Helles wird allerorts schon auf den Sortenthron der deutschen Brauwirtschaft gehoben. Doch die bayerische Ur-Sorte ist zuallererst ein süddeutsches Phänomen. 67 Prozent der Menge werden in Bayern und Baden-Württemberg verkauft – der Rest in der übrigen Bundesrepublik. Dort dürfte in diesem Jahr das Hauen und Stechen um Marktanteile beginnen, weil nun Krombacher („Starnberger Hell“), Erdinger („Erdinger Brauhaus“) und Warsteiner („Oberbräu“) auf den bereits rasant fahrenden Sortenzug aufspringen. Der Handel warnt schon vor neuen Produkten „in blauen Kisten“, die alsbald den Wachstumszenit erreicht haben. Was steckt hinter dem Hype des Hellen? Getränke News hat den Sortentrend analysiert und gibt Einblicke.
Spezialitäten helfen Handel bei Wertschöpfung
„Plötzlich trinken nicht nur auf dem Oktoberfest alle Helles“, hatte „Die Welt“ 2019 getitelt. Mit „allen“ waren wohl eher viele Bierfreunde gemeint, denn bei einem nationalen Pilsanteil von rund 50 Prozent kann das Helle dem angestammten Sortenfavoriten nicht annähernd das Wasser reichen. Doch Volkes Stimme verallgemeinert allzu schnell, wenn es um veränderte Konsumgewohnheiten geht. Tatsächlich funktioniert der deutsche Biermarkt angesichts seiner Heterogenität deutlich diffiziler.
Das Spezialitätensegment – seit 20 Jahren der Hoffnungsträger im deutschen Biermarkt – ist wieder in Bewegung geraten. Rollte zu Jahrtausendbeginn erst eine Gold- und dann eine Biermixwelle übers Land, schlagen sich die heutigen „Newcomer“, die es freilich immer schon gab, tapfer. Landbiere und Helles zählen zu den Gewinnern der letzten Jahre. Schon im letzten Jahrzehnt deutete sich an, dass sich das Helle aus der Deckung wagt.
Erfolgreich mit Retro-Impuls
Einzelne Brauer wie Jeff Maisel versuchten sich mit einem ersten Retro-Impuls, von dem niemand wissen konnte, ob er beim Verbraucher verfangen und sich verstetigen sollte. 2011 wurde das Bayreuther Hell kurzerhand von der Bügel- in die angestammte Euro-Flasche abgefüllt. Der Bayreuther Brauer war so erfolgreich, dass er heute im Stadtteil Oberobsang an der B 85 eine neue Brauerei bauen will. Der Kapazitätendruck ist verständlicherweise groß, weil es Jeff Maisel gelungen ist, mit der vertrieblichen Kooperation mit der Brauerei Veltins den nationalen Weg zu gehen.
Den Anspruch hatte Dr. Hans Spielmann nicht, als er kurz vor dem Generationswechsel in seiner Welde-Brauerei in Plankstadt das „Kurpfalzbräu Helles“ aus der Taufe hob. Seine Stoßrichtung galt der Sortimentserweiterung mit regionaler Reputation. 2018 wagte sich Bitburger aus der Reserve und braut seither das Benediktiner Hell mit dem alimentierten Segen von Kloster Ettal.
Bereits zuvor hatten die Eifeler Premium-Brauer ihre enge Kooperation mit der Erdinger Weißbräu, die 2006 noch der damalige Bitburger Geschäftsführer Peter Rikowski einfädelt hatte, kurzerhand gekündigt. Der wachsende Ertragsdruck von Gesellschafterseite hatte Bitburger bewogen, die Wertschöpfung in Alleinregie zu betreiben. Für Erdinger-Inhaber Werner Brombach und seine damit deutlich verringerte Vertriebskraft sollte der Kooperationsverlust ebenso weitreichende wie langfristige Folgen haben.
Letztlich hat es die Brauwirtschaft dem Zugpferd Augustiner zu verdanken, dass das Helle mit Sortenaktualität und hoher Wertigkeit eine erfreuliche Wahrnehmung erreichte. Der Handel reagierte prompt mit Listungen neuer Produkte.
Seit jeher ein süddeutsches Phänomen
Kurzum: Man hätte es also schon vor Jahren ahnen können, dass sich im deutschen Bieruniversum eine veränderte Sortenverteilung ergeben sollte. Aus einer Graswurzelbewegung ist ein neuer Sortentrend geworden, der zumindest im Süden unübersehbar ist. Und dann kam auch noch die Pandemie als Spezialitäten-Beschleuniger, und ehe sich die Brauer versahen, war ein neuer Sortenfavorit geboren.
Das nur mild gehopfte, aber vor allem süffige Helle hatte Spaten Bräu 1894 erstmals gebraut und damals nach Hamburg auf die Reise geschickt, um dem Pilsener-Trend etwas entgegenzusetzen. Man hatte sich bei Spaten anfangs nicht mal getraut, den Gaumen der heimischen Biertrinker mit dem „Münchener Hell“ zu überraschen. Gelungen war die Offensive letztlich nicht – Helles blieb ein süddeutsches Phänomen. Und bei aller Sorteneuphorie dürfte es auch mehr als 125 Jahre später nicht gelingen, den Bieren Pilsener Brauart in Deutschland ihre führende Rolle streitig zu machen. Respekt kommt verdienterweise dennoch von allen Seiten: Solch einen raschen Mengenschub hatte noch keine Sorte seit der Wiedervereinigung hingelegt.
67 Prozent der Hell-Verkäufe in Süddeutschland
2021 hängte das Helle mit einem Marktanteil von 8,9 Prozent alle anderen Sorten im Handel ab. Dabei schien der Vorsprung von Weißbier 2015 noch als sichere Bank. Damals konnte Weißbier noch mit 7,2 Prozent Marktanteil punkten, verlor inzwischen auf 6 Prozent. Dabei fällt die Südlastigkeit beim Hellen so stark auf wie bei kaum einer anderen Sorte. 2021 wurden 67 Prozent in Bayern und Baden-Württemberg, wo zusammen lediglich 29 Prozent der Verbraucher leben, verkauft. Die restlichen 33 Prozent der Hell-Verkäufe verteilen sich auf die übrigen Bundesländer und schwanken dort zwischen 2 und 8 Prozent. Ob sich die Sorte dort mit gleicher Dynamik wie im Süden entwickelt, ist offen.
Aber wie konnte das Helle eine so große Sortendynamik entwickeln? Zuallererst ist es die Sortenschwäche des Weißbieres, das in den letzten zehn Jahren deutlich an Strahlkraft verloren hat. Zu üppig war die Halbliter-Inszenierung in den mächtigen Gläsern, dazu noch der „Satt-mach-Faktor“ durch allzu viel Kohlensäure. Das jahrelang erfolgreiche Weizenbier begann schon 2015 Marktanteile abzugeben. Da stand das Helle als willkommene Alternative bereit: schnörkellos im Becherglas, deutlich süffiger im Genuss. Und die bayerische Brautradition musste niemand entbehren.
Euro-Flasche als Halbliter-Gebinde willkommen
Zusätzlich sorgte die Euro-Flasche für ein Signal willkommener Bodenständigkeit, die Deutschlands Biergenießer mehr denn je zu schätzen wissen. Sie gab es plötzlich zusätzlich in der smarten Drittel-Liter-Flasche, die zum weiteren Sympathiefaktor wurde. Die superschlanke NRW-Flasche, die für Weißbier zum Standard wurde, war schlichtweg aus der Mode gekommen. Die drei Zentimeter kleinere Euro-Flasche, die Augustiner mit hauseigener Beharrlichkeit nie aufgegeben hat, sollte eine Renaissance erleben.
Waren es zu Beginn der 1990er Jahre tonnenweise altgediente Euro-Flaschen, die zugunsten der NRW-Flasche ins Altglas wanderten, ist es jetzt umgekehrt. Wer erinnert sich nicht an die 2000er-Jahre, als Deutschlands Brauer noch darüber staunten, wie es Augustiner gelingen konnte, ohne jeden Euro Werbeinvest und dazu noch in verschlissenen Euro-Flaschen sein „Lagerbier Hell“ zu Höchstpreisen an den Mann zu bringen.
Allerdings: Erste Ermüdungserscheinungen machen sich heute selbst bei der stärksten Marke bemerkbar, wenn die Wettbewerbsintensität im eigenen Sortensegment und in der Preisstellung an Fahrt gewinnt. Bei Augustiner bringt ein zartes Minus aber niemanden aus der Ruhe. Ob es angesichts der diesjährigen Hell-Offensive rings herum allerdings für weiteres Wachstum, auf das sich Augustiner-Bräu gegenwärtig einstellt, reichen wird, bleibt fraglich.
Neue Produkte beweisen Sortendynamik
Die Bereitschaft der Brauwirtschaft, sich in der dynamischen Sortenentwicklung mitzubewegen, ist dieser Tage erstaunlich groß. Noch 2020 bekam Oetker seine süddeutsche Markenschwäche unliebsam zu spüren. Denn außer dem Allgäuer Büble hatte die Radeberger Gruppe wenig Trendgerechtes im Portfolio. So folgte kurzerhand das Oberdorfer Helle aus denselben Sudkesseln. Seit 2021 versucht selbst die kleine Giesinger Brauerei in der Bayern-Metropole mit ihrem ersten filtrierten Bier eines „Münchner Hell“ dem Mainstream zu folgen. Womöglich wird dort bereits aufs Oktoberfest geschielt?
In der Nachbarschaft stellte Paulaner das Helle kurzerhand von der NRW- auf die Euro-Flasche um, und in Mannheim launchte Eichbaum das Kurpfälzer Helle, während im Westerwald die Hachenburger Brauerei an eine profitable Nische glaubt. Und selbst in Niedersachsen schickt die Herrenhäuser Brauerei ihr Hannover Helles ins Rennen. Das wohl nördlichste Helle kommt einstweilen aus der Flensburger Brauerei – mit Bügelverschluss versteht sich.
Weißbier ebnete den Erfolgsweg von Hell
Während es mit der Akzeptanz von Weißbier weiterhin bergab gehen dürfte, kamen zuletzt weitere Anbieter hinzu, so dass sich 2022 der Flächenwettbewerb im Handel zuspitzen wird. Der große Fehler der Weißbier-Brauer liegt auf der Hand: Sie waren sich ihres Sortenerfolgs über Jahrzehnte allzu sicher. Gerade in den fernen Gebieten galt Weißbier als unverzichtbare Ergänzung in der Gastronomie – einfach im Handling, ohne viele Umstände von der Flasche ins Glas. Allein der Westerwälder Glasexperte Sahm führt über 25 Weißbier-Gläser in seinem Sortiment, eines üppiger als das andere.
Zum populär gewordenen Hellen genügt ein schlichter Becher. Die Trendumkehr hatte schneller eingesetzt, als die bayerischen Bierbrauer wahrhaben wollten. Nun haben sie das Malheur, denn seit über fünf Jahren hält der Sortenverlust an – die Verbraucher ziehen weiter zur nächsten Sorte. Dabei dürfen sich zumindest die regionalen Brauer zwischen Oberfranken und Bayerisch-Schwaben darüber freuen, dass ihre meist bereits im Sortiment als Standardware geführten oder rasch nachgeschobenen Hellen zu neuen Ehren kommen.
Für die Gesamtstatistik allerdings zählt das Engagement der großen Weißbierbrauer wie Paulaner, Erdinger oder Franziskaner. Sie hatten über drei Jahrzehnte lang alles auf eine Karte gesetzt, Kommunikation mit klarer Sortenfokussierung inklusive. Während sich der bayerische Brauerpräsident Georg Schneider im Februar noch darüber freute, dass die Hellen dem Pils im Norden Marktanteile wegnehmen, geriet der Hinweis auf die Mengenverluste des angestammten Weißbieres fast schon in den Hintergrund.
Handel beklagt Flut von blauen Kästen
Der Handel begegnet der Sortenentwicklung mit Wohlwollen und Skepsis zugleich. Wieder kommt Bewegung in das Spezialitätensegment, die insbesondere bei der Wertschöpfung Potenzial verspricht. Zumal die unterschiedlichen Vertriebsschienen nur allzu genau wissen, dass es gerade den genussorientierten Randsegmenten gelingt, das Preiseinstiegssegment weitgehend aus den Regalen raus zu halten. Allerdings mehren sich die Stimmen, dass die Regale für die weißblauen Hell-Biere längst reichlich gefüllt sind.
„Der größte Fehler eines Bierbrauers, der mit einem neuen Hellen kommt, ist ein blauer Kasten – davon haben wir genug“, sagt ein Händler im Südwesten und meint damit die nahtlose Austauschbarkeit jener Produkte, die ohne werthaltige Abverkaufskraft nur Platz wegnehmen. Doch die warnenden Worte bleiben ungehört. Gleich zwei Marken großer Brauereien werden 2022 noch für mehr Blau bei den Kastenplatzierungen sorgen: Starnberger Hell von Krombacher und Oberbräu Hell von Warsteiner. Nur Erdinger bringt sein Helles in einem grünen Kasten.
Starnberger mit Spezialitätenaura
Noch zu Beginn des Jahrtausends war es Erdinger gelungen, mit seinem alkoholfreien, isotonischen Weißbier einen Trend zu setzen. Viele Brauer folgten, um mit alkoholfreien Weißbieren das erkennbare Verbraucherinteresse zu nutzen. Mit dem Einsetzen der alkoholfreien Biermixwelle verließ Erdinger leider das Fortune, man war fortan immer etwas zu spät. Jetzt also, fünf Jahre nach Beginn des Hell-Booms, versucht Werner Brombach mit der angelehnten Markenschöpfung „Erdinger Brauhaus“ aufzuholen, weil das hauseigene Stiftungs Hell überregional nicht so richtig funkte. Es bleibt spannend. Auch, weil weitere Spätberufene in den Startlöchern stehen.
Warsteiner-Chef Helmut Hörz hat im Herbst angekündigt, einen Pfeil aus dem Köcher zu ziehen, und bringt nun die Marke Oberbräu aus der König-Ludwig-Brauerei. Verbraucherseitig ist sie noch ebenso unbekannt wie das Starnberger Hell, an dessen Brauhaus sich Krombacher beteiligt hat. Mit diesem Schachzug hat der ansonsten erfolgsverwöhnte Krombacher-Inhaber Bernhard Schadeberg dazu gelernt. Denn mit einem Koffer von aktuell 23 Krombacher-Sorten bleibt wenig Luft für jene Spezialitätenaura, die der Verbraucher wünscht. Eines von Schadebergs Sortenopfern ist die Line-Extension Krombacher Hell. Zwar frühzeitiger als viele andere im Markt vorgestellt, schaffte es das Eigengewächs kaum über die 50.000-Hektoliter-Marke.
Zweite Brauerei in Starnberg geplant
Nun also der Einkauf bei einem Brauhaus-Start-up mit weiß-blauem Image. Dessen Hauptgesellschafter Florian Schuh wird am Starnberger See nicht müde, von großen Erfolgen zu träumen. Erst gerade hat er sein erstes 80.000-Hektoliter-Sudhaus im Feldafinger Ortsteil Wieling in Betrieb genommen, schon kündigt er 20 Kilometer weiter eine zweite Brauerei an. Entlang des Starnberger Sees gibt es eben doch noch wartende Gewerbegebiete. Dort sollen auf einem alten Logistikgelände der DHL Kapazitäten für zunächst 250.000 Hektoliter, dann 500.000 Hektoliter entstehen. Investor Bernhard Schadeberg setzt offenbar große Hoffnungen ins Starnberger Helle.
Das solle demnächst, so Schuh kürzlich, im Tankwagen zur Krombacher-eigenen Rolinck-Brauerei nach Steinfurt kutschiert werden und damit der vorgeschobenen Krombacher-Rampe in NRW buchstäblich entgegenfahren. Dass die Marke vom Starnberger See im phonetischen Fahrwasser von Tegernseer und Chiemseer lautlos mitschwimmt, dürfte zentrales Markenkalkül der Siegerländer Brauer sein. Ebenso wie sich Bitburger mit Benediktiner ans bieraffine Klosterimage von Franziskaner und Paulaner ankoppelt.
Zum guten bayerischen Markenimage gehören Brauhauskonzepte nach dem Augustiner-Vorbild schon zwangsläufig dazu. Bitburger baute Benediktiner-Wirtshäuser in Gießen und Dortmund. Krombacher befeuert sein Starnberger-Brauhauskonzept am Kölner Heumarkt, noch bevor wenige Häuser weiter Augustiner Bräu seine Kölschmarkt-Offensive beginnen kann. Die Bandagen werden härter.
Spaten und Pülleken setzen auf Individualität
Die alles entscheidende Frage, die die Brauwirtschaft in diesen Tagen bewegt, liegt auf der Hand: Wie viel weiß-blaues Image verträgt das Sortensegment? Trachtenjanker, Dirndl, Zwiebeltürme und natürlich alle Blautöne prägen die Etiketten. Me-too ist in der Brauwirtschaft eben beliebt. Wohltuend wirkt da schon der volkstümliche Auftritt von Spaten, mit der AB Inbev in lupenreiner Retro-Optik den Markt von hinten aufrollt.
Einen schlichten Gartenspaten ins Logo zu heben, würde sich in Deutschland keine noch so kreative Agentur trauen. Aber womöglich ist das der richtige Weg. Über die bayerische Folklore macht man sich im sauerländischen Grevenstein keine Gedanken. Dort gelingt es, mit einem eigenständigen Produkt-Marken-Konzept das eine zu tun, ohne das andere zu lassen. Dort hält sich das helle Pülleken aus allen Klischees raus und konnte gleich im zweiten Jahr die 200.000-Hektoliter-Hürde nehmen.