Verschoben, abgesagt, digitalisiert: Messen gehören zweifellos zu den am schlimmsten von der Corona-Pandemie gebeutelten Unternehmungen. Doch jetzt geht es endlich wieder los: Als eine der ersten Fachmessen der Branche fand letzte Woche nach drei Jahren die Internorga wieder statt. Entsprechend groß ist die Euphorie. Es sei „ein großartiges Wiedersehen“ gewesen, zeigt sich Hamburg Messe und Congress „unglaublich glücklich“, der Branche endlich wieder eine „wichtige und wertvolle Plattform und Bühne“ geben zu können.
Die Begeisterung kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Messemotor zunächst nur ruckelnd anlief. Noch ist Corona nicht Geschichte – und entsprechend zögerlich zeigten sich immer noch Aussteller wie Besucher. Nur 950 Firmen präsentierten in diesem Jahr ihre Waren und Dienstleistungen – nach 1.300 zur letzten Internorga im Jahr 2019. Noch stärker gingen die Besucherzahlen zurück: Gerade einmal 48.000 konnte der Veranstalter zählen – halb so viele wie 2019.
Wird bald alles wieder „wie früher“?
Liegt es tatsächlich allein an der anhaltenden Pandemie oder müssen sich Messen sorgen, dass große Unternehmen längerfristig fernbleiben? In Hamburg zeigt man sich auf Anfrage von Getränke News optimistisch. Die Ausfälle seien auf die aktuelle wirtschaftliche Lage und die coronabedingten Planungsunsicherheiten zurückzuführen, glaubt Claudia Johannsen, Geschäftsbereichsleiterin bei Hamburg Messe und Congress. Es sei allen Beteiligten klar gewesen, dass – angesichts des seit zwei Jahren anhaltenden „Ausnahmezustands“ – ein Ergebnis wie vor der Pandemie nicht zu erwarten sei.
„Wir glauben an Messen, an die persönlichen Begegnungen und den Austausch“, unterstreicht Johannsen. Das sei ihr in den letzten Tagen auch von „unzähligen“ Ausstellern gespiegelt worden, „die sehr froh waren, dass die Internorga endlich wieder stattgefunden hat“.
Ob für die Messen allerdings bald wieder alles läuft wie früher, darf bezweifelt werden – jedenfalls, wenn man einer Konjunkturumfrage glauben will, die das Ifo-Institut bereits im August 2020 durchgeführt hat. Die Messegesellschaften müssten sich nach Corona „auf ein schwieriges Geschäft einstellen“, heißt es darin. 39 Prozent der Industriefirmen, die bislang auf Fachmessen ausgestellt hätten, wollten ihre Teilnahme verringern. Insbesondere größere Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten planen demnach, ihre Auftritte zurückzufahren. Ebenfalls alarmierend: 48 Prozent der Befragten gaben an, ihr Verzicht auf Messeteilnahmen habe keine wirtschaftlichen Einbußen zur Folge gehabt.
Getränke-Abwanderung schon vor über zehn Jahren
Wenn auch die Internorga für viele Lieferanten der Gastronomie und Hotellerie bis heute ein absolutes „Must“ ist – für die großen Player bei Bier, Limonade & Co ist sie es längst nicht mehr. In der Getränkebranche war ein Trend zur Abwanderung bereits viele Jahre vor Corona zu erkennen. Traf man Anfang der 2000er Jahre noch praktisch alle namhaften Großbrauereien, Brunnen und Erfrischungsgetränkehersteller in Hamburg, hält heute nur noch Coca-Cola die Stellung. Und ob die erstmalige Teilnahme von Red Bull ein Zeichen für eine Trendwende ist, darf wohl auch bezweifelt werden.
An die Zeiten, in denen es zu bröckeln begann, erinnert sich Herbert Sollich, Marketingdirektor der Brauerei Veltins: Bereits 2009 sei es notwendig geworden, „die Marktrealität von Messen neu zu bewerten“. Und er konkretisiert: „Durch den lückenlosen Aufbau einer Vertriebsorganisation hat der Markenartikler ohnehin sein potenzielles Kundennetzwerk im Blick.“
Auch für Veltins sei der Kontakt zu den Partnern in Gastronomie und Handel gewährleistet. Gegen das Prinzip der Fachmesse will sich der Veltins-Manager gleichwohl nicht prinzipiell aussprechen; sie habe „immer noch ihre Existenzberechtigung“. Unverzichtbar ist sie demnach wohl vor allem für kleinere Unternehmen ohne oder mit lediglich kleinem Außendienst, die auf die Messen als Order- und Verkaufsplattform angewiesen sind.
Große Markenartikler bei Prowein abwesend
Diese Annahme bestätigt auch ein Blick in die Ausstellerliste der Prowein, die am kommenden Sonntag beginnt. Nach 6.900 Austellern im Vor-Corona-Jahr haben sich für die kommende Veranstaltung zwar immerhin 5.500 Unternehmen angekündigt. Wer auch hier allerdings fehlt, sind „die Großen“: Henkell Freixenet verzichtet 2022 auf den gewohnten stattlichen Auftritt und reist nur mit einem kleinen Exportstand nach Düsseldorf, Rotkäppchen-Mumm und Schloss Wachenheim bleiben der Messe in diesem Jahr ganz fern. Ebenso die Weinkellereien Zimmermann-Graeff & Müller (ZGM), Reh Kendermann und Peter Mertes sowie die großen Winzergenossenschaft Badischer Winzerkeller und Deutsches Weintor.
Bei der Messe Düsseldorf gibt man sich dennoch optimistisch. In der Abwesenheit der Markenartikler sehe man „keine Bewegung gegen die Prowein, sondern eine Momentaufnahme, geprägt durch eine besondere Situation“, sagt Michael Degen, Executive Director der Messe Düsseldorf. Er freue sich über „die gute Resonanz“ und sehe die Prowein „nach wie vor auf einem guten Kurs“. Keine andere Veranstaltung weltweit biete ein so umfassendes Produktspektrum und eine derart große Internationalität, so Degen.
Wer die Getränkebranche bereits länger begleitet, erinnert sich allerdings, dass die Düsseldorfer Messe in den frühen 2000er Jahren auch für die großen Spirituosenanbieter als völlig unverzichtbar galt. Als sich aber das erste Unternehmen zurückzog, löste dies, ähnlich wie im Falle der Internorga, einen Dominoeffekt aus, und wenig später hatten sich die führenden Unternehmen vom Düsseldorfer Messeparkett verabschiedet.
Hoffen auf ein besseres Jahr 2023
Kommt die Prowein möglicherweise jetzt auch bei den großen Wein- und Sekthäusern auf den Prüfstand? Das ist aktuell noch nicht abzusehen. Der Hauptgrund für die Absage sei die unklare Corona-Lage zur Zeit der Messeplanung gewesen, erläutert etwa Leo Korn, Gesamtleiter Vertrieb und Marketing von ZGM. „Es war sehr lange unklar, welche Teilnehmer überhaupt aus der ganzen Welt anreisen können und welche Einschränkungen gelten würden“, so Korn.
Bei ZGM sehe man die Prowein nach wie vor als „die Leitmesse im Weinbereich“ an. Insbesondere für den Export habe sie eine wichtige Bedeutung, „da wir hier unsere Kunden aus aller Welt innerhalb von drei Tagen treffen können“. Daher hofft die Kellerei laut Korn für 2023 auf „eine entspanntere Situation, die eine Rückkehr zur Normalität wieder möglich werden lässt“.
Etwas zurückhaltender äußert sich Oliver Gloden, Vorstandssprecher von Schloss Wachenheim. Er führt als Grund für die Absage zwar ebenfalls die unsichere Situation zum Zeitpunkt des Anmeldeschlusses ins Feld; wie es für die Sektkellerei mit der Messe weitergehen soll, steht aber keineswegs fest. „Für die Zukunft werden wir uns das Messemodell, die Besucher und Aussteller nochmal genau anschauen und erneut unsere Teilnahme abwägen“, sagt Gloden.
Wie wichtig werden digitale Formate?
Eine zentrale Frage wird wohl künftig sein, welche Bedeutung digitale Formate erlangen, die durch die Coronakrise enorme Beachtung und auch eine schnelle Weiterentwicklung erfuhren. Laut der Befragung des Ifo-Instituts von 2020 wollen 65 Prozent der Unternehmen, die bei Fachmessen ausstellen, diese Möglichkeiten in Zukunft stärker nutzen. Auch hier liegen die großen Firmen ab 500 Mitarbeitern vorn.
Wie so etwas funktionieren kann, machte im Sommer 2020 die Nürnberger Verbundgruppe GES – zumindest im kleinen Maßstab – klar: Zusammen mit einem auf Virtual- und Augmented-Reality spezialisierten Partner stampfte sie binnen kurzer Frist eine virtuelle „Pro Fachhandel“ aus dem Boden. Unter anderem konnten die „Besucher“ Infos über Innovationen downloaden, Chatrooms besuchen oder an virtuellen Meetings mit ihren Lieferanten teilnehmen. Das Projekt fand in der Branche reges Interesse und viel Lob, am Ende stand jedoch die Erkenntnis, dass solch ein Format eine „echte“ Messe nicht ersetzen kann. Schließlich wolle jeder doch Genusswelten und Menschen wieder real erleben, so das Fazit des Veranstalters.
„Digitale Werkzeuge sind hilfreiche Ergänzungen“, meint auch Michael Degen von der Messe Düsseldorf. „Der Kern einer Messe aber ist das persönliche Treffen“, hofft er auf bessere Zeiten für die Prowein. So rasant wie die Digitalisierung im Moment voranschreitet, könnte sich das natürlich ändern. Sollte das „Metaverse“ –Mark Zuckerbergs Traum vom dreidimensionalen Internet – tatsächlich Realität werden, wird man vielleicht über Messen noch einmal ganz neu nachdenken müssen.