Die Initiative „Reusable To-Go“ will praktikable Lösungen für das Mehrweggeschirr im To-Go-Geschäft anbieten. Verbraucher sollen es künftig „in Armeslänge“ an möglichst vielen Stellen zurückgeben können. Kommenden Montag startet ein Pilotprojekt in Mainz, Wiesbaden und Darmstadt. Wo die Initiative heute steht und was die größten Herausforderungen des Vorhabens sind, darüber sprach Getränke News mit Frank Maßen, ehemaliger CEO von Carlsberg Deutschland, Trinks und Trinkkontor sowie Mitinitiator von „Reusable To-Go“.
Getränke News: „Reusable To-Go“ will das Thema Mehrweg für das Mitnahmegeschäft der Gastronomie praktikabel umsetzen. Was genau steckt dahinter?
Maßen: Wir wollen das Rad nicht neu erfinden, sondern einen neuen Mehrwegartikel in seit Jahrzehnten existierende Mehrwegabläufe integrieren. Das gebrauchte Mehrweggeschirr packt der Gastronom in eine Kiste, diese wird verplombt und kommt zum Getränkeleergut. Wir nutzen dann die bestehenden Strukturen für den Transport, die Reinigung und die IT. Dies ermöglicht Dienstleistern wie dem Getränkefachgroßhandel ein Zusatzgeschäft. Verplombte Sekundarverpackungen händelt der GFGH schon lange, die sogenannten Serviceartikel. Wir haben also bereits seit Jahrzehnten ein betrugssicheres Mehrwegsystem und Prozesse, die wir nun auch für die To-Go-Abwicklung nutzen können.
Zusammengefasst ist unsere Mission der Aufbau einer flächendeckenden offenen Mehrweg-To-Go-Abwicklung auf Basis existierender Transport-, Reinigungs- und IT-Strukturen.
Getränke News: Wie ist aktuell die Situation im Markt?
Maßen: Aktuell ist die Rückgabe des Mehrweggeschirrs nur über Insellösungen möglich, ein Ausgleich zwischen den einzelnen Gastronomiebetrieben findet nicht statt. Das heißt, ein Becher von Schnellrestaurant A kann vom Verbraucher nur bei A zurückgegeben werden und nicht woanders. Insellösungen haben aber beim Pfand noch nie funktioniert. Der Verbraucher akzeptiert ein Mehrwegsystem nur, wenn es einfach und bequem ist. Er will seine Mehrweg-To-Go-Behälter überall abgeben können. Dies stellen wir mit der im Hintergrund laufenden Abwicklung sicher.
Getränke News: Damit so etwas funktioniert, braucht man genügend Spülzentren.
Maßen: Eine Infrastruktur mit Spülzentren gibt es bereits, aktuell haben wir bundesweit 25, es sind aber weitere in Planung. Außerdem gibt es in Deutschland mehr als 3.000 Getränkefachgroßhändler. Und jeder Fachgroßhändler mit Festgeschäft hat in der Regel auch Spülmaschinen für seine Biergläser. Moderne Maschinen lassen sich relativ einfach nachrüsten, damit man damit auch bei entsprechend wachsender Nachfrage Kunststoff-Geschirr spülen kann.
Getränke News: Aktuell startet Reusable To-Go einen Pilotmarkt mit einem offenen System im Rhein-Main-Gebiet.
Maßen: Wir waren Mitte Juni drei Tage auf dem Rheinland-Pfalz-Tag in Bad Ems. Dort haben wir auch Rücknahmeautomaten für Becher getestet. Die Resonanz auf unser System war extrem positiv. Sowohl von der Politik – es waren Minister und Staatssekretäre vor Ort – als auch von den Verbrauchern. Wir haben im August noch Aktionstage in Mainz und Wiesbaden und laden anschließend zu einem runden Tisch ein, um mit den Marktakteuren weiter zu planen. Kick-off für unser Pilotprojekt in Mainz, Wiesbaden und Darmstadt ist am 10. Juli.
Getränke News: Welches Ziel verfolgen Sie damit?
Maßen: In einem ersten Schritt wollen wir in der Pilotregion die Lücken in der Gastronomie schließen. Wir machen den Gastronomen über ihren Getränkefachgroßhandel Angebote der teilnehmenden Pools und bieten Lösungen für das Mehrweg-To-Go-Problem. Wir arbeiten dabei mit fünf Geschirr-Mehrweg-Pools zusammen, die alle auch national verfügbar sind. Die Gastronomen haben also eine große Auswahl beim Geschirr und können sich entscheiden, an welchem Pool sie teilnehmen wollen. Die Preise und Modalitäten werden dabei von den jeweiligen Pool-Anbietern festgelegt. Außerdem testen wir in dem Pilotprojekt die Abholung des Geschirrs durch Transportdienstleister, wollen lokale Netzwerke mit Reinigungsdienstleistern aufbauen und weitere offene Rücknahmestellen für die Rückgabekisten, zum Beispiel bei C+C-Märkten, initiieren.
Unsere Ziele sind die Etablierung eines Marktplatzes für Dienstleistungen und die Erstellung eines gemeinschaftlichen Regelwerks sowie Zertifizierungen und Audits. Und sehr wichtig: Das Ganze muss wettbewerbsneutral sein.
Getränke News: Wie wird das System gesteuert?
Maßen: Durch das sogenannte Mehrwegregister, das die Stammdaten der teilnehmenden Poolbetreiber und deren Geschirr sowie die Stammdaten der jeweiligen Dienstleister und Outlets im System führt. Wenn beispielsweise der Getränkefachgroßhandel sich im Mehrwegregister angemeldet hat und Geschirr transportiert, bekommt er dafür einen festgelegten Betrag.
Getränke News: Und dieser Betrag wird pro Gegenstand gezahlt?
Maßen: Für jeden Behälter, also jedes Geschirr, zahlt der Gastronom einen sogenannten Kreislaufbeitrag. Dieser wird vom Poolbetreiber auf einem separaten Konto geführt. Der Kreislaufbeitrag wird bei der ersten Bestellung des Behälters gezahlt. Aktiviert wird die Auszahlung des Betrages, sobald eine externe Dienstleistung in Anspruch genommen wird oder der Behälter recycelt wird. Eines von beiden Ereignissen wird im Lebenszyklus eintreten. Jede in Anspruch genommene Dienstleistung im Mehrwegkreislauf, also zum Beispiel Transport, Sortierung, Zählung, Reinigung und Recycling, wird von diesem Kreislaufbeitrag gezahlt. Überschüssige Kreislaufbeiträge werden an die Beteiligten ausgezahlt.
Getränke News: Das heißt, wenn ein Becher von Schnellrestaurant A bei Schnellrestaurant B abgegeben wird, wird der Transport zurück zu A inklusive der Reinigung vom Kreislaufbeitrag gezahlt. Wer legt die jeweiligen Vergütungen für die Dienstleistungen fest?
Maßen: Das ist ein komplexes Thema, an dem wir bereits seit zwei Jahren arbeiten. Die Verhandlung der Vergütung läuft über ein kartellrechtlich geprüftes Treuhandmodell. Wir haben also einen Treuhänder, der regelmäßig für festgelegte Zeiträume die Vergütungen verhandelt. In einem ähnlichen Fall wurde bereits 2013 durch die EU kartellrechtlich nichts beanstandet.
Getränke News: Was sind außerdem die größten Herausforderungen bei der Einführung von Reusable To-Go?
Maßen: Die größten Herausforderungen sind, die Schnittstellen zu definieren und die Prozesse zum Laufen zu bringen. Wir brauchen möglichst viele Teilnehmer in einer Region und müssen die Leute von unserem System überzeugen. Durch die bestehenden Infrastrukturen haben wir aber nicht den Druck eines Start-ups. Und: Wir können es von Stadt zu Stadt und von Region zu Region machen. Der Vorteil bei einem offenen Mehrweg-Rücknahmesystem ist, dass das Geschirr in der Regel nicht die jeweilige Stadt bzw. Region verlässt. Dadurch wird am Ende alles berechenbar.
Getränke News: Welche Rolle spielt der Getränkefachgroßhandel beim Aufbau des Systems?
Maßen: Der GFGH spielt dabei eine entscheidende Rolle und hat ein hohes Gewicht beim Aufbau des Systems. Deshalb ist der Bundesverband des Deutschen Getränkefachgroßhandels mit Dirk Reinsberg von Beginn an aktiv in der Initiative vertreten. Das haben die beteiligten Pools verstanden. Der Getränkefachgroßhandel ist nämlich nicht nur Dienstleister und ein enorm wichtiger Partner in den Prozessen, sondern er ist auch der direkte Kontakt zu den Wirten. Fest steht: Die Gastronomen suchen eine einfache und unkomplizierte Lösung für ein Problem, das sie vorher nicht hatten. Sie wollen sich mit dem Thema Mehrweg-To-Go-Behälter am liebsten gar nicht beschäftigen. Der Außendienst des Getränkefachgroßhandels kann nun den Gastronomen mit unserem System eine einfache Lösung anbieten, er ist also Problemlöser und hat damit auch ein gutes Instrument zur Kundenbindung an der Hand.
Getränke News: Welche Ziele haben Sie sich für die nächsten fünf Jahre gesetzt?
Maßen: Wir werden jetzt bei dem Pilotprojekt sehen, was gut funktioniert und was nicht. Dann können wir nachbessern und das System langsam von Stadt zu Stadt und bei Veranstaltungen hochfahren. Getränkefachgroßhändler gibt es in jeder Region. Wir fangen dort an, wo bereits heute Spülzentren sind. Später wollen wir das System mit einer KI-basierten Tourenplanung optimieren. Eine solche Lösung wird im Gesamtkontext einer veränderten Innenstadtbelieferung sowieso benötigt werden. Eins ist klar: Bis wir ein flächendeckendes offenes Mehrweg-To-Go-System aufgebaut haben, wird es Jahre dauern. Das wird ein Marathon und kein 100-Meter-Lauf.
Hilfreich wären sicherlich eine zügige Verpflichtung der Inverkehrbringer zur Teilnahme an einem offenen Rückgabesystem und sinnvolle Regelungen in der EU-Verpackungsverordnung PPWR. Wir müssen auch abwarten, welche Richtung die Mittelverwendung aus dem Einwegkunststofffonds-Gesetz nimmt und wie sich die Kommunen hinsichtlich der Besteuerung von Einwegartikeln analog Tübingen entscheiden. Langweilig wird es sicherlich nicht.
Hintergrund
„Reusable To-Go“ ist eine Allianz von Landesumweltministerien, Kommunen, Verbänden, NGOs und Wirtschaftsunternehmen. Das Pilotprojekt der Initiative in Mainz, Wiesbaden und Darmstadt wird von den Umweltministerien von Hessen und Rheinland-Pfalz begleitet und politisch unterstützt.
Der Initiativenbeirat
Dr. Uta Stenzel (Dehoga Bundesverband), Günter Guder (Pro Mehrweg), Dirk Reinsberg (GFGH-Bundesverband), Tobias Bielenstein (Arbeitskreis Mehrweg), Jürgen Benad (Dehoga Bundesverband), Hans-Dieter Philipowski (Enfit, i.A. BVLK), Frank Maßen (ehemaliger CEO von Carlsberg Deutschland, Trinks und Trinkkontor), Rudolf Behrens (Ru-Beh-Con, ehem. Mitglied der Geschäftsführung GS1 Germany), Dr. Robert Reiche (Conet Solutions)
Teilnehmende Unternehmen
Am Pilotprojekt in Mainz, Wiesbaden und Darmstadt nehmen folgende Unternehmen teil: Interzero, Team Beverage, Trinkkontor, Wigem, Trinks, Gastivo, Kollex, Nette Deutschland, Kooky, Sykell, heag Faircup, Conet, Bulkvision, RTI Blockchain, Muth Media, Colysis, Eco Carrier, Cup & More, Wasto-Pac.