Die Zeiten, als Wermut als billiger Fusel verrufen war, sind offenbar vorbei. Alte Markenikonen putzen sich heraus und neue Player treten in den Markt ein. Könnte Wermut gar dem Gin den Rang ablaufen?
Cocktails und Longdrinks werden immer beliebter, die Barszene wächst seit Jahren. Mit dem anhaltenden Trend geraten auch klassische Drink-Rezepte aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert wieder ins Visier der Nachtschwärmer. Und mit Negroni & Co feiert Wermut ein Revival, das vor kurzem noch kaum jemand für möglich gehalten hätte. „Wermut ist der neue Gin“, schwärmen nicht nur die Barkeeper, sondern längst auch viele Hersteller und Importeure.
Branchenkennern zufolge haben sich seit 2012 weltweit etwa 100 neue Marken gegründet. Die wenigsten davon kommen aus Deutschland – doch auch hierzulande wollen viele an dem Erfolg teilhaben. Nicht zuletzt Maximilian Wagner und Sebastian Brack, die – anfangs noch von vielen eher verwundert beobachtet – „Belsazar“ entwickelten. Wie interessant die Kategorie inzwischen ist, zeigt der Umstand, dass inzwischen Spirituosen-Gigant Diageo die Marke in sein Portfolio aufgenommen hat.
Dabei lassen die aktuellen Marktdaten den vermeintlichen Boom noch gar nicht erkennen. In den ersten zehn Monaten 2019 ging der Absatz im Handel (LEH gesamt inklusive Discount) laut IRI-Marktforschung sogar noch um 2,1 Prozent zurück. Durch leicht steigende Preise legte immerhin der Umsatz um 3,4 Prozent zu. 2018 erzielte das Segment einen Umsatz von gut 43 Millionen Euro bei einem Absatz von rund 9,5 Millionen Flaschen.
Premiumsegment wächst dynamisch
Zumindest mengenmäßig kann von „neuem Gin“ also noch lange nicht die Rede sein. Von dem Wacholderdestillat wurde im letzten Jahr fast doppelt so viel, nämlich 17,7 Millionen Flaschen, verkauft. Dass sich der neue Trend nicht auf den ersten Blick offenbart, liegt für Markus Hotze, Geschäftsführer von Eggers & Franke, auf der Hand: Das Wachstum zeige sich allein im Premiumbereich, während der Preiseinstieg und das mittlere Segment stagnierten oder gar rückläufig seien. In der gehobenen Kategorie sieht Hotze allerdings „eine gute und vielversprechende Dynamik“.
2019 übernahmen die Bremer deshalb die Marken des Hauses Carpano mit Antica Formula, Punt e Mes und der Carpano-Range. Das erste Feedback aus dem Markt sei „sehr positiv“, freut sich der Geschäftsführer. Er führt das wachsende Interesse an Wermut unter anderem auf den geringen Alkoholgehalt zurück, der gut zu den aktuellen Konsumtrends passe.
Bei Diageo sieht man als Erfolgsrezept zudem die Vielfalt an Geschmacksrichtungen an, die Wermut eigen ist. So bietet das Belsazar-Portfolio nicht nur die vier Sorten Red, Rosé, White und Dry, sondern dazu jeweils auch noch passende Mixrezepte wie Dry & Tonic oder Red & Ginger. Beide griffen „das Bedürfnis der Konsumenten nach geschmacklicher Vielfalt und aufregenden Kreationen“ auf, erklärt ein Unternehmenssprecher.
Regionale Zutaten sind starkes Argument
Zudem komme Belsazar wegen seiner regionalen Zutaten beim Publikum gut an: Trauben, Wein und Obstdestillate stammten aus Süd-Baden, produziert werde die Marke in Berlin. Laut den Nielsen Shopper Trends 2019 sei Regionalität für 55 Prozent der Verbraucher eine wichtige Eigenschaft.
Mit seiner heimischen Herkunft kann auch Ferdinand’s Wermut punkten, der seit Juli dieses Jahres von Borco-Marken-Import distribuiert wird. Hauptzutat sind Rieslingtrauben von Weinbergen der Saar, gewürzt wird Ferdinand’s mit Botanicals ebenfalls aus der Region. Die Marke habe die Erwartungen von Anfang an „mehr als erfüllt“, freut sich Borco-Geschäftsführerin Dr. Tina Ingwersen-Matthiesen.
Wer sich indessen stärker von der italienischen Aperitif-Kultur angezogen fühlt, findet seit Frühjahr auch die Klassiker von Gancia im Portfolio der Hamburger. Dass man beide Marken neu ins Sortiment integriert habe, zeige, „dass wir an die Stärke und den Erfolg der Kategorie in den nächsten Jahren fest glauben“, unterstreicht die Borco-Chefin.
Gute Produkte setzen Impulse
Von dem wachsenden Trend profitiert indessen auch ein weiterer Klassiker: Martini werde nach wie vor als „Markenikone“ angesehen und stehe beim Konsumenten für hohe Qualität. Laut Nielsen wachse die Marke aktuell um vier Prozent, resümiert Kathrin Kleingarn, Martini-Brandmanagerin bei Bacardi Deutschland. Wachstumstreiber sei allerdings mit +38 Prozent die Innovation Martini Fiero, die „Marktanteile in der Aperitif-Kategorie sichern sowie neue, jüngere Verwender rekrutieren“ könne. Positiv entwickele sich auch die Premium-Range – wenn auch noch auf niedrigem Niveau, so Kleingarn.
Ob sich nun Wermut bald zu Höhenflügen wie Gin aufmachen wird, bleibt vorerst abzuwarten. Ein Blick in andere Länder lässt jedenfalls hoffen: Wermut profitiert ganz stark von dem Comeback des Aperitifs – und der wächst laut Kathrin Kleingarn überall in Europa. „Hier sind starke Perspektiven, mit guten Produkten Impulse zu setzen“, zeigt sich die Brandmanagerin überzeugt. Und: „Die Kategorie ist on fire und trifft genau die Konsumentenbedürfnisse.“