Die Zeichen sind unübersehbar: Die Warsteiner Gruppe, der einstige Marktführer, der vor 27 Jahren als erste Brauerei Deutschlands mit nur einer Marke die 6-Millionen-Hektoliter-Schwelle überschritt, steht vor dem verstärkten Einstieg ins Lohnbrau- und Lizenzgeschäft. Zwei Personal-Meldungen, in denen die neue Ausrichtung eher beiläufig erwähnt wurde, deuten auf die Strategieanpassung hin. Der seit Juli letzten Jahres neue Warsteiner-Chef Helmut Hörz will mit der Braugruppe nun offenbar neue Wege gehen.
„Marathon-Lauf“ dürfte beschwerlich werden
Bereits im Oktober hatte der einstige Edeka- und Interimsmanager mit Blick auf die Marke Warsteiner angekündigt, alsbald das Flaggschiff weiterzuentwickeln. Doch außer der Ankündigung in der „Wirtschaftswoche“ drang bislang nichts nach außen. Hörz sprach darin vielsagend von einem „Marathon-Lauf“, was die neue Strategie betrifft.
Tatsächlich drücken die Warsteiner Gruppe ungenutzte Kapazitäten allein am Traditionsstandort Warstein von rund 3 Millionen Hektolitern – und auch in Herford dürfte die Braustätte angesichts der einstigen Millionen-Hektoliter-Produktion gerade mal zur Hälfte ausgelastet sein. In besten Zeiten brauten dort 700 Mitarbeiter 1,1 Millionen Hektoliter. Lang ist das her und die Belegschaft auf verbliebene 100 Beschäftigte heruntergedampft. In Paderborn dürfte sich der Ausstoß bei rund 800.000 Hektolitern eingependelt haben.
Frühere Weggefährten kommen nach Warstein
Um das Geschäft der Warsteiner Gruppe neu zu ordnen, hat Uwe Albershardt, seit Februar dieses Jahres neuer Vertriebs- und Marketinggeschäftsführer, zwei frühere Weggefährten nach Warstein geholt. Sie sollen nach Unternehmensangaben in Zukunft neue Geschäftsfelder aufbauen. Uwe Schnocks tritt im November in Warstein an und übernimmt die neu geschaffene Position des Direktors Vertrieb & Marketing für Lizenz- und Kooperationsmarken. Zu seinen Aufgaben, so Warsteiner, zählen der Ausbau des Lizenzgeschäfts, der Abschluss von Kooperationsverträgen sowie die Entwicklung und Vermarktung von Eigenmarken außerhalb des bestehenden Biermarkengeschäfts.
Bereits im Mai übernahm Adriano Leo die Funktion des Direktors Business Development und verantwortet die Bereiche Lohnbrau und Handelsmarken. Außerdem widmet er sich der Definierung der zukünftigen Gebinde-Strategie sowie der Begleitung sämtlicher Produktinnovationen von der Konzeption bis zur Markteinführung. Leo war zuletzt als Vertriebsdirektor der Darguner Brauerei tätig, die sich mit ihren Bieren im Preiseinstiegsbereich bewegt.
Uwe Albershardt, der bereits 2007 aus der Brauwirtschaft ausstieg und dann ins Distributionsgeschäft der Getränkewirtschaft wechselte, kannte Uwe Schnocks und Adriano Leo aus gemeinsamen Zeiten bei Beck’s bzw. Team Beverage. Traditionsreiche Getränkefachgroßhändler erinnert das an das Ende der 90er Jahre, als Warsteiner-Inhaber Albert Cramer nach ersten Krisenanzeichen den einstigen Holsten- und Paulaner-Mann Frank Spitzhüttl holte und ihm weitreichende personelle Freiheiten einräumte. In der Folge wurden sämtliche Bereiche von Handel über Marketing bis hin zum Export mit eigenen Weggefährten aus Paulaner-Zeiten besetzt. Erst Gustavo Möller-Hergt, seinerzeit Generalbevollmächtigter und Vertrauter des Inhabers, beendete die Gastspiele, weil außer einem Preisverfall jedweder Erfolg ausgeblieben war. Geschichte scheint sich in diesen Tagen in Warstein zu wiederholen – zumindest in der Personalpolitik.
Lizenzgeschäfte funktionierten nur auf Zeit
Die Brauwirtschaft beobachtet das Treiben mit großer Aufmerksamkeit. Denn nun scheint sich Warsteiner auf ein Spielfeld begeben zu wollen, auf dem man bereits in der Vergangenheit wenig erfolgreich war. Bereits im Jahr 2010 hatte Warsteiner eine Vertriebspartnerschaft mit dem spanischen Marktführer Mahou San Miguel in Spanien sowie ein Lizenz- und Kooperationsabkommen mit SAB Miller für den argentinischen Markt bekanntgegeben. 2011 konnte Carlsberg als Kooperationspartner für die Ukraine gewonnen werden.
Geschehen ist seither wenig. Erst zuletzt verlor das Unternehmen die spanische Lizenz für San Miguel an AB Inbev und verkündete als Ersatz die deutlich kleinere Spanien-Marke Estrella Galicia – in Deutschland bei den Importbieren bis heute ohne Marktrelevanz. Gastspiele der irischen Marken Guinness und Kilkenny – zwischen 2005 und 2013 im Warsteiner Vertriebskoffer – wurden gecancelt, die Radeberger-Gruppe übernahm.
Für Helmut Hörz und das einstige Beck’s-Trio um Uwe Albershardt wird die Zeit immer knapper. Für sie geht es um nichts weniger als den Erhalt des Familienerbes von Catharina Cramer. Sie ist seit genau 16 Jahren in der Geschäftsführung und musste mit ansehen, wie unter ihrer Ägide die väterlich mit viel Fortune aufgebaute Marke Warsteiner allein 1,4 Millionen Hektoliter verlor. Heute ist die ganze Gruppe nur noch so groß wie damals die Stamm-Marke allein. Schlimmer noch: Die Zukäufe erwiesen sich zunehmend als Altlast eines überzogenen und keineswegs nachhaltigen Gruppendenkens.
Die 2005 aufgekaufte Braustätte des Altbierbrauers Frankenheim wurde 2010 veräußert, unter das Argentinien-Abenteuer im selben Jahr ein Schlussstrich gezogen. Selbst die 1991 übernommene Paderborner Brauerei mit den drei westfälischen Marken Paderborner, Weissenburger und Isenbeck brachten letztlich wenig Wachstum und noch weniger Rendite als die goldene Stammmarke. Paderborner kämpft seit zwei Jahrzehnten in der Liga der regionalen Preiseinstiegsmarken. Mehr ist nicht drin.
Preiseinstiegswissen nach Warstein importiert
Der Herforder Standort konnte in der Zwischenzeit, so ist zu hören, nur deshalb einigermaßen wirtschaftlich betrieben werden, weil man für Edeka Rhein-Ruhr und deren GAM-Kette Trinkgut die Eigenmarke Traugott Simon abfüllt. Die Lohnabfüllung für die Preiseinstiegsbiere mit Herforder Absender staubte Warsteiner eher zufällig ab, als die Iserlohner Brauerei 2014 aufgeben musste – das Lohnbrauen hatte den Standort schlichtweg in den Ruin getrieben. Der damalige Iserlohner Neugesellschafter Michael Hollmann, vormals auch Vorstand von Brau und Brunnen, hatte die Tragfähigkeit seines 2010 persönlich übernommenen Konzernstandortes wohl überschätzt und die Notbremse gezogen. Die seinerzeit als „ausgesprochen günstig“ kolportierten Abfüllkonditionen machten den Einstieg der Warsteiner Gruppe ins Lohnbraugeschäft möglich.
Mit dem soeben aus Mecklenburg-Vorpommern nach Warstein geholten Vertriebsleiter Adriano Leo kommt wirkliches Preiseinstiegs-Knowhow ins Sauerland. Bestes Beispiel: Unlängst bot die Draguner Brauerei mit ihren dänischen Inhabern zwei Halbliter-Kästen zum Preis von neun Euro an. Solch eine Doppelkasten-Aktion hat es in Deutschland schon lange nicht mehr gegeben.
Für Warsteiner bietet der neue Strategieansatz fernab des angestammten, einst Erfolg und Image bringenden Premium-Segments Chancen und Risiken zugleich. Nach dem gescheiterten Verkauf des gedanklich schon vorher abgeschriebenen Herforder Standortes bleibt der Gruppe keine andere Wahl, als einen strategischen Neuansatz zu finden.
Eine Verlagerung der Braumenge nach Paderborn oder Warstein wäre keine Lösung. Weil der Herkunftsort im Markennamen in Deutschland immer dem Brauort entsprechen muss, würde eine Standortschließung letztlich den Verlust der Marke Herforder bedeuten. Nun versucht man sich mit der Offensive zu mehr Auslastung und kündigt bereits in Ostwestfalen Millionen-Investitionen in neue Anlagen an. Damit gibt Catharina Cramer frisches Geld in eine Strategie, von der in der Brauwirtschaft jeder weiß, wie schwach die Rendite am Ende ausfallen kann.
Schmerzhafter Gilde-Weg zum Preiseinstiegsbrauer der TCB
Ein Beispiel lieferte erst 2015 die TCB Beteiligungsgesellschaft mit ihrem Brauhaus in Frankfurt/Oder, als deren Gesellschafter Mike Gärtner und Karsten Uhlmann die auf 150.000 Hektoliter geschrumpfte Gilde Brauerei, Hannover, von AB Inbev übernahmen. 2020 sorgte die Hannoveraner Braustätte für regionale Schlagzeilen, als die Führung mit viel Getöse um die Aufhebung der Tarifbindung mit nachfolgendem Streik und Aussperrungen die notwendige Kostenkorrektur durchsetzte.
Diesbezüglich hat Helmut Hörz bereits vorgebeugt. Bereits im letzten Jahr trat die Warsteiner Brauerei aus der Tarifgemeinschaft der Sauer- und Siegerländer Brauereien aus. Die wirtschaftliche Basis, so die letztjährige Begründung, habe nicht ausgereicht, um den Mitarbeitern Tariferhöhungen und eine Coronaprämie zuzubilligen. Krombacher und Veltins hingegen gewährten ihrer Belegschaft die Einmalzahlung von 750 Euro und eine Lohnerhöhung von 2,4 Prozent ohne weitere Diskussion.
Auch um die nachfolgenden Verhandlungen eines Haustarifs bei Warsteiner wurde es denkbar still. Die ansonsten um kämpferisches Profil stets bemühte Gewerkschaft NGG in Hagen blieb auffällig schweigsam. Das Weihnachts- und Urlaubsgeld der Warsteiner Belegschaft soll zwischenzeitlich im Feuer gestanden haben, so drang es nach außen.
Tatsächlich ist Technik-Geschäftsführer Ulrich Brendel beim verstärkten Einstieg ins Lohnbrau- und Lizenzgeschäft nun gefordert, bestmögliche Produktionskonditionen zu schaffen, um mit der Kostenführerschaft von TCB oder Oettinger mithalten zu können. Dass dabei die rollende Kostenlawine die Lage zusätzlich erschwert, liegt auf der Hand. „Wir wissen, wohin wir wollen, aber das ist ein komplexes Projekt, und das muss gut geplant werden. Sicher ist, dass wir einen erheblichen Millionenbetrag am Standort investieren werden“, so Brendel gegenüber der „Neuen Westfälischen“ in Herford.
„Wir arbeiten seit Jahren mit einer Supermarktkette zusammen. Das funktioniert sehr gut, und das wollen wir fortsetzen“, sagte Brendel. „Richtig ist sicherlich, dass die wirtschaftliche Situation immer herausfordernd ist, wenn eine Brauerei überdimensioniert ist“, so der Technik-Geschäftsführer. Helmut Hörz ging im Herbstinterview mit der „Wirtschaftswoche“ noch einen Schritt weiter und versprach gar eine Standortauslastung bis 2024.
Mehr fremde Hektoliter aus eigenen Sudkesseln
Während vereinzelte Lohnaufträge für Handelsmarken offenbar funktionieren, dürfte das Lizenzgeschäft für die Warsteiner Gruppe schwierig bleiben – die erreichbaren Mengen sind gering. Allein Heineken ist es in den letzten Jahren gelungen, deutliche Marktanteile im nationalen Markt hinzuzugewinnen und sich damit auch noch im hochpreisigen Segment festzusetzen. Allerdings: Gerade die großen internationalen Brauer sind bei der möglichen Suche nach Abfüllpartnern mit besten Konditionen vertraut. Und im No-Name-Geschäft austauschbarer Handelsmarken ist ohnehin die Luft denkbar dünn.
In Wahrheit bleibt den Warsteiner Traditionsbrauern gar keine andere Wahl, wenn man einen aufwendigen Standortrückbau mit Kapazitätsaufgaben vermeiden will. Angesichts der massiven Ausstoßverluste und des zunehmenden Bedeutungsverlustes der Gruppe dürften Markenerfolge aus dem Stammgeschäft in absehbarer Zeit nicht zu erwarten sein. Der Verzicht auf eine Preiserhöhung bei der Marke Warsteiner macht den Druck im eigenen Kessel eher noch größer – und nimmt dem einstigen Zugpferd des Hauses langfristig veritable Markenkraft. Fremde Hektoliter, so wollen es Helmut Hörz und Uwe Alberhardt, sollen fortan mehr denn je aus eigenen Sudkesseln kommen. Hoffentlich nicht um jeden Preis.