Der politische Druck auf die Hersteller alkoholhaltiger Getränke steigt. Nicht nur in der Europäischen Union wächst die Bereitschaft, den Alkoholkonsum durch Werbeverbote, Warnhinweise und Preiserhöhungen stärker zu reglementieren, auch der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert, will eine entschieden härtere Gangart einschlagen.
In der Alkohol-Diskussion wird gern mit der hohen Zahl der Alkoholtoten argumentiert. Jährlich sollen in Deutschland 74.000 Menschen durch Alkoholkonsum sterben. Mit dieser erschreckenden Zahl begründen Politiker seit Jahren ihre Maßnahmen, und auch viele Medien zitieren sie landauf, landab in ihrer Berichterstattung. Dabei ist der Alkoholkonsum in Deutschland seit 30 Jahren stark rückläufig. Die Frage lautet: Wieso bleibt dennoch die Zahl der Todesopfer Jahr für Jahr gleich?
Offensichtlich berufen sich Politik und Medien auf ein und dieselbe Quelle, die das Bundesministerium für Gesundheit auf seiner Webseite zum Thema Alkohol veröffentlicht hat: „Analysen gehen von jährlich etwa 74.000 Todesfällen durch Alkoholkonsum allein oder bedingt durch den Konsum von Tabak und Alkohol aus.“ Alkoholgegner zitieren die Zahl gerne, lassen dabei aber den Tabak einfach unter den Tisch fallen.
Datengrundlage ist mehr als 30 Jahre alt
Laut Bayerischem Brauerbund geht die Zahl auf eine Studie der Universität Greifswald aus dem Jahr 2002 mit einer Datengrundlage von 1991 und 1997 zurück. Auf Anfrage von Getränke News bestätigt das Bundesministerium für Gesundheit die Quelle und verweist dabei auf das Jahrbuch Sucht 2023 der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), in dem die Studie von 2002 zitiert wird. Dabei gibt es aktuelle Zahlen, die das Deutsche Krebsforschungszentrum im Alkoholatlas Deutschland 2022 veröffentlicht hat. Demnach starben im Jahr 2020 in Deutschland rund 14.200 Menschen an einer ausschließlich durch Alkoholkonsum bedingten Krankheit, über 8.000 davon an einer alkoholbedingten Krebserkrankung.
Eins ist klar: Jeder Alkoholtote ist einer zu viel. Doch wenn die Politik in der aktuellen Diskussion mit Zahlen argumentiert, die aus einer 20 Jahre alten Studie stammen, mit einer Datengrundlage von 1991, und die außerdem noch den Konsum von Tabak beinhalten, wirft das Fragen auf. Ebenso fragwürdig ist eine aktuelle Befragung im Auftrag des Drogenbeauftragten zur Einstellung der Bevölkerung zu Werbe- und Sponsoringregulierungen. Demnach wünschen sich 60 Prozent der Deutschen ein generelles Werbeverbot für Alkohol. Wie repräsentativ diese Umfrage war, zeigt ein Blick in die Erhebungsdaten: Es wurden 1.383 Menschen befragt, darunter 333 Pädagogen und 68 Fachkräfte aus der Suchthilfe.
Handlungsdruck erzeugen
„Ich habe den Eindruck, dass die veralteten Zahlen auch herhalten müssen, um künstlich Handlungsdruck zu erzeugen. Solange man ein Problem nur hinreichend aufbauscht, bleibt auch der Ruf nach seiner Lösung lautstark“, erklärt Dr. Lothar Ebbertz, Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Brauerbunds, auf Anfrage von Getränke News. Tatsache ist: In Deutschland wird seit Jahren immer weniger Alkohol getrunken, der jährliche Reinalkohol-Pro-Kopf-Konsum sank von 1991 bis 2021 um 28 Prozent. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Bier ging um 50 Liter zurück.
„Würde kommuniziert, dass der Alkoholkonsum im Allgemeinen und der Bierkonsum im Besonderen seit Jahren signifikant rückläufig ist, dass vor allem Jugendliche immer weniger Alkohol trinken, wie wollte man dann den Ruf nach Werbebeschränkungen, Steuererhöhungen oder Verkaufsbeschränkungen usw. noch glaubwürdig begründen“, so Ebbertz.
„Der Drogenbeauftragte sucht händeringend nach einer Trophäe, um seine selbst beschleunigte Werbeverbotsdiskussion in einen Erfolg umzumünzen. Wer ein Naming-Right der Veltins-Arena angreift, liefert sich dem Vorwurf des blanken Populismus aus. Wir erwarten von der Bundesregierung mehr Präventionsarbeit!“, forderte Michael Huber, Generalbevollmächtigter der Brauerei Veltins, Anfang Juli bei einer Pressekonferenz.
Dass Präventionsarbeit wirkt, zeigt der seit Jahren stark rückläufige Alkoholkonsum, gerade bei Kindern und Jugendlichen. Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung tranken 1991 über 50 Prozent der 18- bis 25-Jährigen regelmäßig Alkohol, heute sind es nur noch rund 30 Prozent; eine Entwicklung, die ganz ohne weitere Werbeverbote und Verkaufsbeschränkungen erreicht wurde.
Zugleich steigt der Anteil an jüngeren Menschen, die völlig abstinent leben. „Wenn junge Menschen über Jahrzehnten vor den Risiken des Konsums alkoholhaltiger Getränke gewarnt werden, bleibt davon sicherlich etwas hängen“, ist Lothar Ebbertz überzeugt. Der Abwärtstrend des Alkoholkonsums sei außerdem das Ergebnis allgemein deutlich gesteigerten Gesundheitsbewusstseins. Wer besonders gesund leben möchte, der sei für die Warnungen vor „ungesundem“ Alkoholkonsum besonders empfänglich.
Der seit Jahren stark rückläufige Alkoholkonsum spiele aber bei den alkoholpolitischen Aktivitäten offenbar keine Rolle. Hier werde nicht unterschieden zwischen dem verantwortungsvollen Genuss und dem schädlichen Missbrauch alkoholhaltiger Getränke. „Wir haben eine wachsende Gruppe abstinent lebender Menschen, vor allem auch Jugendlicher, es gibt die überwiegende Mehrheit derer, die mit Genuss konsumieren und einen kleinen Kreis, der Alkohol eben jenseits der Grenzen des verantwortungsvollen Genusses trinkt. Um die letztgenannte Gruppe müssen wir uns kümmern“, sagt Ebbertz.
Konsumbekämpfung statt Prävention
Die Bestandsaufnahme des Drogenbeauftragten Burkhard Blienert klingt jedoch anders: Angesichts des großen gesellschaftlichen Schadens, den Alkohol anrichte, sei es nicht angebracht, ihn zum „kulturellen Allgemeingut“ zu stilisieren. „Wir müssen von einem freien Wildwuchs sukzessive zu einem regulierten, kontrollierten Umgang mit Tabak und Alkohol kommen“, fordert Blienert. Dazu gehörten auch noch deutlichere Werbebeschränkungen. Dass der Alkoholkonsum trotz steigender Werbeausgaben sinkt, wird vom Drogenbeauftragen offenbar ignoriert.
„Wie so oft in der deutschen Politik wird das Problem ideologisch angegangen und deshalb über das Ziel hinausgeschossen“, fasst Lothar Ebbertz seine Kritik zusammen. Statt Missbrauchsprävention werde Konsumbekämpfung betrieben. Wäre aber die Relation zwischen Durchschnittskonsum und Missbrauch real, müsste das Missbrauchsproblem bei fast 30-prozentigem Rückgang des Durchschnittskonsums längst spürbar gemindert sein. „Dass es das aber nicht ist, macht in meinen Augen deutlich, dass die bloße Konsumbekämpfung Symbolpolitik ist, die am wahren Problem vorbeigeht“, so Ebbertz.