaßen die seit vielen Jahren und zum Teil bereits seit Jahrzehnten erfolgreich etablierten Systeme, z.B. bei alkoholfreien Getränken das Angebot der Genossenschaft Deutscher Brunnen (GDB) oder durch Logicycle, wie auch konkret die unternehmensbezogenen Angebote weiterhin eine relevante und wichtige Rolle spielen. Im Übrigen zum Gebindemix: Hier sind die Verbraucherinnen und Verbraucher die letztlich maßgebliche Instanz – und wir sehen in der heutigen Vielfalt von Gebinden durchaus schon jetzt ein vor diesem Hintergrund mit Blick auf die unterschiedlichen Konsumsituationen adäquates Angebot.
Getränke News: Mit Rhodius hat kürzlich erstmals ein Mineralbrunnen das Pfand auf seine Individualgebinde deutlich erhöht. Wird eine solche Maßnahme auch in Ihrem Verband diskutiert? Mit welcher Tendenz?
Groß: Als Verband kommentieren wir unternehmensbezogene Entwicklungen als solche nicht. Aber unsere Antwort auf die grundsätzliche Frage ist eindeutig: Wir halten eine ausufernde Individualisierung von Pfandsätzen weder für verbraucherfreundlich noch sinnvoll. Für den Handel und Fachhandel sowie für die betroffenen Hersteller ergeben sich zahlreiche praktische und wirtschaftliche Herausforderungen bei der Umsetzung. Und das gilt umso mehr, wenn es sich nicht um die Neueinführung einer Individualflasche, sondern um übergreifend genutzte Gebinde handelt.
Fakt ist auch: Die Rücklaufquoten betragen bei den unterschiedlich bepfandeten Gebinden durchgängig über 95 Prozent. Dies gilt bei Mehrweg für Gebinde mit Pfandsätzen von 15 Cent bei Erfrischungsgetränken und Wässern ebenso wie für die mit 25 Cent bepfandeten Einweg-Gebinde. Die Konsumenten in Deutschland sind also mit der Rückgabe bepfandeter Gebinde vertraut – unabhängig von der einzelnen Pfandhöhe. Daher erscheint uns bereits im Ausgangspunkt fraglich, ob höhere Pfandsätze das Rückgabeverhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher effektiv verbessern würden.
Vor allem gilt es zu beachten, dass die praktischen und wirtschaftlichen Auswirkungen von Pfandänderungen bzw. -erhöhungen übergreifend in der Getränkewirtschaft mit Herstellern und verschiedenen Handelsstufen unbestritten komplex sind. Für die Unternehmen der Branche bleibt zudem von grundlegender Bedeutung, dass die etablierten Systeme nicht durch unüberlegte Eingriffe beeinträchtigt werden.
Getränke News: Bundesernährungsministerin Julia Klöckner will den Nutri-Score zur Nährwertkennzeichnung in Deutschland einführen. Wie stehen Sie zu der so genannten „Lebensmittel-Ampel“?
Groß: Bundesministerin Klöckner hat – nachdem auf europäischer Ebene trotz entsprechender Ankündigungen keine entsprechenden Untersuchungen bzw. Konzepte vorgelegt wurden – sich dazu entschieden, kurzfristig die rechtlichen Vorgaben für eine freiwillige Nutzung der in Frankreich entwickelten und markenrechtlich geschützten Nutri-Score-Logos zu schaffen. Dazu hat das Ministerium vorab eine Verbraucherbefragung vorgenommen, bei der Nutri-Score sich gegen die drei Wettbewerber deutlich durchgesetzt hat.
Nun ließe sich bereits sehr lange über die Begrifflichkeiten philosophieren, etwa ob Nutri-Score wirklich eine Ampelkennzeichnung ist – gerade mit Blick auf die britische Lebensmittel-Ampel. Aber unbestritten ist: Nutri-Score verdichtet mit der farblich hinterlegten Bewertungsskala eine Information über bestimmte nährwertbezogene Faktoren, die in Algorithmen hinterlegt sind. Die Erwartungen an diese Kennzeichnung sind groß. So sollen Verbraucherinnen und Verbraucher schnellen Zugriff auf die maßgeblichen Ernährungseigenschaften verschiedener Produkte erhalten, vor allem auch innerhalb der Kategorien.
Getränke News: Und das funktioniert auch bei Getränken?
Das Modell soll Anreiz zur Kalorienreduzierung bzw. gewünschten Reformulierung bei Produkten sein. Gerade mit Blick auf Getränke ergeben sich aus unserer Sicht aber weiterhin offene Fragen, zumal der Nutri-Score in seiner derzeitigen Ausgestaltung bei Getränken gerade nicht die erwünschten Anreizwirkungen zur Reformulierung setzt. Ein Beispiel: Warum nur „reine“ Wässer (ohne jeden Zusatz) ein „A“ erhalten können, erschließt sich mit Blick auf ernährungsphysiologische Aspekte nicht wirklich, denn warum sollen beispielsweise Wässer mit Aroma oder Mineralstoffen (und ohne Kalorien) nicht dieser Kategorie zugeordnet sein?
Auch gibt es rechtlich weiterhin Fragen mit Blick auf die kohärente Abstimmung mit den geltenden rechtlichen Vorgaben zu den nährwertbezogenen Angaben in der Health-Claims-Verordnung. Auch hier obliegt die Entscheidung über die Einführung – sobald die rechtlichen Voraussetzungen auf nationaler Ebene vermutlich zum Frühjahr bzw. zur Mitte des Jahres geschaffen worden sind – jedem Unternehmen.
Getränke News: Um die „Nationale Reduktionsstrategie“ ist es in den letzten Monaten etwas ruhig geworden. Dabei drängt die Zeit: Bis 2025 soll der Kaloriengehalt von Erfrischungsgetränken gegenüber 2015 um 15 Prozent reduziert werden. Halten Sie dieses Ziel für erreichbar? Durch welche Maßnahmen?
Groß: Das eine ist die öffentliche Wahrnehmung, das andere die tatsächliche Arbeit. Die Unternehmen arbeiten derzeit mit Nachdruck daran, Rezepturen zu verändern und neue Konzepte und Produkte auf dem Markt zu etablieren. Was ganz wichtig ist: In den letzten Monaten haben weitere Branchenverbände aus der Getränkewirtschaft für ihre Bereiche eigene Zielvereinbarungen vorgelegt, die sich maßgeblich an unserem Branchenbeitrag orientieren. Damit unterstreicht die gesamte Branche ihre Bereitschaft, sich aktiv an sachgerechten Lösungen zu beteiligen.
Wir haben unseren ambitionierten Branchenbeitrag so aufgestellt, dass wir einerseits um die Herausforderungen wissen, aber auch die Machbarkeit nicht aus den Augen verlieren. Eine Kalorienreduktion in Höhe von 15 Prozent im Zeitraum 2015 bis 2025 ist ein nachhaltiger und signifikanter – aber eben auch ein realistischer Beitrag. Welche Maßnahmen ein Unternehmen hierfür jeweils wählt, ist unterschiedlich. Zu den verschiedenen Elementen zählen etwa Produktinnovationen und die Reformulierung bestehender Rezepturen, verstärkte Werbung für Getränke ohne oder mit weniger Kalorien, sowie das Angebot kleinerer Packungsgrößen für den Einzelverzehr. Wir haben dies in den begleitenden Unterlagen, die über unsere Homepage abrufbar sind, sehr transparent erläutert.