Während sich die jüngste Bierpreiserhöhung gerade ankündigt, sitzt im Düsseldorfer Oberlandesgericht der 6. Kartellsenat, um Licht in einen themengleichen Vorgang zu bringen, der allerdings 14 Jahre unter anderen Vorzeichen stattfand. Im Zeugenstand plauderten der frühere Warsteiner-Generalbevollmächtigte Gustavo Möller-Hergt und Krombacher-Inhaber Bernhard Schadeberg aus dem Nähkästchen. Belastendes zur Carlsberg-Gruppe gab es zum wiederholten Male nicht.
Aktionspreise in 14 Jahren unverändert
Manche Gerichtsverfahren werden von der Realität eingeholt und rücken die Ermittlungen des Bundeskartellamtes viele Jahre später in ein fragwürdiges Licht. Auch das führt die vor dem Oberlandesgericht laufende Berufungsverhandlung in der Causa Carlsberg ganz nebenbei vor Augen. Dass es 2007 um Preisabsprachen zum Nachteil des Verbrauchers gegangen sein soll, wirkt beim Vergleich der Aktionspreise von damals und heute wie eine Farce. Tatsächlich kaufen die Verbraucher Bier seit der Einführung des Euros mit geringer Schwankungsbreite unverändert um die 10 Euro ein. Und die aktuell angekündigte Preiserhöhung zeigt, dass der Wettbewerb allein den Marktgesetzen folgt: Die großen Brauereien kündigen eine Preisrunde an – die übrigen werden folgen.
Die Rückvergütung macht den Preis
So versuchte auch Krombacher-Inhaber Bernhard Schadeberg, seines Zeichens nationaler Marktführer, dem immer noch nach greifbarer Durchdringung suchendem 6. Kartellsenat die Gepflogenheiten des Biermarktes zu erläutern. Nach seinen Schilderungen seien der Lebensmitteleinzelhand und die Gastronomie ein ausgesprochen variables System. „Die Rückvergütung ist das Spielentscheidende“, sagte der Krombacher-Inhaber wörtlich und meinte jenseits der gedruckten Preislisten den tatsächlichen Marktpreis, der unterm Strich beim Handel und in der Gastronomie zu zahlen sei. Bei der Nachfrage des Vorsitzenden Richters Dr. Ulrich Egger nach den wirklichen Rabatten wurde Bernhard Schadeberg schmallippig. Weil es um Geschäftsgeheimnisse gehe und Wettbewerber im Verhandlungssaal seien, wollte er keine Details nennen.
Preiserhöhungen meist im Frühjahr
Allerdings nannte er deutliche Präferenzen, wenn es um die Durchsetzung einer Preiserhöhung gehe. Schadeberg sei ein Freund vom Frühjahr, weil es wegen der Bevorratung des Handels auch ein Leergutthema sei. Üblicherweise werde eine Preiserhöhung drei Monate vorher angekündigt. Im Hinblick auf die Informationsdurchdringung in der Branche seien die Signale vielfältig. Erst wenn die Preiserhöhung auch auf den Weg gebracht worden sei, informiere er einen einschlägigen Branchendienst. Dort könne man auch Informationen lancieren.
Schadeberg bestätigte auf Nachfrage, dass es durchaus marktüblich sei, dass rund 50 Cent Preisanhebung an der Rampe ein Euro Preiserhöhung am Kasten im Handel bedeuten. Den Beklagten Wolfgang Burgard kenne er aus langen Jahren seiner Branchenpräsenz. Es habe mal ein Treffen gegeben, weil es um den Kauf von Carlsberg/Holsten durch Krombacher gegangen sei, doch die Preisvorstellungen seien zu weit auseinandergegangen. Ansonsten hätten Preiserhöhungen von Holsten keine Rolle für die unternehmerische Entscheidung der Krombacher Brauerei gespielt. Beim fraglichen Abstimmungstreffen im Hamburger Side-Hotel zur Internorga sei Schadeberg selbst ohnehin nicht dabei gewesen, so dass sich der Teilnehmerkreis seiner Kenntnis entziehe.
Ex-Generalbevollmächtigter sah sich als „Adoptivsohn“
Der im Zeugenstand nachfolgende Prof. Dr. Dr-Ing. Gustavo Möller-Hergt, der bis zu seiner Abberufung als Generalbevollmächtigter der Warsteiner Brauerei als schillernde Figur im deutschen Biermarkt galt, sprach von einer ungewöhnlich guten Beziehung zur Inhaberfamilie. „Ich war fast Teil der Familie“, so Möller-Hergt, bis es zum „Krach“ gekommen und sogar ein Besuchsverbot der Haus Cramer-Gaststätten gegen ihn verhängt worden sei. Dabei war sein Verhältnis zum inzwischen verstorbenen Warsteiner-Patriarch Albert Cramer lange Zeit ungetrübt gewesen – im Unternehmen galt der gebürtige Südamerikaner ein Jahrzehnt lang als unantastbar.
Möller-Hergt beschrieb sich vor seiner Demission in der Stellung eines Adoptivsohns oder Enkels. „Als Südamerikaner so einen Job zu bekommen, ist schon etwas Besonderes.“ Auf die Frage des Vorsitzenden Richter Dr. Ulrich Egger, wie er das Kartellverfahren erlebt habe, erinnerte sich Möller-Hergt an eine seltsame behördliche Eigenart des Bundeskartellamtes. Er habe sich darüber gewundert, dass gerade dort keine Gewaltenteilung stattfinde. „Das Kartellamt war alles in einem, Ankläger und Vernehmer!“ Angesichts der politischen Verfolgung seines Vaters in Südamerika machte der ehemalige Warsteiner Generalbevollmächtigte deutlich, dass er diesbezüglich sehr sensibel sei. Schon deshalb habe er das Protokoll letztlich nicht unterschrieben, weil es einen Punkt enthalten habe, den er so nicht gesagt haben wollte. Mit der Aussage eines damals vernehmenden Kartellbeamten „Wir schreiben was wir wollen“ war für ihn das Maß voll.
Keine Erinnerung an ein Treffen
Die wirtschaftliche Entwicklung der Warsteiner Brauerei beschrieb Gustavo Möller-Hergt dem Oberlandesgericht seit den neunziger Jahren in drei Phasen. Am Anfang sei „Geld im Überfluss“ dagewesen, danach sei es nicht so „ganz doll“ gelaufen, ehe sogar Kredite notwendig geworden seien, um das Unternehmen finanztechnisch neu zu strukturieren. Die schwierige Situation bei den Bierpreisen sei in der Branche immer wieder thematisiert wurden, an konkrete Preisabsprachen konnte sich Möller-Hergt aber nicht erinnern.
Nach seinem Weggang sei er zeitnah vom Hauptwettbewerber Krombacher eingeladen worden und beim Mittagessen Gast von Bernhard Schadeberg und seiner Schwester gewesen. „Schadeberg hat immer versucht, mich über Warsteiner auszufragen. Er war sehr neugierig“, so Möller-Hergt. Im Hinblick auf die Beschuldigungen des Bundeskartellamtes gegenüber der Carlsberg-Gruppe und dem beklagten Wolfgang Burgard konnte der Zeuge – wie schon die vorangegangenen – wenig Erhellendes berichten. Möller-Hergt habe Burgard zwar gekannt, an eine Begegnung im Side-Hotel am Rande der Internorga 2007 könne er sich nicht erinnern.
Nur einmal habe sich Möller-Hergt 2004 zu einer alleinigen Bierpreiserhöhung entschlossen. Seine Erinnerung vor dem OLG daran scheint denkwürdig: „Die haben mich gekreuzigt! Meine Mutter hat angerufen und gesagt, er soll nach Hause kommen.“ In jenem Jahr hatte die Warsteiner Brauerei letztlich dramatische Mengenverluste hinzunehmen.
Fragwürdige Vernehmungsmethoden des Kartellamts
Derweil ist ein Ende des Verfahrens in diesem Jahr nicht mehr in Sicht. Nachdem die wichtigsten Zeugen des früheren Verfahrens gehört wurden, geht es jetzt noch um die Vernehmung von ereignisfernen Marktbegleitern, die dem Oberlandesgericht allenfalls zum weiteren Marktverständnis verhelfen können. Für Carlsberg geht es in der Berufungsverhandlung um Bußgeldzahlungen von 62 Millionen Euro, während die Beweislast nach 14 Jahren ebenso dünn ist wie das Erinnerungsvermögen der Zeugen.
Der internationale Wettbewerber AB Inbev hatte das Ermittlungsverfahren beim Bundeskartellamt mit Beschuldigungen der Hauptwettbewerber überhaupt erst in Gang gesetzt. Im Ergebnis wurden vom Bundeskartellamt Bußgelder von insgesamt 338 Millionen Euro gegen elf Brauereien und 14 natürliche Personen ausgesprochen – der internationale Konzern AB Inbev ging als Kronzeuge bußgeldfrei aus.
Noch kurz vor Verfahrensbeginn hatte die Oetker-Gruppe den Widerstand aufgegeben und 2018 das behördlich geforderte Bußgeld von 160 Millionen Euro gezahlt, um zu guter Letzt den heutigen Gruppenchef und damaligen Radeberger-Verantwortlichen Dr. Albert Christmann zu schonen. Auch viele Jahre nach den Ermittlungen des Bonner Bundeskartellamtes wiederholen sich im Zeugenstand der laufenden Berufungsverhandlung immer wieder Anmerkungen von ehemaligen Verfahrensbeteiligten zu einer zumindest fragwürdigen Vernehmungspraxis des Bundeskartellamtes. Zwischen den Zeilen ist immer wieder Systemkritik zu hören, weil die Behörde nicht nur ermittelt, sondern auch Bußgeldsteller ist. Der Vorsitzende Richter Dr. Ulrich Egger wird richtigerweise nicht müde, bei der Wahrheitsfindung auch diesen Sachverhalt zu hinterfragen.