Gerade noch rollt die Sortenwelle des Hellen deutschlandweit auf ihren Höhepunkt zu, da lässt Warsteiner einen bemerkenswerten Versuchsballon starten: Mit dem „Warsteiner Extra“, einem Pilsener mit einem Alkoholgehalt von 2,5 Volumenprozent, reanimieren die Sauerländer das Leichtbier der Neunzigerjahre. Die Kernfrage: Ruft der Verbraucher wieder nach puristischen Bieren mit Alkoholreduzierung? Getränke News beleuchtet das Auf und Ab des Leichtbiermarktes und seine neuerlichen Chancen.
Newcomer weckt Erwartungen
Die Überraschung war gelungen! An ein Leichtbier hätten die Gäste – darunter zahlreiche markterfahrene Getränkefachgroßhändler – bei der lang vorher angekündigten Produktpräsentation in der Warsteiner Welt nun wirklich nicht gedacht. Kein Wunder also, dass die Meinung über die Marktchancen weit auseinander gehen. Die einen sehen in dem neuen Leichtbier aus Warsteiner Sudkesseln eine echte Chance, die anderen bezweifeln den von Endverbrauchern erkennbaren Nutzwert von halb so viel Alkohol zum gleichen Preis wie dem für ein normales Pils.
Offensichtlich ein erklärungsbedürftiges Bier – das Warsteiner Extra weckt jedenfalls Erwartungen. „Damit werden wir auf dem Biermarkt auch neue Impulse setzen“, ist Andreas von Grabowiecki, Marketing-Direktor der Haus Cramer Gruppe, überzeugt. „Im Rahmen unserer gerade gestarteten Markenkampagne wird auch unser Warsteiner Extra ab Mai mit einem eigenen Spot im TV, OOH, Digital sowie Mobile und Social Media beworben“, so Grabowiecki gegenüber Getränke News. Ob die Botschaft der flankierenden Kommunikation beim Verbraucher nachhaltig verfängt, wird sich zeigen.
Leichtbier-Trend erlebte seinen Niedergang
Tatsächlich erlebte das in den späten Achtzigerjahren zum zweiten Mal gestartete Leichtbier-Segment nach der Jahrtausendwende einen Niedergang, der weniger mit dem Geschmack als vielmehr mit der unerfüllten Erwartung der Verbraucher zu tun hatte. In dieser Zeit wurde der Biermarkt regelrecht von Leichtbieren überflutet. Sie hießen Henninger Leichtes, Remmer Light, Gilde Light, Gräfelfinger leichtes Pils, Fairlight, Bitburger Light und Dinkel Leicht. Auch Holsten Light, Jever Light, Licher Leicht und Paulaner Leicht buhlten um die Aufmerksamkeit der Verwender. Der Großteil davon ist längst Geschichte. Lediglich Bitburger Leichtes sowie Jever Light und Stades Light aus dem Oetker-Vertriebskoffer spielen noch eine nennenswerte Rolle. Der Marktanteil im nationalen Sortenmix rangiert mit 0,4 Prozent auf Nischenniveau.
Optische Nähe zu Beck’s Gold
Jetzt also ein Neustart: Das Warsteiner Marketing will einen aufflammenden Sortentrend identifiziert haben. Und die Warsteiner Brauerei tut das, was Albert Cramer vor mehr als 30 Jahren schon einmal in ein Markenkorsett gegossen hatte. Der damalige Inhaber nannte „sein Kind“ mit „Warsteiner Light“ gleich beim Namen und gab ihm zugleich den selbstbewussten Claim „Das halbe Vergnügen“ mit auf den Weg. 1991 folgte die Leichtbier-Premiere zur Übernahme der Paderborner Brauerei, 2023 eine Neuauflage aus der Brauerei im Waldpark anlässlich der Marken-Neupositionierung.
Die Gäste der jüngsten Produktpräsentation sahen bei der optischen Gestaltung des Newcomers allerdings eine deutliche Ähnlichkeit mit Beck‘s Gold. Genau vor 20 Jahren hatten die Bremer Brauer den damaligen Zeitgeist treffsicher eingefangen und alles goldrichtig gemacht. Daran haben sich offenbar auch die Verantwortlichen in Warstein erinnert. So hat das neue Warsteiner Extra in der Klarglasflasche eine optisch frappierende Ähnlichkeit mit Beck’s Gold. Labeling und Kronkorken tun ihr Übriges, um die Premium-Wirkung zu unterstreichen. Marketing-Direktor Andreas von Grabowiecki widerspricht: „Beck‘s Gold hat ein völlig anderes Konzept als unser Warsteiner Extra. Und neben Beck‘s und uns füllen beispielsweise auch Desperados, Sol, Corona und Salitos in eine Klarglasflasche ab. Und alle nur aus einem Grund: Die Konsumenten bevorzugen sie und der Konsumentenwunsch steht bei uns ganz klar im Fokus.“
Tatsächlich wollen die Brauer in Warstein ihrem neuen Produkt „vollen Geschmack bei nur 2,5 Prozent Alkohol“ spendieren. Von einer „wegweisenden Innovation“ zu sprechen, greift angesichts der langen Sortenhistorie im deutschen Biermarkt laut Branchenkennern dann doch etwas zu weit. 1990 hatte die Krombacher Brauerei die 2-Millionen-Hektoliter-Grenze überschritten und im selben Jahr die Leichtbiermarke Fairlight auf den Markt gebracht. Selbst der neue Warsteiner Handelschef Marco Schulze dürfte sich an die Anfangsjahre beim vorherigen Arbeitgeber Krombacher erinnert haben, als er 2005 seinen Kunden die Nachricht vom Produktionsstopp von Fairlight überbringen musste. Der Grund damals: zu geringe Nachfrage nach dem Siegerländer Leichtbier.
Weitere Einstellungen von Veltins und eben auch Warsteiner sollten sich im Folgejahrzehnt anschließen. Diebels Light überlebte die damals mit vielfältigen Light-Produkten aufbrausende Fitness-Welle ebenfalls nicht. „Der Leicht-Kost-Gedanke beim Bier ist kaum noch relevant“, hieß es aus Issum. Tatsache ist jedoch: Die Konsumgewohnheiten haben sich seither verändert. Die Menschen werden ernährungsbewusster, immer mehr verzichten zumindest temporär auf Alkohol. Auch das Angebot an wohlschmeckenden alkoholfreien Getränken und alkoholfreien Bieren ist inzwischen sehr groß. Auf der anderen Seite erfreuen sich Biermischgetränke und RTDs mit einem höheren Alkoholgehalt einer steigenden Nachfrage, insbesondere in der jungen Zielgruppe. Die Leute trinken entweder keinen Alkohol oder Getränke mit „vollem“ Alkohol.
„In der Regel trinken die meisten Bier nicht wegen des Alkohols, sondern weil es schmeckt“, sagt Andreas von Grabowiecki. Der Konsumentenwunsch nach einem Pils mit weniger Alkohol bestehe schon länger, allerdings habe es keine geschmacklich überzeugenden Produkte am Markt gegeben, so der Warsteiner-Marketing-Direktor. „Mit dem Warsteiner Extra bieten wir den Konsumenten jetzt ein Produkt mit 100 Prozent Pilsgeschmack, aber nur der Hälfte an Alkohol im Gegensatz zu dem klassischen Pilsener.“
Erste Leichtbiere bereits 1965
Eine erste Leichtbier-Welle gab es allerdings bereits 1965, nachdem das Bußgeld für Alkoholsünder im Straßenverkehr drastisch erhöht worden war. Die Fürther Brauerei Joh. Humbser AG, damals in Besitz von Quelle-Versandhauskönig Gustav Schickedanz, hatte ein Vollbier eingebraut und danach durch Vakuum-Destillation von 3,8 auf 1,5 Volumenprozent Alkohol verringert. Die Humbser-Werbung frohlockte mit der Nachricht, dass damit „die zwei- bis dreifache Menge des normalen Vollbieres ohne nennenswerte alkoholische Wirkung“ zu genießen sei. Und auch die Brauerei Becker in St. Ingbert hatte zum selben Zeitpunkt passgenau ein „Lunch-Bier“ mit 2,6 Volumenprozent Alkohol vorgestellt.
Außer vielen wohlwollenden Schlagzeilen sollte von den beiden bundesdeutschen Leichtbier-Trends der Sechziger- und Achtzigerjahre später nicht viel übrigbleiben. Die Bierfreunde fremdelten immer wieder mit der Idee von halb so viel Alkoholgehalt. Der Spruch „entweder alles oder nichts“ wurde stattdessen zum Türöffner für alkoholfreies Bier. Vielleicht ist 2023 mit „extra weniger“ alles anders. Dabei leitet sich der Name des neuen Warsteiner Leichtbieres ursprünglich von der extra kalten Filtration im Herstellungsprozess ab, so sei der Name entstanden, erklärt Andreas von Grabowiecki. „In unserer Marktforschung hat sich gezeigt, dass der Konsument es so interpretiert, wie es zu seinem Moment passt, zum Beispiel haben wir einige Male zurückgespielt bekommen ,extra lecker‘ oder ,extra wenig Alkohol‘“, sagt Grabowiecki.
Fazit
Ein bescheidener Marktanteil von einem halben Prozent ist sicher keine echte Basis, die das Warsteiner Management alsbald auf einen Mengenschub im Leichtbier-Segment hoffen lassen darf. Zu gering das Marktinteresse, zu wenig Verbraucherklarheit über den wirklichen Nutzen eines lediglich alkoholreduzierten Bieres. Das ist die Achillesferse von Light-Bieren in der deutschen Brauwirtschaft. Dass der optische Beck’s Gold-Nachbau den Warsteiner Newcomer in die Lage versetzt, für Aufmerksamkeit zu sorgen, scheint hingegen denkbar. Während alle anderen Marken ihren Goldanteil im Auftritt trendgerecht zurückfahren, läuft das neue Warsteiner Extra genau in die andere Richtung und schafft damit optische Differenzierung. Das dürfte die Biertrinker zumindest zu einem Probierkauf anregen. Wenn das leichte Pils am Ende auch noch geschmacklich überzeugt, könnte es ein Erfolg werden. Die Branche schaut jedenfalls gespannt nach Warstein.