Getränkelieferdienste werden weiter zulegen. Doch nicht die großen Player wie Flaschenpost oder Durstexpress werden das Geschäft verändern, sondern die Verbraucher. Davon ist Peter Alexander von der Marwitz überzeugt. Er betreibt seit 2001 mit Blue Getränkehandel einen Lieferdienst in Hamburg. Im Interview mit Getränke News erläutert von der Marwitz, wie Corona das Liefergeschäft beeinflusst.
Getränke News: Inwieweit hat sich der Lockdown auf Ihr Geschäft ausgewirkt?
von der Marwitz: Während des Lockdowns hatten viele gastronomieorientierte Getränkefachgroßhändler ihre Lieferfrequenz heruntergefahren und oft nicht das komplette Sortiment vorrätig. Auch ich musste Teile meiner Handelsware bei Selgros kaufen. Das Leergut habe ich später aber bei meinem Fachgroßhändler zurückgegeben. Da sein Geschäft jedoch im Shutdown-Modus war, ging das Leergut deutlich später als sonst wieder zum Hersteller zurück, der Leergutmangel wurde also verstärkt.
Getränke News: Und die Umsätze? Sind die seit Corona gestiegen?
von der Marwitz: Nicht wesentlich. Vor der Pandemie haben wir ein Büro mit 20 Kisten beliefert und nun beliefern wir, weil viele im Homeoffice sind, 20 Wohnungen mit je einer Kiste. Es gibt aufgrund der geschlossenen Gastronomie zusätzliche Bestellungen, unser Umsatz hat sich jedoch nicht wesentlich verändert. Die fehlenden Umsätze von Theatern, Gastronomien, Caterern und Kantinen haben sich verlagert in den privaten Bereich. Pflegeheime, Altenheime, Krankenhäuser und Kindergärten bestellen wie gewohnt. Positiv für uns: Wir haben viele neue private Kunden gewonnen. Erstaunlicherweise auch viele Kunden von Durstexpress und Flaschenpost. Ob nachhaltig, wird sich zeigen.
Getränke News: Oetker hat gerade den Lieferdienst Flaschenpost gekauft. Als Kaufpreis wird eine Milliarde Euro kolportiert. Ihre Einschätzung?
von der Marwitz: Ich denke, Oetker hat deutlich weniger gezahlt. Ich gehe sogar von weniger als der Hälfte aus und schätze 400 Millionen Euro. Wenn ich mir die Zahlen von Flaschenpost anschaue, kommen erst recht Zweifel auf. Die veröffentlichen auf ihrer Webseite 2 Millionen Aufträge pro Jahr mit 23 Standorten. Das macht bei 250 Arbeitstagen pro Standort rund 350 Aufträge pro Tag. Sie geben weiter an, sie würden 100.000 Kisten pro Tag ausliefern, was rund 4.350 Kisten pro Standort und Tag wären. Das wären über 12 Kisten je Auftrag der überwiegend privaten Kunden. Ich halte diese Zahlen für absurd.
Getränke News: Inwieweit könnte Oetker das Liefergeschäft verändern?
von der Marwitz: Oetker wird nicht das Liefergeschäft verändern, sondern die Verbraucher werden das tun. Sie wollen in Zukunft klimafreundliche Dienstleistung, ökologisch und nachhaltig mit Mehrweg-Artikeln. Ich bin überzeugt, Oetker wird sich beim Lieferdienst in diesem Sinne aufstellen, vollkommen anders als derzeit mit diesem Just-in-Time-Service. Es wird künftig deutlich weniger kleine Lieferdienste geben.
Getränke News: Wie viel Potenzial steckt im Geschäftsmodell Getränkelieferdienst?
von der Marwitz: Der Online-Handel wächst seit Jahren, auch in der Getränkebranche. Die Pandemie hat diese Entwicklung nun noch einmal verstärkt. Ein Grund für den Erfolg: Der Lieferdienst hat den persönlichen Kontakt zum Kunden, kennt genau dessen Bedürfnisse und kann darauf eingehen und reagieren. Ein Vorteil, den die anderen Vertriebsschienen nicht in diesem Maße haben. Hinzu kommt, dass Lieferdienste Artikel im Sortiment haben, die der Lebensmittelhandel nicht anbietet.
Unsere Gesellschaft wird sich massiv verändern, der langsamen Politik steht eine temporeiche Wirtschaft und Medienlandschaft gegenüber. Getränkelieferdienste werden gewinnen, zumindest in den Ballungsräumen. Zukünftig weniger Fahrzeuge im Privatbesitz führen eben zu mehr „liefern lassen“.
Getränke News: Wer hat künftig die Nase vorn? Wie planen Sie?
von der Marwitz: Entscheidend wird auch sein, ob für alle der gleiche Marktzugang erhalten bleibt und es der Politik gelingt, die gesetzlichen Regeln schnell genug anzupassen. Derzeit kann man dies bezweifeln. Das Kartellamt klagt gegen Amazon wegen vermeintlichem Missbrauch einer „Datenmacht“ und erlaubt gleichzeitig anderen Konzernen wie Dr. Oetker, genau die gleiche Datenmacht aufzubauen.
Planen fällt extrem schwer, da sich die Welt, in der wir leben, extrem rasant wandelt. Mit sprachgesteuerten Shops wird beim Getränkelieferdienst die nächste Stufe gezündet. Ich versuche, hier weiter mitzuhalten und geschäftlich weiterhin die Brücke zu den Kunden zu sein, die persönliche Beratung und Service brauchen. Und zwar in dem Maße, den die großen Lieferdienste nicht leisten können oder wollen.