Stagnierende Märkte, einengende Zölle, politischer Druck auf Alkoholerzeuger: Die Spirituosenbranche bewegt sich auch 2025 in schwerem Fahrwasser. Getränke News fragte Ulrich Adam, Geschäftsführer des europäischen Spirituosenverbands Spirits Europe, wie sich der Sektor in Krisenzeiten behauptet.
Getränke News: Ende November hat Spirits Europe seinen Zukunftsfahrplan „Objective 2030“ vorgestellt. Was war der Anlass dafür und was sind die wichtigsten Inhalte?
Adam: Mit dem Papier wollen wir – anlässlich der Wahl der neuen EU-Kommission – auf die immensen Herausforderungen hinweisen, vor denen unsere Branche steht. Wir haben viele starke Firmen und Marken, sorgen für ein enormes Steueraufkommen und stehen für zahllose Arbeitsplätze im ländlichen Raum. Der Sektor ist also sehr wettbewerbsfähig und hat ein hohes Maß an Resilienz. Die langanhaltenden Krisen gehen dennoch an die Substanz.
Fest steht auch: Die Märkte in Europa machen keine großen Sprünge. In Zeiten mit geopolitischen Spannungen und einer weltweit schwachen Konjunktur mit steigenden Kosten, hohen Preisen und geringer Kaufkraft brauchen wir dringend verlässliche Rahmenbedingungen und eine proaktive, ambitionierte EU-Außenhandelspolitik.
Getränke News: Was fordern Sie von der EU-Politik?
Adam: Die höchsten Wachstumsraten der Welt gibt es nicht mehr in der EU. Hier können die Hersteller sich auch nicht leisten, an der Preisschraube zu drehen – angesichts eines hochkompetitiven Lebensmittelhandels führen Preiserhöhungen direkt zu Marktanteilsverlusten.
Die EU muss daher versuchen, in Drittländern Möglichkeiten des Marktzugangs zu erleichtern. Wo auch immer man in der Welt reist, sieht man, dass die aufstrebende Mittelschicht europäische Qualitätslebensmittel wie Spirituosen nachfragt. Wir haben ein reiches kulinarisches Erbe, das überall auf der Welt geschätzt wird. Chancen gibt es also ausreichend. Um sie zu nutzen, brauchen wir in den kommenden fünf Jahren eine klare und proaktive EU-Handelspolitik.
Getränke News: Was meinen Sie konkret?
Adam: Als stark exportorientierte Branche sind wir auf positive Marktzugangsbedingungen in Drittländern angewiesen. Wir sehen natürlich, dass das in der angespannten geopolitischen Lage schwieriger geworden ist und die Handelspolitik insgesamt wieder von einer sehr viel defensiveren Denkseite geprägt wird. Doch gerade in solchen Zeiten brauchen europäische Erfolgssektoren wie Qualitätslebensmittel und Spirituosen im Export jetzt dringend konkrete Perspektiven in der EU-Handelspolitik.
Getränke News: Ist das gerade beschlossene Mercosur-Abkommen vor diesem Hintergrund ein Lichtblick?
Adam: Es ist ein positives politisches Signal, bis zur vollen Ratifizierung wird aber wohl noch einige Zeit vergehen. Insgesamt wurde 25 Jahre an Mercosur verhandelt, da fragt man sich schon, ob das nicht etwas schneller hätte gehen können.
Sehr gut an dem Handelsabkommen ist für uns, dass die verbliebenen Zölle für Spirituosen über vier Jahre abgebaut werden und ein besserer Schutz geografischer Herkunftsbezeichnungen erreicht wird. Durch die historische Emigration vieler Europäer in die lateinamerikanischen Staaten gibt es dort einige Spirituosenkategorien und -produkte mit gleichen oder ähnlich lautenden Namen, da ist eine klarere Abgrenzung sehr wichtig.
Zu den stärksten Märkten für Spirituosen zählen die beteiligten Länder aber – noch – nicht. Auch wenn durch das Mercosur-Abkommen faire und verlässliche Zugangskonditionen erreicht werden, wird der Markenaufbau dort also noch viel unternehmerische Geduld und Investitionen erfordern.
Getränke News: Der stärkste Markt für Spirituosen aus der Europäischen Union sind die USA. Wie wird sich die erneute Präsidentschaft Donalds Trumps auf Ihren Sektor auswirken?
Adam: Die USA exportieren auch viel in die EU, daher arbeiten wir eng mit den US-Kollegen zusammen, um das transatlantische Verhältnis reibungslos zu gestalten. Bereits seit 1997 besteht ein nahezu zollfreier Handel mit Spirituosen zwischen EU und USA, seitdem hatten wir ein Wachstum von mehr als 450 Prozent.
Es gibt allerdings zwei laufende, ungelöste Handelsstreitigkeiten zwischen der EU und den USA, in die Spirituosen einbezogen wurden – eines betrifft den Handel mit Stahl und Aluminium: Unter der ersten Trump-Regierung wurden 2018 Strafzölle gegenüber der EU erhoben, die EU reagierte mit Gegenzöllen, unter anderem auf Bourbon Whiskey. Die Biden-Regierung einigte sich mit der EU 2021 auf eine temporäre Aussetzung der Zölle. Die EU-Frist dafür läuft am 31. März aus, die EU könnte den Termin aber verschieben, darauf hoffen wir. Im schlimmsten Falle würden sonst ab 1. April 50 Prozent Zölle auf Bourbon-Whiskey drohen – ein Horrorszenario.
Getränke News: Und was ist der zweite offene Streit?
Adam: Der Streit rund um Zivilflugzeuge: Wegen nach ihrer Ansicht nach unerlaubten Subventionen für Boeing hatte die EU Strafzölle auf US-Importe eingeführt, von denen auch Spirituosen betroffen waren – mit 25 Prozent auf Rum, Wodka und andere Spirituosen aus den USA. Auch diese Zölle wurden 2021 glücklicherweise wieder ausgesetzt, wie es nun weitergeht, soll sich im Juni 2026 entscheiden. Auch da könnten wir also erneut mit reingezogen werden.
Eine dritte Unsicherheit ist, dass Trump überlegt, Grundzölle von zehn bis 20 Prozent einzuführen, die auf alle in die USA eingeführten Produkte erhoben werden könnten. Ein Stück weit sind solche Ankündigungen natürlich politische Rhetorik, aber sie können schnell zu erheblicher wirtschaftlicher Verunsicherung führen – deshalb brauchen wir da jetzt schnell eine klare Einigung.
Eins ist aber auch klar: In puncto transatlantische Partnerschaft sind 80 Prozent der Kooperationsthemen positiv besetzt, und dazu gehören auch die Spirituosen. Die europäische und US-amerikanische Politik muss sicherstellen, dass die verbliebenen übrigen 20 Prozent an transatlantischen Problemfeldern nicht die Vielzahl an Themen und Bereichen in der transatlantischen Partnerschaft gefährden, die gut und reibungslos laufen. Für Spirituosen ist der gegenseitige zollfreie Marktzugang äußerst wichtig.
Getränke News: Ihr Verband klagte kürzlich auch über chinesische Strafzölle. Inwieweit betreffen sie die Spirituosenbranche?
Adam: Das ist eine sehr schlimme Situation. Auch da wurden wir in einen Handelskonflikt mit hineingezogen, mit dem wir eigentlich nichts zu tun haben. Als Reaktion auf die EU-Strafzölle auf chinesische E-Autos entschied China im Oktober, unsere Exporte von Cognac und Armagnac vorläufig mit Zöllen von durchschnittlich 34 Prozent zu belegen. Das war für die betroffenen Unternehmen ein schwerer Schlag, zumal China für die europäische Spirituosenbranche der zweitgrößte Exportmarkt ist.
Wir appellieren daher an die Politik, sich dringend um eine Verhandlungslösung zu bemühen, damit die Zölle so schnell wie möglich wieder abgeschafft werden können. Ob und wann es eine solche Einigung geben kann, ist aber derzeit unklar.
Getränke News: Für eine gewisse Unsicherheit sorgt ja immer auch die EU-Alkoholpolitik. Welche Entwicklung erwarten Sie da im kommenden Jahr?
Adam: Wir beobachten hier zwei auseinanderdriftende Positionen: Auf der einen Seite stehen die WHO und einige andere Akteure in der Public-Health-Community, die sich auf den Standpunkt „No safe level“ versteifen, also die Ansicht vertreten, dass es überhaupt keinen risikofreien Alkoholkonsum gäbe.
Andererseits nehmen wir inzwischen einen neuen Realismus in der Politik wahr, die klarer prüfen möchte, welche konkreten Maßnahmen und Konzepte uns tatsächlich in der Alkoholpolitik weiterbringen könnten.
Generell bleibt festzustellen, dass wir in den meisten Teilen Europas im Großen und Ganzen auf einem guten Weg sind: Die jungen Menschen trinken weniger Alkohol, und das Binge-Drinking ist auch zurückgegangen. Natürlich darf man nicht die Hände in den Schoß legen, aber es besteht auch kein Grund für alarmistisches Handeln.
Wir hoffen nun auf eine konstruktive Debatte mit der Erarbeitung von Lösungsvorschlägen, die ausgewogen, evidenzbasiert und verhältnismäßig sind. Eine extreme Richtung können wir jedenfalls nicht akzeptieren. Wir als Hersteller wollen diese Prozesse weiterhin konstruktiv und proaktiv begleiten. Beim Beispiel Etikettierung und Verbraucherinformation haben wir ja schon gezeigt, dass wir auch ohne neue Gesetze in freiwilliger Selbstregulierung Konsumenten produktspezifisch Brennwert und die Zutatenliste bereitstellen und ihnen so dabei helfen, informierte Entscheidungen in Eigenverantwortung zu treffen.
Getränke News: Seit in Deutschland die DGE – und international die WHO – einen vollständigen Verzicht auf Alkohol propagiert, sind die Zeitungen voll von Artikeln und Interviews, die genau diese Sichtweise multiplizieren. Schätzen Sie den Megatrend zu einer gesunden Lebensweise als eine ernsthafte Gefahr für die Branche ein?
Adam: Nein. Die Konsumenten handeln ja nicht so überzogen wie die Medien. Und die Spirituose kann sich den veränderten Verbrauchererwartungen sehr gut anpassen. Viele trinken weniger, aber in besserer Qualität. Auch im No- und Low-Bereich kann die Spirituose sehr gut mitspielen, es gibt inzwischen eine ganze Bandbreite beim Alkoholgehalt, auch wenn man zum Beispiel an die Ready-to-drink-Produkte denkt. Auch Cocktails mit ihrer Möglichkeit zum Mixen bieten eine Vielfalt an Konsumvarianten. Für eine gepflegte Genusskultur sind wir in der Breite exzellent aufgestellt.