„Wein soll Wein bleiben“
Die deutschen Weinerzeuger wollen den anhaltenden Trend zu alkoholfreien und -armen Alternativen stärker für sich nutzen. Neue Chancen bietet ihnen die 2023 in Kraft tretende Novelle der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU. Sie wird, nach Einschätzung des Deutschen Weinbauverbands (DWV), den Rechtsrahmen zur Herstellung solcher Produkte stärken. Künftig sollen teilweise und fast komplett entalkoholisierte Weine nicht mehr – wie bisher – unter das Lebensmittelrecht fallen, sondern wie alkoholischer Wein definiert und damit weinrechtlichen Regeln unterworfen werden.
Daraus entstehen laut DWV allerdings nicht nur neue Chancen, sondern auch Unsicherheiten über die konkrete Ausgestaltung. Entscheidend sei die Zulassung von önologischen Verfahren, die „den Charakter von Wein stärken und gleichzeitig eine attraktive Alternative zu den traditionellen Weinen mit Alkohol bieten“, betont Weinbaupräsident Klaus Schneider. Anders formuliert: „Wein soll hierbei Wein bleiben“, unabhängig vom Alkoholgehalt.
„Nicht in die Trickkiste greifen“
Da Alkohol ein wichtiger Geschmacksträger sei, gebe es vor allem außerhalb Deutschlands Produzenten, die nach der Entalkoholisierung das Weinaroma durch den Zusatz künstlicher Aromen oder Zucker verbessern wollten, konkretisiert Miriam Berner, beim DWV Referentin für Weinbau, Kellerwirtschaft, Ausbildung/Forschung und Markt, auf Nachfrage von Getränke News. Dagegen spricht sich der Deutsche Weinbauverband nachdrücklich aus.
Verfahren, die beim Wein erlaubt seien, sollten auch für die Alkoholfreien zugelassen werden – nicht mehr und nicht weniger. Mit anderen Worten: Der Rechtsrahmen für entalkoholisierte Weine soll sich so nah wie möglich an der Herstellung von Wein bewegen. Wer hochwertige Ausgangsweine verwende, müsse nicht „in die Trickkiste greifen“, unterstreicht Miriam Berner.
Beispielsweise solle die bekannte und im Weinbau traditionell übliche Süßung mittels Süßreserve, also eines speziell behandelten, unvergorenen Traubenmosts, auch beim alkoholfreien Wein das Mittel der Wahl sein, Haushaltszucker hingegen müsse ein Tabu bleiben. Ebenso wie der Zusatz von Wasser zum Ausgleich des infolge der Entalkoholisierung auftretenden Volumenverlusts.
Ausreichend Raum für Innovationen biete indessen das Segment der sogenannten aromatisierten weinhaltigen Getränke, das bereits seit einigen Jahren am Markt wächst und eine Fülle von Neuheiten hervorbringt. Von ihnen müsse aber Wein – auch ohne oder mit reduziertem Alkohol – „scharf abgegrenzt“ werden, so der Weinbauverband. Und Miriam Berner macht klar: Schließlich geht es nicht nur um Rechtssicherheit, sondern auch um das gute Image von Wein, das durch dessen alkoholarmes oder -freies Pendant nicht beschädigt werden soll.
Marktnische mit großem Potenzial
Die Marktbedeutung von alkoholfreiem Wein ist zurzeit noch sehr gering. Wie das Deutsche Weininstitut (DWI) im letzten Jahr unter Verweis auf eine Nielsen-Studie meldete, liegt sein Marktanteil noch unter einem Prozent. Kaum mehr als zehn Prozent der Konsumenten kennen laut der Untersuchung überhaupt alkoholfreie Weine. Da ist der entalkoholisierte Sekt schon weiter: Sein Marktanteil ist inzwischen immerhin auf fünf Prozent gestiegen – mit weiter deutlich positiver Tendenz.
Gesellschaftlich fallen alkoholfreie Angebote aller Art jedenfalls auf fruchtbaren Boden. Laut einer Studie, die das Institut Civey Ende 2021 im Auftrag von Martini durchführte, zieht fast jeder vierte Konsument in Betracht, im Sinne eines „Dry January“ den gesamten Januar über auf Alkohol zu verzichten. Vor allem in der Altersgruppe von 18 bis 49 Jahren stehe die Bewegung des „Mindful Drinking“ – also weniger, aber bewusster zu trinken – hoch im Kurs, hieß es weiter.
Nielsen bestätigt den Trend mit Blick auf den weltweiten Konsum. Laut dem Marktforschungsinstitut tranken bereits 60 Prozent der Menschen 2021 mehr Cocktails mit weniger oder gar keinem Alkohol als im Jahr davor. Fast 80 Prozent wollen künftig mehr „No & Low“-Cocktails als im vergangenen Jahr genießen. Wein wird sich voraussichtlich ähnlich entwickelt. Das Potenzial ist also auf alle Fälle groß.