Geht der Hellbier-Trend zu Ende? Nicht ganz, aber das abgeschwächte Wachstum dürfte alsbald in eine Stagnationsphase übergehen. AC Nielsen weist im nationalen Handel bereits einen leichten Mengenrückgang für das zurückliegende Geschäftsjahr aus. Bei aller Euphorie, die die bayerischen Brauer angesichts des respektablen Sortenerfolgs in den letzten zehn Jahren an den Tag gelegt haben, wird das Mengenwachstum wohl nur noch den großen Marken vorbehalten bleiben – der Markt ist weitgehend aufgeteilt. Wenige Marken sind die großen Gewinner.
Nicht nur Platzhirsch Augustiner mit Mengenverlusten
Tatsächlich gibt es unter den Sorten-Top-10 immer noch Gewinner, aber eben auch Verlierer. Selbst die bis dato unangefochtene Hellbier-Größe Augustiner ist 2022 mit einem Mengenverlust in den Abwärtssog geraten, hält in seiner Führungsrolle die Wegbegleiter allerdings auf Abstand. So belegen Bayreuther Hell, Tegernseer und Chiemseer die nachfolgenden Plätze, bevor im nationalen Ranking das helle Pülleken aus dem Sauerland den Traditionalisten die vorderen Marktpositionen streitig macht. Die Nachfrage in Deutschland ist überdies unverändert zweigeteilt.
Zwar sind Verbraucherwanderungen in den Bundesländern mit traditioneller Pils-Kompetenz hin zum Hellen zu sehen, doch der Großteil der Verwender rekrutiert sich eben aus dem Weißbier-Umfeld. Fest steht laut AC Nielsen, dass das Helle zu 64 Prozent in Bayern und Baden-Württemberg über die Ladentheken geht und damit in der klassischen Sortenheimat des Weißbiers wildert. In den anderen Bundesländern hält sich das rasante Wachstum der vornehmlich bayerischen Marken in Grenzen. Nur 36 Prozent werden dort verkauft.
Bayreuther Hell und das Pülleken genießen Begehrlichkeit
Die Lage für die Brauereien ist verzwickt. Bayerische Brauer, die nicht früh genug mit einer attraktiven Hell-Alternative im Regal standen, haben in Sachen Mengenerwartung inzwischen das Nachsehen. Es war im deutschen Biermarkt schon immer so: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben – und die Käufer. Denn zum deutschlandweiten Selbstläufer ist das Helle trotz aller Sympathie für weißblaue Folklore noch längst nicht geworden. Und auch das ist keine Überraschung: Sichtbar wird bereits jetzt, dass sich der Handel 2023 mit Neulistungen schwerer tut als erwartet. Die Drehgeschwindigkeit des bayerischen Hellen und damit dessen Handelsattraktivität, so ist zu hören, bewege sich im Norden und Nordosten der Republik vielerorts unter den Erwartungen. Mehr Marken brauche es nicht, heißt es dort unisono.
Dass es einen triftigen Grund für die gebremste Listungsbereitschaft gibt, liegt damit auf der Hand. Das Weißbier als früherer bayerischer Sorten-Platzhirsch befreite sich ebensowenig aus der Spezialitätenecke wie es gegenwärtig dem Hellen gelingt. In der Konsequenz ist die Sorte im Vergleich zum Sortenfavoriten Pils eben nicht für einen veritablen Mengenschub stark genug, um kostbaren Aktionsplatz im wöchentlichen Angebotsflyer für sich zu reklamieren. Ausnahmen sind eine Handvoll etablierter Top-Marken, die auf der Sonnenseite des Biermarktes stehen. Sie genießen ein hohes Maß an Verbraucherattraktivität und Begehrlichkeit. Der ohnehin überschaubare Aktionsanteil, der aktuell bei rund einem Drittel der gesamten Verkaufsmenge liegt, sorgt für stabile Preise – und auskömmliche Renditen.
Top-Weißbierbrauer laufen dem Hellbier-Segment hinterher
Doch wie werden sich die Verbraucher weiterhin entscheiden? Weil Weißbier offenbar ein marktseitiges Akzeptanzproblem hat, wird das Helle weiter profitieren. Tatsächlich hatte Hefeweizen seinen Zenit im Handel schon 2010 überschritten – von da an ging es kontinuierlich bergab. Während laut AC Nielsen sein Marktanteil damals bei 8 Prozent lag, begann das Helle seinen Siegeszug vor 13 Jahren mit einem Marktanteil von gerade einmal 4,6 Prozent. Weißbier rutschte im letzten Jahr auf 5,5 Prozent ab, während es das Helle mit seinem Marktanteil von 10,3 Prozent in die Zweistelligkeit schaffte – eine kleine Sensation. Der offenkundige Markentausch von Sortenwechslern sorgt im Blick der Verwender für eine veränderte Wahrnehmung im bayerischen Markenspektrum. Die erfolgsverwöhnten Weißbiermarken Paulaner, Franziskaner oder Erdinger mussten umsteuern, landen aktuell nicht einmal unter den Top 5 der Hellen.
Die Biersparte der Schörghuber Gruppe erhielt neue Schubkraft durch eine rasche Neupositionierung des Paulaner Hell, AB Inbev revitalisierte das vergessen geglaubte Spaten, und Erdinger launchte als Späteinsteiger das Erdinger Brauhaus Hell. Und die Warsteiner Gruppe versucht seit 2022 ihr Glück mit dem Oberbräu. Dass dem Paulaner Hell noch rascher Mengenerfolg gelang, ist auch auf die forcierte Einwegstrategie zurückzuführen.
Im Hellbier-Segment ist Schörghuber inzwischen unangefochtener Dosenmarktführer. Jede dritte Dose im Hellbiersegment stammt von Paulaner. Danach folgen mit deutlichem Abstand die Dosen der AB Inbev-Marken Löwenbräu und Spaten sowie Hacker Pschorr von Paulaner. Vor allem dank des Discountkanals entstand ein aktionsgetriebener Dosensog, der Paulaner Hell bei Lidl jüngst sogar eine Regalplatzierung einbrachte. Erfreuliche Begleiterscheinung: Das Sortensegment in der Dose kann über die Discounter seine Käuferreichweite ausbauen – willkommenes Absatzpotenzial also.
OLG prüft: Bitburger soll bei Benediktiner bayerisches Image unterlassen
Dass die bayerischen Brauer angesichts der jüngsten Sortenentwicklung Sorge vor der Übermacht der weißblauen Nacheiferer jenseits der bayerischen Staatsgrenzen haben, lässt sich angesichts des ins Stocken geratenen Wachstums gut nachvollziehen. Mehr noch: Nervosität hat in einigen Brauhäusern die mehrjährige Euphorie abgelöst. Da passt es ins Bild, dass sich gerade jetzt brauwirtschaftliches Störfeuer bemerkbar macht – in Gestalt der selbsternannten „Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs“, die diesmal im Selbstverständnis eines juristischen Bollwerks ums bayerische Image kämpft – freilich ohne Nennung der Beschwerdeführer im Hintergrund (wir berichteten).
Der Bitburger Braugruppe soll vor dem Münchener Oberlandesgericht eine Unterlassungserklärung für ihre Hellbier-Marke Benediktiner abgerungen werden, weil sie mit der Markenvisualisierung bayerische Herkunft suggeriere. Schon lange war im Wettbewerb darüber spekuliert worden, wann es zu einer juristischen Auseinandersetzung kommen sollte, weil Benediktiner in Lich gebraut und damit eben nordhessischer Herkunft ist. In der Brauwirtschaft weiß man eben, wie man Rivalität auszufechten weiß – selten mit offenem Visier.
Erdinger sucht Achtungserfolg, Krombacher bleibt ungeduldig
Wie schnell der Markt verteilt war, musste die Erdinger Brauerei erleben, die lange Zeit zögerte, im Hellbier-Segment anzugreifen. 2022 war es dann höchste Zeit für den einstigen Weißbier-Marktführer, in der begonnenen Schlussphase des Sortenwachstums unter dem neuen Label „Erdinger Brauhaus“ zumindest einen Achtungserfolg einzufahren. Warsteiner schickte zeitgleich sein Oberbräu ins Rennen und Krombacher geht seit Frühjahr mit „Eins“ in den NRW-Markt, um sich nach Pülleken-Vorbild von Veltins mit einem eigenständigen Produkt-Marken-Konzept zu profilieren.
Dass der Pils-Marktführer mit dem angekündigten Starnberger Hellen 2023 nicht vorankommt, dürfte Krombacher-Inhaber Bernhard Schadeberg kaum behagen. Mit seiner 2021 getroffenen Minderheitsbeteiligung am Starnberger Brauhaus hat er weder Kraft noch ausreichend Einfluss, um das Projekt unter der Ägide von Hauptgesellschafter und Brauer Florian Schuh mengenrelevant voranzutreiben. Der hat gerade noch in der jüngsten Stadtratssitzung angekündigt, sein Volumen am Standort Wieling auf 75.000 Hektoliter zu steigern.
Erst in fünf Jahren soll auf dem alten DHL-Gelände in Schorn, nordöstlich vom Starnberger See und immerhin 19 Kilometer vom jetzigen Brauhaus entfernt, die neue Brauerei ans Netz gehen. Für Krombacher keineswegs eine befriedigende Aussicht, denn im Siegerland weiß man auch, dass dann der Markt fürs Helle endgültig aufgeteilt ist. Der erste Versuch, mit Krombacher Hell 2014 und der prominenten Werbeunterstützung von Matthias Schweighöfer zu punkten, war nur mäßig erfolgreich. Sortenerfolg lässt sich eben nicht erzwingen.