Die anfängliche Ruhe war trügerisch: In Frankfurt formiert sich erheblicher Widerstand gegen die Schließung der Binding Brauerei und den Verlust von 157 Arbeitsplätzen. Bei einer Demonstration, zu der die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) aufgerufen hatte, skandierten die Teilnehmer laute Forderungen zum Brauereierhalt. Mit Transparenten „Bier braucht Heimat“ und „Nein zur Schließung“ ließen Mitarbeiter und Sympathisanten ihrem Unmut über den Beschluss der Radeberger Gruppe freien Lauf.
„Eine solche extreme Maßnahme in Zeiten großer sozialer Krisen ist nicht nur maximal instinkt- und verantwortungslos, sondern wird auch auf unseren entschiedenen Widerstand treffen“, so Uwe Hildebrandt, Landesbezirksvorsitzender der NGG Südwest. Die Radeberger Gruppe habe die Entschlossenheit der Belegschaft wie auch den Willen der Bürger, weiterhin eine Brauerei im Stadtbild zu behalten, schlichtweg unterschätzt.
Blaupause: In Gotha ist Standortrettung geglückt
Tatsächlich soll nach Darstellung der Radeberger Geschäftsführung der Frankfurter Standort nach einer Spartenbetrachtung keine wirtschaftliche Zukunft mehr haben, da die Kapazitäten bei weitem nicht ausgelastet seien – ein Dilemma, das für die Gewerkschaftsseite nicht zählt. Für die Biersparte des Bielefelder Nahrungsmittelherstellers Dr. Oetker, zu der die Radeberger Gruppe und damit auch die Binding Brauerei gehören, kommt die zeitgleiche Bekanntgabe der Rettung der Oettinger Brauerei in Gotha damit zur Unzeit. Die Paulaner Brauerei hatte wenige Tage zuvor einen Kaufvertrag unterschrieben, um dem angekündigten Schließungsstandort im Herzen Thüringens eine neue Zukunft zu geben. Auch in Gotha war die NGG mit der Stadt und Politik im Vorfeld auf die Straße gegangen, um für den Erhalt zu kämpfen.
DGB: „Menschen wichtiger als Margen“
In Frankfurt herrscht nun Aufbruchsstimmung. „Die ganze Stadt steht hinter euch“, hatte der Frankfurter DGB-Chef Philipp Jacks den Demonstranten am Sachsenhäuser Berg zugerufen. Menschen seien wichtiger als die Margen. Das sieht die Geschäftsführung mit Guido Mockel und Christian Schütz freilich anders. Sie müssen angesichts dramatischer Mengenverluste in den letzten zwei Jahrzehnten um die Wirtschaftlichkeit am Sachsenhäuser Berg ringen.
Die einst großen Marken Binding und Henninger waren unter Oetker erst fusioniert und erlitten dann erhebliche Absatz- und Imageverluste. Von rund 2,9 Millionen Hektolitern Ausstoß zu Jahrtausendbeginn sind nicht mehr als 700.000 Hektoliter übriggeblieben. Nun beginnt ein neuer Kraftakt, von dem die Gewerkschafter hoffen, dass er nach der Blaupause von Gotha zum Guten gewendet werden kann. Die Aussichtschancen sind allerdings eher trüb. Seit der Wiedervereinigung wurden unter dem Dach des Bielefelder Nahrungsmittelherstellers immerhin neun Traditionsstandorte geschlossen, Rettungsversuche waren allerorts gescheitert.