Die Spirituosenbranche steht massiv unter Druck, viele Unternehmen werden angesichts des schwierigen Marktumfelds in den nächsten Jahren aufgeben müssen. In einer aktuellen Studie zeigt die Unternehmensberatung Dr. Wieselhuber & Partner auf, wie Hersteller sich positionieren müssen, um langfristig eine Zukunft zu haben. Getränke News sprach mit Johan ten Doornkaat Koolman über eine Branche in schwerem Fahrwasser.
Getränke News: Sie sagen in Ihrer Studie, die Spirituosenbranche sei „in der Askese des frühen 21. Jahrhunderts ein Relikt vergangener Zeiten“ und befinde sich „in der letzten Phase ihres Lebenszyklus“. Eine ziemliche Zuspitzung! Ist die Branche noch zu retten?
Doornkaat: Definitiv. Ich plädiere für einen Turnaround, damit der kulturelle und wirtschaftliche Einfluss des einst so relevanten Geschäfts eben nicht von einer unvorteilhaften Zukunft überholt wird. Dafür muss die Branche aber ihre Karten richtig spielen und sich vor allem verändern. Mit „Lebenszyklus“ meine ich die gesamte Historie, seit es Spirituosen gibt, es geht mir nicht um ein, zwei Jahre. Unternehmer müssen durchaus darüber nachdenken, ob ihr Geschäft noch enkelfähig ist, und sich besser auf die Zukunft vorbereiten.
Getränke News: 86 Prozent der von Ihnen befragten Manager aus der Spirituosenbranche betrachten den Megatrend zu einer gesunden Lebensweise als eines der größten Probleme für die Branche. Wo sehen Sie Auswege?
Doornkaat: Obwohl die meisten Manager ein klares Bewusstsein für die Problematik haben, herrscht großenteils Inaktivität. Das liegt vermutlich daran, dass viele erfolgreiche Akteure Nischen gefunden haben, die trotz des Megatrends zumindest kurz- bis mittelfristig relativ sicher sind. Vereinzelt investieren Unternehmen in alkoholfreie Alternativen, um früh einen Fuß in die Tür zu kriegen, aber das Thema ist zurzeit noch sehr klein und wird es auch noch lange bleiben.
Alkoholfreie Angebote werden aber nie für sich alleinstehen, sondern immer im Kontext einer Welt, in der Alkohol getrunken wird. Menschen, die – aus welchen Gründen auch immer – keinen Alkohol trinken, gibt es die Möglichkeit, trotzdem mit dabei zu sein. Da wird der Bedarf auch noch wachsen. Längerfristig geht daher kein Weg an ihnen vorbei! Gleichzeitig bin ich mir sicher, dass es auch für „harten Alkohol“ eine Zukunft gibt.
Getränke News: Alkoholfreie Produkte kommen meist von jungen, modernen Start-ups oder von den internationalen Big Playern. Von den alteingesessenen deutschen Unternehmen eher nicht – oder täuscht der Eindruck?
Doornkaat: Das stimmt. Die heimischen Traditionsunternehmen wollen das eher nicht. Da heißt es „wir sind Brennmeister, Destillateure“, man beobachtet eine Anti-Haltung. Anscheinend sind der Druck, sich zu verändern, und die Chancen alkoholfreier Alternativen noch nicht groß genug.
Getränke News: Ist Premiumisierung – Stichwort Klasse statt Masse – auch in der Zukunft eine Strategie, die trägt? Gerade in schwierigen Zeiten muss man sich das ja auch leisten können …
Doornkaat: Auf jeden Fall. Der Konsum verschiebt sich seit langem vom missbräuchlichen Gebrauch zum Genuss. Auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten geht das Grundbedürfnis nach Genuss nicht einfach weg. Sicherlich werden kleine, einfachere Genüsse zum mittleren Preis heute öfter zurückgestellt, aber zu besonderen Gelegenheit gönnt man sich dann doch etwas – und greift dann eher zu etwas Hochwertigerem.
Dadurch wird das Mittelpreissegment immer weiter aussterben, das Angebot verlagert sich ja schon lange in die Extreme. Wobei der Gesundheitstrend und ebenso die zunehmende staatliche Regulierung sehr große Risiken für den Massenmarkt darstellen. Für niedrigpreisige Spirituosen sehe ich keine rosige Zukunft.
Getränke News: Nun eignet sich aber nicht jede Spirituose fürs Premiumsegment, manche traditionsreichen Kategorien wie etwa Korn sind schon traditionell eher im niedrigen oder mittleren Preisbereich positioniert und kommen dort schwer weg.
Doornkaat: Das sehe ich anders. Jede Spirituose kann man in hervorragender Qualität herstellen, das muss man nur dem Markt verständlich machen. Das Wissen und die Kompetenzen in der Branche sind sehr gut, alle können auch hochwertig produzieren. Von daher sehe ich Premiumisierung in dieser Frage als einen von zwei großen Lichtblicken.
Getränke News: Und was ist der zweite?
Doornkaat: Die Branche kann den Gesundheitstrend auch als eine Gelegenheit sehen, sich zu revitalisieren: Historisch haben Spirituosen als Heilmittel angefangen; heute sehen wir wieder klare Chancen für funktionale Spirituosen wie Aperitifs und Magenbitter. Auch dieser Trend wird noch zunehmen, und es wird weitere Ideen geben. Da rechne ich fest mit der Innovationskraft der Industrie.
Getränke News: Längerfristig sorgen sich laut Ihrer Befragungen Manager über die Verstärkung staatlicher Regulierung rund um den Alkoholkonsum. Wie ist da Ihre Prognose?
Doornkaat: Eine unionsgeführte Regierung wäre beim Alkohol wohl eher liberaler als die jetzige. Der generelle Trend ist aber so oder so, dass die Legislative kein großer Freund der Industrie ist. In den zuständigen Ministerien sitzen nur noch einzelne Personen, die der Branche wohlgesonnen sind. Abgesehen davon geht viel Regulierung sowieso von der Europäischen Union aus.
Getränke News: Wie können Hersteller dem begegnen, gibt es da Ansätze?
Doornkaat: Da gibt es zwei Strömungen: Der Spirituosenverband BSI tritt selbstbewusst auf und hält in Sachen Regulierung dagegen. Meine Erfahrung aus Gesprächen mit der Branche ist, dass das Gros der Akteure von der Konfrontation als Lösung überzeugt ist. In meinen Interviews hat ein Brenner aus dem Münsterland das so formuliert: „Reichst du der Politik die Hand, nehmen sie gleich den ganzen Arm“.
Auf der anderen Seite stehen einige große, internationale Hersteller, die lieber auf Selbstverpflichtungen setzen. Sie wollen ihren eigenen Blue Print vorgeben, statt den Brüsseler Bürokraten die Entscheidung zu überlassen. Auch deshalb kam es Mitte 2023 zu der Gründung der neuen „Cocktailkultur-Gesellschaft“, die von dem BSI-Kurs abweichen will. Dass sie einfach ihr eigenes Ding machen, ist sicherlich kritikwürdig, inhaltlich würde ich aber Herstellern eher diesen Weg der Selbstverpflichtung empfehlen.
Getränke News: Aus welchem Grund?
Doornkaat: In der direkten Auseinandersetzung mit einer zunehmend ideologisch-antagonistisch geprägten Politik sollten Unternehmen zumindest darüber nachdenken, wo es sinnvoll ist, privatwirtschaftliche und profitable Lösungen für Regulierungen zu finden.
Getränke News: Laut Ihrer Studie ist für 70 Prozent Unternehmen eine (weitere) Internationalisierung zur Lösung ihrer Probleme ein wichtiges Thema. Wie weit sind Hersteller im DACH-Gebiet damit überhaupt schon?
Doornkaat: Außer Jägermeister und Underberg agieren die meisten nur national oder gar regional. Das ist eigentlich ein Trauerspiel, denn Deutschland ist ja, als die Exportnation, bekannt für Exzellenz in der Manufaktur hochwertiger Produkte. Wir sollten es doch schaffen, unsere wirklich großartigen Spirituosen auf ein Level mit Cognac oder schottischem Whisky zu heben! Beide haben Exportquoten von über 90 Prozent.
Getränke News: An welche Kategorien denken Sie da? Und welche Länder würden sich eignen?
Doornkaat: Eigentlich eignen sich alle Kategorien, solange die Marke interessant ist und glaubhaft die „Made-in-Germany-Story“ genutzt werden kann. Eine gute Strategie ist es, die Internationalisierung zunächst an kulturell und geografisch nahen Märkten wie dem Baltikum zu üben, um sich dann an attraktive Klassiker wie USA, Großbritannien oder Spanien zu wagen. Wer die Fähigkeiten und den Mut hat, findet interessante Gelegenheiten beispielsweise in Kanada, den Philippinen oder Südafrika.
Im Allgemeinen ist es besser, sich in einem moderat wachsenden Markt zu engagieren, von dem man Ahnung hat, als sich in einen Wachstumsmarkt zu stürzen, über den man nichts weiß. Die Mühe kann sich jedenfalls lohnen.
Getränke News: Warum hat das bislang bei so wenigen funktioniert?
Doornkaat: Oft fehlt der Mut oder auch schlichtweg das Know-how, zudem hat der Sektor auch viele Kleinunternehmen, die nicht genügend Mittel haben, um auf sich aufmerksam zu machen. Da müsste die Branche viel stärker zusammenarbeiten, mal gemeinsam Geld in die Hand nehmen und die deutsche Spirituose über ihre Interessenvertretung im Ausland stärker bekanntmachen und ihr so den Weg ebnen. Wenn das erst einmal angeschoben ist, kann das bald ein Selbstläufer werden.
Getränke News: Apropos „gemeinsam“: Sie attestieren der Spirituose eine „toxische Branchenkultur“. Was meinen Sie damit?
Doornkaat: Es gibt kaum ein Verständnis von Gemeinschaft – stattdessen findet man viel Feindseligkeit und Geheimniskrämerei. Anstatt in schwierigen Zeiten gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, bekämpft man sich gegenseitig. Warum tauscht man zum Beispiel keine Marktdaten aus, warum bündelt man nicht finanzielle Mittel, um etwa in Themen wie Social Media oder KI Know-how zu erwerben? Warum denkt man nicht über ein gemeinsames Marketing nach?
Moderne, wachstumsstarke Wirtschaftszweige engagieren sich in sogenannten wirtschaftlichen Ökosystemen, in denen unterschiedliche Parteien einander fördern – im Gleichgewicht aus Konkurrenz und Kooperation. Das können wir doch auch!
Getränke News: Sie bezeichnen die Spirituosenindustrie als eine stark unterkonsolidierte Branche. Wie kommen Sie zu der Einschätzung und welche Entwicklung erwarten Sie in den nächsten Jahren?
Doornkaat: In den nächsten Jahren werden viele Kleinbrennereien verschwinden, vor allem Obstbrenner in Süddeutschland. Ihre Anzahl hat sich in den letzten 20 Jahren schon auf 11.000 halbiert. Vieles deutet darauf hin, dass bis 2030 die Mehrheit nicht mehr existiert. Mengenmäßig sind das 99 Prozent der Marktteilnehmer, sie stehen aber nur für zwei Prozent des Volumens.
Damit bricht aber der Branche ein stark kulturprägender Zweig weg. Die Unternehmen haben viel Know-how, probieren viel aus, gelten als innovativ. Nicht selten ahmen größere Unternehmen deren Entwicklungen nach, wenn man etwa an deutschen Gin aus dem Schwarzwald oder Whisky aus Bayern denkt. In der Bevölkerung haben die Kleinbrenner ein positives Image und schaffen Bewusstsein für die Region.
Auch die Anzahl mittelständischer Betriebe nimmt ab, es gibt nur noch 40 Hersteller mit mehr als 20 Mitarbeitern. Auch da fehlt vielen der finanzielle Spielraum. Ein großes Problem ist durch den demografischen Wandel zudem oftmals die Nachfolge. Daher wird zwangsläufig in den nächsten fünf bis 15 Jahren eine nicht unbeträchtliche Zahl an Akteuren vom Markt verschwinden.
Getränke News: Gibt es noch einen Rat, den sie Unternehmen mitgeben möchten, die sich weiter am Markt behaupten wollen?
Doornkaat: Wenn sich Spirituosenhersteller nach neuen Betätigungsfeldern umsehen, sollten sie sich nicht als Teil der Getränkeindustrie begreifen. Vielmehr sind sie doch Genussmittelunternehmen. Für den Fall, dass in fernerer Zukunft gar kein Alkohol mehr getrunken wird, kann ich mir eher vorstellen, dass man Underberg raucht, als das man Underberg-Apfelsaft trinkt. Für solche Überlegungen muss man allerdings eine sehr langfristige Perspektive einnehmen.
Über die Studie
Ein äußerst schwieriges Marktumfeld zwingt Unternehmen der Spirituosenindustrie dringend zum Handeln, bei vielen lautet die Perspektive „Untergang oder Erneuerung“. Für die Studie „Von Branchenchampions lernen: Impulse für das Geschäft mit der Spirituose“ hat die Unternehmensberatung Dr. Wieselhuber & Partner 2023 bis 2024 persönliche Interviews mit 21 Top-Entscheidern verschiedener zukunftsorientierter Spirituosenunternehmen in der DACH-Region geführt, darunter Henkell Freixenet, Kirsch Import und die Sasse Feinbrennerei.
Unser Gesprächspartner
Johan ten Doornkaat Koolman ist Manager Business Performance Improvement bei der Dr. Wieselhuber & Partner GmbH (W&P). Seine Schwerpunkte liegen unter anderem in der Beratung von Familienunternehmen in den Bereichen Strategie, Organisationsentwicklung und Overhead-Effizienz, insbesondere im Kontext von Transaktionen. Doornkaat ist Master of Science sowie Bankkaufmann und ist Enkel des letzten Familieneigentümers der Doornkaat AG.
Dr. Wieselhuber & Partner (W&P) ist eine unabhängige, branchenübergreifende Management-Beratung für Familienunternehmen sowie für Sparten und Tochtergesellschaften von Konzernen unterschiedlicher Branchen. WP hat Standorte in München, Hamburg, Berlin, Stuttgart und Düsseldorf.