Anfang Juli fiel in Mainz und Wiesbaden der Startschuss für ein Pilotprojekt für Mehrweggeschirr im To-go-Geschäft. Mit dabei die Initiative Reusable To-go, die ermöglichen will, dass Verbraucher ihr Geschirr künftig „in Armeslänge“ an möglichst vielen Stellen zurückgeben können. Wie das Projekt angelaufen ist und was die größten Herausforderungen sind, darüber sprach Getränke News mit Frank Maßen, ehemaliger CEO von Carlsberg Deutschland, Trinks und Trinkkontor sowie Mitinitiator von Reusable To-go.
Getränke News: Wo steht der Pilotmarkt heute?
Maßen: Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren, unsere Initiative Reusable To-go ist mittlerweile eines von vielen Zahnrädern im Pilotprojekt „Mehrweg Modell Stadt“. Bis Ende November werden die rückverfolgbaren Sammelboxen und die Rücknahmesäulen einsatzbereit sein.
Nach dem Runden Tisch im August mit fast 70 externen Teilnehmern findet die zweite Auflage Mitte November statt. Die Maßnahmen zum Thema „Lückenschluss“, d.h. der Sicherstellung einer 100-prozentigen Mehrweg To-go-Verfügbarkeit in Mainz und Wiesbaden, laufen gerade an.
Getränke News: Was sind die größten Hürden bis hierhin?
Maßen: Um die Betriebe in Gastronomie und Handel zum Mitmachen zu bewegen, ist nach wie vor viel Überzeugungsarbeit notwendig. Die Betriebe haben aus ihrer Sicht bedeutsamere Herausforderungen zu lösen: Stichworte Mehrwertsteuer, Inflation, Personal, Energie, Beschaffungskosten. Gleichzeitig wird Mehrweg beim Geschirr von den Verbrauchern nach wie vor kaum nachgefragt.
Getränke News: Wie soll sich das ändern?
Maßen: Die Kommunen entdecken gerade die Einwegsteuer als Einnahmequelle für sich. Die Einführung einer Einwegsteuer von 50 Cent je Einweggeschirr, die die Stadt Tübingen seit Anfang 2022 nimmt, wird schon bald Nachahmer auf den Plan rufen. Auf die dann steigenden Mehrwegquoten müssen wir die Infrastrukturen vorbereiten.
Getränke News: Bisher gibt es keine konkreten Zahlen über den Anstieg der Mehrwegquoten in Tübingen infolge der Einwegsteuer. Was schätzen Sie?
Maßen: Wir haben Mitte August 35 Betriebe aus Tübingen nach ihren Mehrwegquoten gefragt; diese lag bei geschätzten 50 Prozent, eine Zahl, die uns involvierte Stellen als durchaus realistisch bestätigt haben. Zusätzlich haben wir noch Daten einer großen Bäckereikette erhalten, die 25 Cent mehr für Einwegbecher verlangt. Dort lag die Mehrwegquote bei 31 Prozent.
Getränke News: Was bedeutet das konkret für Kommunen?
Maßen: Umgerechnet auf die Einwohnerzahlen liegen die potenziellen Einnahmen aus einer Einwegsteuer ungefähr auf dem Niveau der sogenannten „Bettensteuer“. So hat beispielsweise eine Stadt mit einer Million Einwohner Einnahmen aus der Bettensteuer von über 14 Millionen Euro. Bei einer Einwegsteuer von 50 Cent je Einweggeschirr würde diese Stadt nach unseren Berechnungen ungefähr 10 bis 15 Millionen Euro mehr einnehmen. Bei den aktuell angespannten Haushalten der Kommunen wird das eine willkommene Einnahmequelle sein.
Getränke News: Wegen der Tübinger Verpackungssteuer klagt McDonalds jetzt vor dem Bundesverfassungsgericht.
Maßen: Richtig. Auch hier können wir auf Erfahrungswerte aus der Bettensteuereinführung zurückgreifen. Die Bettensteuer wurde von einzelnen Kommunen Anfang der 2010er-Jahre eingeführt. Erst 2022 hat das Bundesverfassungsgericht final entschieden, dass die Bettensteuer mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Eine Erhebung des Dehoga zeigt, dass 30 Kommunen mit ca. 10 Millionen Einwohnern dennoch bereits zwischen den 2010er-Jahren und 2022 die kommunale Steuer eingeführt haben. Warum sollte dies bei ungefähr gleichen Einkommenserwartungen und dem Druck auf die kommunalen Finanzhaushalte jetzt nicht auch passieren?
Getränke News: Hat das Einfluss auf Ihr Pilotprojekt?
Maßen: Glücklicherweise haben wir uns von Beginn an auf den regionalen Charakter von Mehrweg To-Go konzentriert. Das kommt uns in der neuen Lage sehr entgegen. Durch die unterschiedlichen Mehrwegquoten – selbst in benachbarten Städten – ergibt eine regionale Ausrichtung der Infrastrukturen noch mehr Sinn.
Gleichzeitig müssen wir unseren Ansatz schneller erweitern als geplant. Bislang stehen das Erproben der Schnittstellen und die Koordination der regionalen Infrastrukturen über das Mehrwegregister im Vordergrund. Ziel ist es nach wie vor, der Politik aus der betroffenen Wirtschaft heraus einen praktikablen und effizienten Vorschlag für die Anpassung des Verpackungsgesetzes mit dem Ziel höherer Mehrwegquoten zu machen.
Die Herausforderung wird sein, die durch eine Steuer schnell steigenden Mehrwegquoten mit der bestehenden Infrastruktur zu managen. Die ersten Modellrechnungen hierzu stehen. Eine gute Nachricht vorweg: Mit Mehrwegquoten jenseits der 50 Prozent sehen wir auch deutliche Kosteneffekte, bis hin zu Kostenvorteilen für kleine Betriebe durch eine externe Infrastrukturlösung gegenüber internem Handling.
Getränke News: Modellrechnungen sind das eine, die Realität vielleicht eine andere …
Maßen: Im ersten Halbjahr 2024 werden wir deshalb den Piloten ergänzen. Für einen Zeitraum von vier Wochen wollen wir möglichst viele Vertriebsstellen dafür gewinnen, einen gemeinsamen digitalisierten Mehrwegpool bei Bechern einzusetzen. Durch die Erfassung der Seriennummern und die Zuordnung der Nummern zu „virtuellen“ Pools können wir komplette Infrastrukturdaten erheben und Modelle rechnen. Auf dieser Basis können wir Bewegungsdaten und die daraus resultierenden Anforderungen an die Infrastrukturen sehen, ohne diese physisch vorhalten zu müssen. Das wäre ein Meilenstein.
Damit können wir jede Kommune bei der Einführung und Implementierung von Mehrwegmaßnahmen professionell und datenbasiert beraten und begleiten.
Gleichzeitig ergeben sich dadurch belastbare Fakten für die Verbände der Gastronomie und des Handels zur Formulierung ihrer Positionen hinsichtlich einer Beteiligung an den Einnahmen aus der kommunalen Einwegsteuer. Damit könnten sie ihre Mitgliedsbetriebe vor Ort unterstützen.
Getränke News: Mit wie viel Steuerabgaben pro Betrieb rechnen Sie?
Maßen: Wir gehen in einem realistischen Szenario davon aus, dass im Schnitt pro Betrieb ein Einwegsteueraufkommen von 5.000 Euro erzielt wird. Darüber hinaus erzielen Kommunen ab 2025 Einnahmen aus dem Einwegkunststofffond von über 5 Euro pro Einwohner. Die anfallenden Kosten durch ein externes Handling in einem offenen Rücknahmesystem schätzen wir auf ca. 2.000 Euro bei Zirkulation von 60 Prozent der Mehrweg-Becher. Die internen Handlingkosten inklusive Reinigung liegen bei kleineren Betrieben gemäß der Berechnung eines Spülmaschinenanbieters übrigens auch gerne einmal bei 51 Cent pro Becher.
Die Verbände haben also gute Gründe, schnellstmöglich die Gespräche mit den Kommunen zu suchen. Denn: Sind die nicht zweckgebundenen Steuereinahmen einmal verplant, wird es für die betroffenen Betriebe ganz schwer, aus diesen Töpfen noch finanzielle Unterstützung zu bekommen.
Über Reusable To-go:
Die Reusable To-go GmbH ist Mitbegründer und Mitglied der Initiative Reusable To-Go. Im Rahmen der Initiative wurde der Pilotmarkt „Mehrweg Modell Stadt“ in Mainz und Wiesbaden projektiert.
Der erweiterte Initiativbeirates Reusable To-go bestehend aus dem Verband Pro Mehrweg, dem Bundesverbandes Getränkefachgroßhandel, Dehoga Bundesverbandes, Arbeitskreises Mehrweg, Enfit e.V., dem Umweltministerium Hessen, dem Umweltministerium Rheinland-Pfalz sowie den Initiatoren Rudolf Behrens, Robert Reiche und Frank Maßen.
Teilnehmer aus der Wirtschaft sind die Unternehmen Interzero, Team Beverage, Conet IT-Beratungshaus, Trinkkontor, Wigem, Getränke Schneider, Cup & More, Wasto-Pac, Sykell – Einfach Mehrweg, Kooky, Nette Deutschland, Heag Faircup, Gastivo, Kollex, Colysis, RTI Blockchain, Bulkvision, Bekuplast und Dreiso.
In den unterschiedlichen Arbeitsgruppen beschäftigen sind ca. 60 Personen an den unterschiedlichsten Themen.
Ziel des geplanten Pilotmarktes in Mainz und Wiesbaden ist es, dass jeder Konsument seine Mehrweg To-go-Verpackungen in „Armeslänge“, unabhängig vom Systemanbieter, an möglichst vielen Rückgabepunkten und -automaten, präferiert mit einer einfachen digitalen Abwicklung, zurückgeben können soll. Dabei wird auf existierende Infrastrukturlösungen in Transport, Reinigung und IT zurückgegriffen.