Überall in der Nahrungsmittelindustrie fehlt es an Kohlendioxid. Auch Brauereien, Mineralbrunnen und Erfrischungsgetränkehersteller sind darauf angewiesen, können ohne CO2 ihre Getränke nicht wie gewohnt abfüllen. Doch das Gas ist immer schwerer zu beschaffen. Regallücken bei Bier, Mineralwasser und Erfrischungsgetränken könnten schon bald die Folge sein. Auch in der Gastronomie steigt inzwischen die Sorge, denn Zapfanlagen für Bier und andere Getränke sind ohne CO2 nicht zu betreiben. Getränke News sprach mit Branchenexperten über die dramatische Mangellage.
Hintergrund der dramatischen Verknappung ist die deutliche Drosselung der energieintensiven Düngemittelproduktion, bei der CO2 als Nebenprodukt anfällt. Ammoniak-Hersteller wie BASF, Yara oder SKW Piesteritz haben wegen der horrenden Gaspreise ihre Produktion reduziert, verlagert oder gar vorläufig stillgelegt. In der Folge stehen laut Schätzungen des Dachverbands BVE (Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie) zurzeit nur noch 30 bis 40 Prozent der üblichen Liefermengen zur Verfügung – und dann zu immens hohen Preisen.
Dass in der Getränkebranche die Nerven blank liegen, zeigt eine gemeinsame Erklärung, die die Verbände der Brau-, der Brunnen- und der Saftbranche sowie des Getränkefachgroßhandels Ende letzter Woche veröffentlicht haben. Angesichts nie zuvor erlebter Kostensteigerungen fordern sie darin die Politik auf zum „Handeln, bevor es zu spät ist“. Der Mangel an Kohlendioxid ist darin eines von fünf gravierenden Problemen.
Immer mehr Brauereien in Bedrängnis
Als „äußerst besorgniserregend“ beschreibt Holger Eichele, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer-Bunds, die Situation. Brauereien benötigen Kohlendioxid vor allem, um Tanks, Fässer und Flaschen „vorzuspannen“, damit das Bier beim Füllen nicht mit Luft in Kontakt kommt und nicht schäumt. Viele, vor allem größere Brauereien fangen bei der Gärung entstehendes überschüssiges CO2 auf und sind daher nicht oder nur in geringem Umfang auf die Zulieferung des Gases angewiesen.
Wer – wie viele kleinere Brauereien – dazu aber nicht in der Lage ist oder neben Bier auch Softdrinks herstellt, gerät jetzt zunehmend in Bedrängnis. „Uns erreichen täglich neue Hilferufe aus der Branche“, berichtet Eichele. Immer mehr Unternehmen müssen ihre Produktion erheblich einschränken oder ganz einstellen, weiß er. „Wir erwarten, dass die Politik die Dimension des Problems erkennt und handelt.“
Mangellage erreicht auch die Gastronomie
Auch die Gastronomie kann auf Kohlendioxid nicht verzichten, denn dort wird sie benötigt, um Bier und andere Getränke beim Zapfen aus den Fässern zu drücken. Wie akut die Lage teilweise schon ist, berichtet Karl-Peter Tadsen, Seniorchef des gleichnamigen schleswig-holsteinischen Getränkefachgroßhandels. Er wird normalerweise von vier Industriegase-Unternehmen beliefert, doch „die müssen alle im Moment passen“. Seine Vorräte reichen aktuell noch für wenige Tage und „es ist keine Lösung in Sicht“.
Tadsen will jetzt mit seinen Gastro-Kunden besprechen, ob sie bereit wären, ihre Zapfanlagen auf Stickstoff umzustellen. Doch zum einen müssten dazu andere Druckminderventile angeschafft werden, zum anderen „vertragen“ dies nicht alle Biere, es bestehe die Gefahr, dass sie schneller schal werden, erklärt er. Und wie lange Stickstoff noch verfügbar wäre, wenn viele ihr CO2 dadurch ersetzten, ist auch unklar.
Erste Brunnen stoppen Produktion
Mit Sorge beobachtet man auch bei den Mineralbrunnen die sich stetig verschärfende Situation. Manche Unternehmen seien „hoch alarmiert“, berichtet Tobias Bielenstein, Pressesprecher der Genossenschaft Deutscher Brunnen (GDB). Andere würden sich bereits auf die Abfüllung ihrer wichtigsten Artikel beschränken und die Produktion ihrer Randsortimente zurückfahren. Einzelne Brunnen hätten sogar ihre Produktion bereits gestoppt, und es sei unklar, wenn sie den Betrieb wieder aufnehmen könnten.
Wenige Brunnen sind von der Mangellage gar nicht betroffen, da sie eigenes, geologisches Kohlendioxid nutzen können – wie Marktführer Gerolsteiner. In der Vulkaneifel gebe es in der Tiefe Kohlensäure vulkanischen Ursprungs, erklärt Ulrich Rust, Geschäftsführer Technik und Logistik. Bei der Abfüllung setze der Brunnen ausschließlich natürliche Quellkohlensäure ein, daher sei Gerolsteiner nicht von Lieferengpässen betroffen.
Aussichten über Monate „düster“
Wer jedoch auf industriell hergestelltes CO2 angewiesen ist, hat es zunehmend schwer. Es sei nicht möglich, kurzfristig Ersatz zu beschaffen, betont Tobias Bielenstein von der GDB. Die Aussichten für die nächsten drei bis sechs Monate seien „düster“. Selbst, wenn sofort wieder mehr Düngemittel hergestellt würden, dauerte es Wochen, bis wieder mehr Kohlensäure zur Verfügung stünde.
Gedanken, wie es weitergeht, macht man sich auch beim Branchenriesen Coca-Cola. Man sei sich der Engpässe bzw. der erheblichen Schwankungen bei der Verfügbarkeit bewusst, sagt Pressesprecherin Marlen Knapp. Coca-Cola Europacific Partners beziehe CO2 aber von mehreren Lieferanten in ganz Europa und habe „geeignete Maßnahmen ergriffen, um auch die Versorgung unserer 14 Produktionsstandorte in Deutschland sicherzustellen“. Die dynamische Situation im Markt beobachtet man aber dennoch genau und sei im engen Austausch mit Lieferanten und Partnern.
Wie es scheint, ist indessen die Hoffnung auf eine baldige Besserung am Anfang der Lieferkette gering. „Die Ammoniak-Produktion und damit verbunden die CO2-Produktion sind in Ludwigshafen reduziert“, teilt Daniela Rechenberger von der Pressestelle der BASF auf Anfrage von Getränke News mit. Und: „Die europäischen Produktionsmengen von BASF bleiben stark von der weiteren Preisentwicklung bei Erdgas und Ammoniak abhängig.“
Schnelle Lösungen nicht erkennbar
Werden wir vielleicht in Zukunft für die Versorgung mit Kohlensäure ganz neue Lieferketten aufbauen müssen, wie Tobias Bielenstein befürchtet? Muss das begehrte Gas etwa mit Schiffen aus China importiert werden? Angesichts verknappter Frachtraumkapazität dürfte dies keine schnelle Lösung versprechen.
Oder könnten – andersherum – Betriebe irgendwann in der CO2-Versorgung autark werden? Die Geschichte des Valser Mineralbrunnens in der Schweiz lässt aufhorchen: Das 2002 von Coca-Cola übernommene Unternehmen ist die nach eigenen Angaben erste und bisher einzige Getränkefirma der Welt, die CO2 aus der Luft nutzt und dabei auch noch zum Klimaschutz beiträgt. Möglich macht dies eine 2019 begonnene Kooperation mit dem Schweizer Start-up Climeworks, das Kohlendioxid mittels einer komplexen Technologie aus der Luft filtert. Bis das Verfahren massentauglich ist, dürften aber sicherlich noch viele Jahre ins Land gehen.