Hellbier-Offensive in Köln
Es ist das spannendste Gastronomie-Experiment des Jahres 2022: Zwei Hellbier-Brauer wagen in der Kölsch-Hochburg eine Frontaloffensive gegen die angestammte Sortentradition. Sowohl das kleine Starnberger Brauhaus als auch die große Augustiner-Brauerei wollen die rheinische Biermeile aufmischen. Aber kann das gelingen? Alle Hintergründe bei Getränke News.
Platzhirsche trifft Vorstoß zur Unzeit
Der Angriff auf die Kölner Brauereien und ihren bis dato streng abgeschirmten Lokalmarkt kommt überraschend. Bayrische Speisen und das unverzichtbare Helle finden zwar vielerorts Zuspruch und können längst anderswo punkten. Doch die so Kölsch-treue Gastronomiekultur tickt seit jeher eben anders. Reissdorf, Gaffel, Früh & Co. dominieren seit den 1970er Jahren das renditestarke Fassbiergeschäft, nachdem sich die Brauer einst auf die obergärige Brautradition konzentriert haben und das Export-Geschäft erst den Dortmundern, dann den Pils-Boom den Sauerländer Brauern von Warsteiner, Veltins und Krombacher überlassen haben. Damit sind die Rheinländer Familienbrauer gut gefahren.
Die neue Sorten-Offensive kommt für die Kölner Brauer allerdings zur Unzeit. Nach zwei Jahren Pandemie leiden sie unter den dramatischen Fassbierverlusten von Lockdown und schwindender Besucherfrequenz in den eigenen Brauhäusern. Und jetzt, wo sich der eigene Markt in absehbarer Zeit wieder aufzuhellen scheint, stehen zwei bayrische Brauer in den Startlöchern. Einer davon mit der finanzstarken Schubkraft des Pils-Marktführers Krombacher – „eine Kampfansage“, heißt es hinter vorgehaltener Hand.
Kleinbrauer wagt die Sortenrevolte
Überraschend ist vor allem, dass es die weiß-blauen Schirme des Starnberger Brauhauses sind, die als erste am Köln Heumarkt aufgespannt werden, nachdem die Augustiner-Pläne bereits im letzten Herbst ruchbar wurden. Wie der „Kölner Stadtanzeiger“ berichtet, hat die „Starnberger Alm“ gerade geöffnet und damit einen geschlossenen Italiener am Heumarkt abgelöst. Als Betreiber agieren die Bonner Gastronomiemacher von Apeiron, der bereits im großen Stil Objekte des Steakhaus-Konzeptes „The Ash“ führt und nach eigenen Angaben größter Franchisenehmer von L’Osteria ist. Damit startet das Bonner Unternehmen mit Kent Hahn an der Spitze sein erstes bayrisches Gastrokonzept.



Dass hinter den ehrgeizigen Plänen des namensgebenden Starnberger Brauhauses als zweiter Motor kein anderer steckt als Investor und Krombacher-Inhaber Bernhard Schadeberg, liegt auf der Hand. Das wachsende Hell-Segment mit einem weitreichenden Bayern-Image treibt den Premium-Marktführer um – gerade angesichts des ausgebliebenen Erfolgs des eigenen Krombacher Hell. Das wurde 2014 eingeführt, ist aber bis heute unter der Wahrnehmungsschwelle des Segments geblieben. Die Antwort aus Krombach kam 2020 prompt mit einer Beteiligung am jungen Starnberger Brauhaus, freilich ohne Altlasten und mit neuem Gestaltungsspielraum. Ein Start-up mit Traditionsaura sozusagen.



Die „Starnberger Alm“ ist damit ein erstes Ausrufezeichen mit Krombacher Rückendeckung und dürfte auch als Referenzobjekt für weitere Akquisitionen dienlich sein. Wenn es denn in Köln funktioniert. Wer die Starnberger Ausschankstellen auf der eigenen Webpage entdecken möchte, sucht gegenwärtig vergeblich – außer im bayrischen Kernmarkt ist nichts zu finden. Abgesehen von einem Hotspot in Ostwestfalen/Niedersachsen, wo die Getränke-Quelle Starnberger Helles vertreibt, gibt es keine nennenswerte Distribution in Handel und Gastronomie außerhalb der Heimat.
Das Starnberger Brauhaus hatte Gesellschafter Florian Schuh auch erst 2016 aus der Taufe gehoben, gerade noch früh genug, um an den Hell-Trend anknüpfen zu können. Nach einem durchschnittlichen Jahresausstoß von 8.000 Hektolitern sollen sich die Braukapazitäten nach dem Neubau der Brauerei dank Krombacher Finanzkraft noch in diesem Jahr verzehnfachen. Im Vergleich zu den Kölner Ausstoßgrößen immer noch wenig. Und nun der ambitionierte Sprung vom Starnberger See an den Kölner Gastronomie-Hotspot. Solch eine Sortenrevolte hat sich noch keine bayrische Kleinbrauerei getraut.
Ist die Oase der Bierglückseligkeit ist vorbei?
Die Veränderungen des Biermarktes und der Verbraucherwünsche haben auch in der Rheinmetropole Spuren hinterlassen. Bei allem Lokalpatriotismus seiner Kneipengänger ist der Kölsch-Markt längst keine Oase der Bierglückseligkeit mehr. Auch dort greift die Marktkonzentration weiter um sich. Die Pandemie scheint am Rhein wie ein Katalysator gewirkt zu haben. Mühlen Kölsch hat im Herbst 2021 angekündigt, die Produktion von Sünner zu übernehmen – Brautradition hin, Brautradition her. Die hat der einstmalige „Kölner Verbund“, das heutige Oetker-Engagement in der Domstadt, längst aufgegeben.
Das heutige „Haus der Kölner Brautradition“ mit Marken wie Sion, Sester und dem einstigen Hektoliter-Millionär Küppers im Gepäck hat das Brauen in Eigenregie endgültig eingestellt. Tatsächlich ist von der eigenen Brautradition nur wenig übrig geblieben: Die Frankfurter Oetker-Statthalter der Radeberger Gruppe überlassen die Bierproduktion lieber den Privatbrauern von Früh. So funktioniert Marktkonzentration auf kölsche Art.
Nadelstich für Kölner Brauer-Dynastien
Augustiner an der Dresdener Frauenkirche oder am Berliner Gendarmenmarkt – alles längst gelernt. Doch mit dem Bekanntwerden der kölschen Hell-Offensive am gastronomischen Schmelztiegel des Kölner Heumarktes verpassen dann auch die Münchener Traditionsbrauer von Augustiner Bräu den wohlhabenden Kölner Brauer-Dynastien der Familien Becker, von Rieff, Müller und Rolff mehr als nur einen Nadelstich. Sie und ihre Vertriebsmannschaften müssen sich auf eine leidige Sortendiskussion einstellen, die auf dem Kölner Markt bislang tabu war. In den Social-Media-Kanälen ist sie längst entbrannt. „Dann bekommt Köln ja endlich mal ein (gutes) Bier in die Stadt!“ oder „Für mich ein klasse Bier!“, heißt es dort seit letzter Woche.
Augustiner Bräu lässt sich – wie im Markt gewohnt – nicht hetzen. „Wir haben noch im alten Jahr die Verträge unterschrieben“, bestätigte der ansonsten mit Details zurückhaltende Augustiner-Vorstand Dr. Martin Leibhard dem „Kölner Express“. Losgehen solle es hingegen erst im Spätsommer nach dem Umbau des bislang geschlossenen Maredo-Objektes. Dort will Deutschlands größter Hellbier-Brauer aus München dann eine weitere Marken-Dependance mit Strahlkraft nach Berliner oder Dresdener Vorbild eröffnet haben. Die Speisenkarten-Ankündigung klingt zunächst versöhnlich, bedeutet aber auch weniger Polarisierung. Typische Kölner Gerichte wie „Himmel un Ääd“ sollen die bayrischen Gaumenfreuden im Augustiner Bräu ergänzen.
Kölsch muss sich nun behaupten
Ob die unübersehbare Doppel-Offensive am Kölner Heumarkt gelingt, dürfte spannend bleiben. Risikoreich ist sie – je nach Ausgang – für beide Seiten. Tatsächlich ist kaum ein gastronomischer Ort in der Rheinmetropole so touristisch geprägt wie Heumarkt und Domplatte. Und das bayrische Gastronomieimage funktioniert immer dann, wenn die Erwartungshaltung der Gäste qualitätsvoll bedient wird.



Aber so ist es eben im intensiven Wettbewerb – und der ist den Kölner Brauern nicht fremd. Nur allzu gern versuchte sich das Kölsch in rheinischer Rivalität mit der Nachbar-Metropole, um die Gemüter der Altbier-Hochburg Düsseldorf in Wallung zu bringen. Am Ende waren es allenfalls temporäre PR-Effekte mit Schmunzel-Schlagzeilen in den Boulevardblättern. Es ist eben noch immer „jot jejange“. Am Kölner Heumarkt hingegen geht es jetzt um mehr: Kölsch muss sich und seine Sortenbedeutung gegen die einfallende bayrische Biertradition und – mehr noch –veränderte Sortenpräferenzen der Verbraucher behaupten.