„Nicht zum Affen machen“
„Der Gesetzgeber muss die Mehrwegquote stärker am Markt durchsetzen.“ Das fordert Günther Guder, Vorsitzender des Vereins „Pro Mehrweg“, im Gespräch mit Getränke News.
Getränke News: Die Kampagne „Mehrweg ist Klimaschutz“ ist bereits zwölf Jahre alt, aber aktueller denn je. Wie konkret ist der Klimaschutz durch Mehrweg?
Guder: Zu den Klimaschutzeffekten gibt es eine sehr interessante Berechnung: Würde man alle alkoholfreien Getränke ausschließlich in Mehrweg- statt in Einwegflaschen abfüllen, ließen sich pro Jahr 1,35 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Das entspricht dem CO2-Ausstoß von 880.000 Mittelklassewagen, die im Durchschnitt 13.000 km pro Jahr fahren. Ich denke, besser und aktueller kann man den Vorteil von Mehrweg in Sachen Klimaschutz nicht ausdrücken.
Grundsätzlich gelten jedoch die Prinzipien der Europäischen Abfallhierarchie „Vermeidung vor Verwertung“. Der beste Abfall ist also der, der gar nicht anfällt. Diesem Grundsatz folgend, steht für mich seit Jahren die Verwendung von Mehrweg-Getränkeverpackungen vor dem Einsatz von Einwegverpackungen.
Getränke News: Die Getränkedose ist weiter auf dem Vormarsch. Die Verbände der Mehrweg-Allianz fordern eine zusätzliche Abgabe von mindestens 20 Cent. Gibt es dazu Alternativen?
Guder: EU-Kommissar Oettinger hat bereits im letzten Jahr eine Plastiksteuer ins Gespräch gebracht, die letztlich unserer Forderung entspricht. Wenn also Hersteller und große Handelsketten die Vorgaben des aktuellen Verpackungsgesetzes mit einer Mehrwegquote von 70 Prozent ignorieren und weiter munter oder sogar verstärkt Einweg abfüllen und vertreiben, kann sich der Gesetzgeber eigentlich nicht „zum Affen machen lassen“ und muss dieses Verhalten sanktionieren. Welche Wirkung eine Steuer oder Abgabe entfalten kann, hat sehr eindrucksvoll die Entwicklung bei den Alkopops gezeigt. Der Endverbraucher, der nicht bereit ist, die Abgabe zu zahlen, könnte alternativ auf Mehrwegprodukte zurückgreifen. Diese sind ja seit Januar 2019 in den Geschäften deutlich gekennzeichnet.
Getränke News: Laut Dosenindustrie sind das geringe Gewicht der Dose und ihre nahezu 100-prozentige Recyclingfähigkeit enorme Vorteile. Also ist doch die Dose gar nicht so übel?
Guder: Der immerwährende Kreislauf beim Recycling der Dose ist aus meiner Sicht eine Mär. Bei den Aufbereitungs- und Schmelzprozessen geht sukzessive Material verloren. Außerdem ist der Einsatz von Recyclingmaterial kein Alleinstellungsmerkmal des Dosenrecyclings. Mehrwegflaschen aus Glas dienen nach einem deutlich längeren Produktleben von bis zu 50 Umläufen pro Flasche ebenfalls zur Herstellung neuer Flaschen. Der vermeintliche Vorteil der Einsparungen beim Gewicht der Dose wird auch durch die Einführung von zunehmend kleineren Portionsgrößen konterkariert. Zudem wird auch das Gewicht von Mehrwegflaschen stetig optimiert. So ist eine aktuelle GDB-Poolflasche aus Glas etwa neun Prozent leichter als früher.
Getränke News: Im Internet suggeriert die Einweg-Lobby, Günther Guder beziehe sich auf veraltete Ökobilanzen. Von wann sind denn Ihre Zahlen?
Guder: Nur weil die letzten vom Ministerium in Auftrag gegebenen Ökobilanzen schon einige Jahre zurückliegen, sind sie nicht falsch. Der Hinweis auf das Alter soll wohl suggerieren, dass zwischenzeitlich allein bei Einweg positive Entwicklungen zu verzeichnen sind, während bei Mehrweg Stillstand herrscht. Dem ist aber nicht so. Die Verringerung des Gewichts habe ich bereits angesprochen. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Entwicklungen, die sich positiv auf das Mehrwegsystem auswirken. Waschprozesse wurden technisch und energetisch optimiert, ebenso die Sortierung von Leergut durch Installation modernster Sortieranlagen. Eine moderne Flaschenreinigungsmaschine benötigt heute nur noch ein Viertel bis ein Drittel des Wassers früherer Anlagen.
Getränke News: Durch die gestiegene Komplexität stößt unser Mehrwegsystem an seine Grenzen. Welche Veränderungen sind notwendig?
Guder: Der Jahrhundertsommer 2018 hat in der Tat einige Schwächen offenbart, die es gemeinschaftlich zu beheben gilt. Erfreulicherweise gibt es auch schon einige Ansätze, die allerdings stärker koordiniert werden müssten. So ist aus meiner Sicht die nachhaltige Umsetzung der Inhalte des Positionspapiers „Pro Mehrweg“ aus dem Arbeitskreis bei GS1-Germany durch alle Beteiligten nötig. Es sollte zudem über den verstärkten Einsatz von neutralen Ladungsträgern zum Beispiel bei der Anlieferung von Six-Packs bei Bier und zur Entsorgung von Leergut aus dem Lebensmitteleinzelhandel in Richtung Getränkefachgroßhandel bzw. Sortierdienstleister kurzfristig Einvernehmen erzielt werden. Ein Arbeitskreis bei der VLB (Versuchs- und Lehranstalt für Brauereien in Berlin, die Red.) befasst sich meines Wissens bereits mit den Optionen der Digitalisierung im Bereich des Vollgut- und Leergutmanagements.
Getränke News: Wird das reichen, dass das Mehrwegsystem auch zukünftig leistungsfähig ist?
Guder: Die Branche muss sich meines Erachtens über weitere Maßnahmen verständigen, die die Zukunftsfähigkeit des Systems zum Nutzen aller garantieren. Dazu gehört aus meiner Sicht ein Stopp weiterer Individualisierungen von Gebinden im Brauerei-, Brunnen- und Erfrischungsgetränkebereich und die verstärkte Nutzung bereits bestehender Pool-Mehrweggebinde. Es sollte auch weiterhin über die Einführung einer neuen Mehrweg-Poolflasche für Bier mit Poolmanagement diskutiert werden. Außerdem ist eine Erhöhung der Transparenz für den Endverbraucher durch generelle Kennzeichnung am Produkt und Information über Kampagnen wie „Mehrweg ist Klimaschutz“ notwendig.
Der Verband Pro Mehrweg ruft daher alle Marktbeteiligten, Verbände und Institutionen dazu auf, sich aktiv an diesen Diskussionen zu beteiligen. Wir müssen es schaffen, nicht nur über die bestehenden Herausforderungen zu sprechen, sondern gemeinsame Lösungen zu erarbeiten. Die GS1-Germany oder aber auch die VLB könnten dazu den neutralen Rahmen bieten.
Günther Guder
Günther Guder (66) stand mehr als 23 Jahre an der Spitze des Bundesverbands des Deutschen Getränkefachgroßhandels (GFGH-Bundesverbands). Zum 31. Juli verabschiedet er sich aus dieser Position in den Ruhestand, bleibt jedoch Vorstand und Geschäftsführer des Vereins Pro Mehrweg.
Guder begann seine Karriere 1978 als Prokurist bei der Brau-Ring Kooperation. Es folgten verschiedene Führungspositionen in Öffentlichkeitsarbeit und Marketing beim Einbecker Brauhaus, der Licher Privatbrauerei und bei Dinckelacker.
1996 wurde der Diplombetriebswirt Geschäftsführer und Vorstandsmitglied des Vereins Pro Mehrweg, gleichzeitig trat er als Hauptgeschäftsführer des GFGH-Bundesverbands an.
Mit dem Abschluss der Neustrukturierung und Zentralisierung des Bundesverbands wurde er 2004 dessen alleiniger geschäftsführender Vorstand. Im selben Jahr übernahm er auch als Vizepräsident Verantwortung beim Cegrobb, dem Zusammenschluss der Verbände des GFGHs auf europäischer Ebene. Seit 2011 steht er diesem als Präsident vor.
Verein „Pro Mehrweg“
Der 1983 gegründete Verein tritt überall dort für den Einsatz von Mehrweggebinden ein, wo sie ökologisch und ökonomisch sinnvoll sind. Konkret will er den Einsatz von Mehrweg-Getränkeverpackungen bei Getränkeherstellern sowie im Groß- und Einzelhandel fördern. Um zudem auch Konsumenten von den Vorteilen von Mehrweg zu überzeugen, pflegt der Verein den Dialog mit relevanten Gruppen der Öffentlichkeit.
Zu den Aufgaben gehört nach Auskunft von Pro Mehrweg ebenfalls die Beratung der gesetzgebenden und ausführenden Organe auf europäischer, bundesdeutscher und Länderebene in Bezug auf juristische, ökologische und ökonomische Fragen und Entscheidungen, wie z.B. die Verpackungsverordnung oder das Kreislaufwirtschaftsgesetz.
Mitglieder von Pro Mehrweg sind rund 100 Unternehmen und Verbände aus der Getränkeindustrie, dem Getränkefachgroß- und -einzelhandel. Als Partner fungieren neben dem GFGH-Bundesverband die Deutsche Umwelthilfe, der Bundesverband der mittelständischen Privatbrauereien, Göttsche Getränke, der Verband des Deutschen Getränke-Einzelhandels, die Genossenschaft Deutscher Brunnen (GDB) und die Geva.