Wie billig darf ein Bier in Deutschland sein? Die Bierpreise im Handel beginnen bei 6 Euro pro Kasten im Preiseinstiegsbereich und sind bei Premium nach oben offen. Allerdings wissen die Verbraucher: Der Großteil der Premiummarken wird seit zwei Jahrzehnten für etwa 10 Euro pro Kasten verkauft. Kein Wunder also, dass es einen medialen Aufschrei gibt, nachdem Bayerns Brauerpräsident Georg Schneider VI. einen wirtschaftlich gerechtfertigten Kastenpreis von 30 Euro für Bier nennt.
„Eine Watschen für uns und unsere Arbeit“
In der „Augsburger Allgemeinen“ nannte der bayerische Brauerpräsident eine Spanne von 25 bis 30 Euro für einen Kasten Bier – alle anderen Endverbraucherpreise grenzten an Körperverletzung, so Schneider. „Das ist eine Watschen für uns und unsere Arbeit.“ Die Wirklichkeit ist jedoch eine andere – auch beim bayrischen Weißbier. Ausgerechnet in dieser Woche bietet Aldi Nord den Karlskrone-Sixpack Weißbier in der Halbliter-PET-Flasche für 1,99 Euro an. Kurzum: ein Kastenpreis von 6,60 Euro! Netto mit dem schwarzen Hund im Logo kann es noch billiger: Sternburg Export von der Oetker-Tochter, der Radeberger Gruppe gibt es dort für nur 6 Euro – und damit fast zum halben Normalpreis. Aber wie können Anspruch und Wirklichkeit in der Brauwirtschaft so dramatisch auseinanderdriften?
Verbraucher halten Forderungen für überzogen
Es ist wieder einmal dem Sommerloch geschuldet, dass Schlagzeilen mit der Forderung nach einem Kastenpreis von eben diesen 30 Euro die Runde machen. Die Endverbraucher, die ohnehin schon unter steigenden Kosten leiden, schütteln den Kopf und reagieren mit Unverständnis. Viele fragen sich, ob die bayrischen Brauer in Zeiten der Konsumzurückhaltung nicht gerade dabei sind, ein Eigentor zu schießen. Mögen die bayrischen Brauerkollegen ihrem Präsidenten Schneider noch auf die Schulter geklopft haben, für die Endverbraucher und Kunden klingen solche Wünsche eher nach überzogener Preisforderung und unverhältnismäßiger Selbstbedienung. Und das schadet dem Image erheblich.
Das wird Georg Schneider sicherlich nicht beabsichtigt haben, verhindern kann er es aber nicht. Im Sommerloch verselbstständigen sich solche Schlagzeilen oft und führen zu unkontrollierten Diskussionen. Der Deutsche Brauer-Bund verstärkte die Sichtweise und warnte in der „WAZ“ gar „vor einem ruinösen Preiskampf“. Dabei ist die Situation im deutschen Biermarkt seit Jahren unverändert – die Aktionspreise im Handel sind gesetzt. Bewegung? Nicht erkennbar!
Bier ist beliebt und bleibt Lockvogel
Selbst Georg Schneider sieht in der „Augsburger Allgemeinen“ unlängst wenig Hoffnung auf Änderung, weil der Wettbewerb im nationalen Biermarkt eben beinhart ist. Für empfindliche Reaktionen und Forderungen nach extrem hohen Bierpreisen ist da kein Platz. „So müssen sich Brauer Preisfantasien nach oben abschminken“, hatte Schneider auch erklärt. Doch diese Zeile ist in der Diskussion hinten runtergefallen. Jeder Branchenteilnehmer weiß, dass sich absehbar an der Preissegmentierung nichts ändern wird. Letztlich bleibt es dabei: Die Verbraucher entscheiden, welches Bier ihnen welcher Preis wert ist – und genauso agiert der Lebensmitteleinzelhandel. Bier ist allen Unkenrufen zum Trotz eben doch ziemlich begehrt in Deutschland und damit der beste Lockvogel fürs wöchentliche Geschäft. Das ist zumindest die gute Nachricht hinter der Diskussion.
Preiseinstieg als Mengenbringer
Das Preisbild im deutschen Handeln ist eindeutig und daran dürfte weder der Handel selbst noch der Verbraucher rütteln wollen. Rund 30 Prozent des Bieres wird zu Kastenpreisen unter zehn Euro verkauft. Ausgemergelte Marken wie Hasseröder sind inzwischen darauf angewiesen, dass ihnen diese Preise die von AB Inbev gewünschten Mengen bringen. Oettinger musste dem Markt nach einer zwei Jahrzehnte langen Strategie des Niedrigpreises jüngst eingestehen, dass die Wirtschaftlichkeit dramatisch gelitten hatte und eine Kurskorrektur unvermeidbar wurde. Die Inhaberin Pia Kollmar zog die Notbremse, verkaufte den Standort Gotha und erhöhte die Preise.
Die traditionell stillen Ostbrauer Mike Gärtner und Karsten Uhlmann vom Frankfurter Brauhaus an der Oder fühlen sich mit ihrer TCB und Standorten in Dresden und Hannover offenbar unverändert wohl. Sie beliefern geräuschlos alles, was der Discount für den namenlosen Preiseinstieg in der Warengruppe Bier benötigt. Selbst Warsteiner Gruppen-Chef Helmut Hörz kann der Versuchung nicht widerstehen und setzt auf das Low-Price-Geschäft, indem er bei Kaufland in die Bresche springt und die Oettinger-Hektoliter auf Paderborner umstellt. Preiseinstieg ist eben ein verführerischer Mengenbringer.
Ankündigungen ohne Wirkung
Die Geschichte der öffentlich zur Schau getragenen Bierpreis-Forderungen ist nicht neu, dafür aber lang. Ganze vorne platzierte sich vor genau zehn Jahren die Bitburger Braugruppe mit der Ankündigung, dass man künftig öfter und in kleinen Schritten ihre Bierpreise erhöhen wolle. Deren damaliger Vorstandssprecher Dr. Werner Wolff sah in steigenden Kosten für Produktion, Rohstoffe und Personal Gründe genug, um „nicht wieder fünf Jahre die Luft anhalten“ zu müssen. Kaum hatte er seinen Chefsessel geräumt, stieß Nachfolger Axel Dahm 2017 ins gleiche Horn und wollte der „Verramschung unserer Produkte“ Einhalt gebieten. Das klang ähnlich wie die aktuellen Worte des bayrischen Brauerpräsidenten. Wolff und Dahm, die inzwischen nicht mehr in der Eifel tätig sind, konnten erwartungsgemäß kaum etwas erreichen – der Aktionspreis der Marke Bitburger landete beim jüngsten EM-Fußballturnier unverändert bei 9,99 Euro.
Die Quintessenz ist einfach und genauso ernüchternd: Solange es so große und mangels Nachfrage noch wachsende Überkapazitäten gibt, wird sich an der Preisgestaltung und der aktuellen Segmentierung nichts ändern. Da hilft auch sommerliches Wehklagen nichts.