Das Bundesverfassungsgericht hat die Einführung kommunaler Verpackungssteuern zugelassen – eine Entscheidung, die wohl die Verbreitung von To-go-Mehrweg-Verpackungen deutlich beschleunigen wird. Doch was bedeutet das Urteil für die betroffenen Unternehmen, und wie kann ein Flickenteppich mit kommunalen Individuallösungen vermieden werden? Darüber sprach Getränke News mit Frank Maßen, Dr. Robert Reiche und Christian Kühnhold von der Initiative Reusable To-Go.
Getränke News: Was bedeutet die Zulassung kommunaler Verpackungssteuern konkret für die weitere Entwicklung von Mehrweg To-Go?
Reiche: Viele Kommunen in Deutschland haben bereits ihr Interesse an der Einführung einer Verpackungssteuer nach dem Tübinger Vorbild öffentlich gemacht. Das Urteil gibt nun Rechts-sicherheit, und die Deutsche Umwelthilfe geht davon aus, dass viele Kommunen dem Vorbild folgen. Nach den Erfahrungen in Tübingen mit der steuerlichen Verteuerung von Einwegverpackungen entscheidet sich ungefähr die Hälfte der Menschen für die Nutzung von angebotenen Mehrwegbehältern für Speisen und Getränke.
Allerdings sind die wenigsten Betriebe vor Ort auf einen starken Anstieg der Mehrwegquote vorbereitet, wie auch unser Mehrweg-Modell-Stadt-Projekt in Mainz und Wiesbaden ergeben hat. Auf der einen Seite freut es mich, dass diese Entscheidung endlich gefallen ist, auf der anderen Seite befürchte ich die Entstehung eines Flickenteppichs aus vielen unterschiedlichen kommunalen Satzungen. Darunter würden insbesondere Ketten im OOH-Markt leiden.
Getränke News: Wie wollen Sie das vermeiden? Was bietet der Kreislaufverbund Reusable To-Go konkret an?
Kühnhold: Der Kreislaufverbund Reusable To-Go schafft eine gemeinsame Basis für Dienstleistungen, um in den Kommunen betroffene Unternehmen zu entlasten und dabei Rücknahmeorte mit existierender Lieferlogistik, Reinigungsdienstleistern und einem professionellen Abrechnungssystem zu verknüpfen. Damit schaffen wir auch einen Rahmen für Städte und kommunale Betriebe, die ebenfalls am Kreislaufverbund teilnehmen können.
Die Basis für den Kreislaufverbund bildet die in vielen Städten ausgeprägte Logistik des Getränkefachgroßhandels. Betroffene Unternehmen versorgen sich bei ihren Lieferanten mit Mehrwegbehältern, auch über die Bestellplattformen Kollex und Gastivo. Über den Kreislaufverbund können Getränkefachgroßhändler nun auch die Abholung, Reinigung und Abrechnung von Mehrwegbehältern anbieten. Die notwendigen elektronischen Meldevorgänge sind in die Systematik der Gedat integriert, die Vergütungsabwicklung setzt auf die bekannten Abläufe von Logicycle auf, und im digitalen Mehrwegregister werden die Artikelstammdaten und Teilnehmer im Kreislaufverbund geführt.
Getränke News: Wie beeinflusst die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts den Alltag unserer Leser aus der Getränkebranche?
Maßen: Wenn die Getränkefachgroßhändler sich als Teil des Systems auf das Geschäft einlassen, können sie damit gute Umsätze und Erträge erwirtschaften. Beispiel: Eine Stadt mit 300.000 Einwohnern wird von derzeit wenigen Mehrwegfüllungen auf deutlich mehr als fünf Millionen Füllungen pro Jahr nur im Getränkebereich hochschießen. Dazu bedarf es dann der ausgleichenden Logistik; wir alle wissen, dass Leergut und Vollgut nie übereinander passen. Darüber hinaus bereitet ein Getränkefachgroßhandels-Partner der Initiative gerade konkret den Betrieb eines eigenen Becherpools vor. Das ist ein riesiges Potenzial für Zusatzeinkünfte.
Getränke News: Ist das nicht eher theoretisch? Die Becher gehen doch verloren bzw. reisen durch das Land.
Maßen: Eben nicht. Wenn ich als Verwender den Behälter nach Gebrauch in Armeslänge zurückgeben kann, ist der Radius sehr überschaubar. Es gibt minimalen Austrag und Eintrag von Behältern in den relevanten Raum, aber einen großen Bedarf an Mengenausgleich. Das Geschehen ist sehr lokal und ein Micromarkt, was unser Projekt in Mainz und Wiesbaden gezeigt hat. Kommunen haben sehr gute Gestaltungsmöglichkeiten und sollten die lokalen Mehrwegprofis einbeziehen, um eine gute Versorgungsbasis und eine verbraucherfreundliche, übergreifende Rücknahme zu schaffen.
Getränke News: Die Rückgabe von Mehrweg bleibt aber trotzdem aufwändig. Weshalb sollten sie externe Dienstleister nutzen?
Reiche: Aktuell dominieren individuelle Mehrweglösungen den Markt. Nach unseren Schätzungen haben sich gerade einmal 17 Prozent der betroffenen Betriebe für einen organisierten Mehrweganbieter entschieden. Wir gehen von einer Konzentration in Märkten mit Verpackungssteuer aus, was Betriebe mit einem individuellen Mehrwegangebot durch die erhöhte Nachfrage unter Druck setzen wird. Ein wichtiges Argument ist das Fehlen und die hohe Fluktuation von Fachpersonal in der Gastronomie. Auch der mit Mehrweg verbundene Aufwand beim Spülen spricht dafür, sich Unterstützung zu holen.
Zudem muss das Geschirr bei der aktuellen Praxis des „über die Straße Tauschens“ bei organisierten Mehrwegangeboten erneut gereinigt werden, um die Hygieneanforderungen zu erfüllen. Hier wird die Ökobilanz von Mehrweg ungünstig beeinflusst. Die betroffenen Betriebe wollen sich um ihr Kerngeschäft kümmern und keine Mehrweglogistiker werden. Ein wettbewerbsfähiges Angebot für externe Reinigung ist eine gute Möglichkeit, diese Herausforderung an lokale Unternehmen auszulagern und mit professionellen gewerblichen Spülangeboten ein hohes Maß an Lebensmittelhygiene zu gewährleisten.
Getränke News: Wie ist Ihr Kontakt zu Kommunen?
Reiche: Nach unserem Projekt in Mainz und Wiesbaden sind weitere sehr spannende Projekte am Start. Conet berät unter anderem die Stadt Freiburg, die sich intensiv mit dem Thema Mehrweginfrastruktur befasst. Das Interesse ist hoch und wir stehen im konkreten Austausch mit mehreren weiteren Kommunen.
Getränke News: Wie wollen Sie die Reinigungsinfrastruktur bereitstellen?
Maßen: Zusammen mit einem Hersteller gewerblicher Spülmaschinen und einem bedeutenden und sehr bekannten Partner aus der Sozialwirtschaft sind wir dabei, ein nationales Spülnetzwerk zu entwickeln. Mehr können wir dazu leider noch nicht verraten. Aber das ist das erste große Projekt, in dem Nachhaltigkeit, Inklusion und Wirtschaft in einem nationalen Rahmen zusammengebracht werden.
Zum Unternehmen
Reusable To-Go ist ein Zusammenschluss von Mehrweganbietern, Produzenten, Herstellern von Spülmaschinen und Automaten, IT-Lösungsanbietern und Logistikern. Sein Ziel ist der Aufbau einer flächendeckenden offenen Mehrweg To-Go-Abwicklung auf der Basis existierender Transport-, Reinigungs- und IT-Strukturen im Wettbewerb.
Unsere Gesprächspartner
Frank Maßen (Gesellschafter der Reusable To-Go GmbH) und Dr. Robert Reiche (Experte für Kreislaufwirtschaft bei Conet Solutions GmbH) gehören zu den Gründern der Initiative, Christian Kühnhold ist Geschäftsführer der Reusable To-Go GmbH.