„Moskovskaya aus Russland – du bist erstmal raus!“ Das postete der bekannte Hamburger Barkeeper und Consultant Uwe Christiansen am 3. März auf Facebook – zusammen mit einem Foto verschiedener Barspirituosen und im Vordergrund einer liegenden Flasche der gerade „verstoßenen“ Wodkamarke.
Wie gravierend sich die Boykotte schon kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine auf die Lieferanten und Distributeure auswirkten, weiß Nikolas Odinius, Pressesprecher von Borco. Die Hamburger Importeure führen mehrere russische Wodkas im Portfolio, darunter mit Russian Standard eine der bekanntesten Marken.
Viele Händler und Gastronomen haben laut Odinius die Marken bereits ausgelistet, um ein Zeichen der Solidarität zu setzen. Im Lebensmittelhandel sind (Stand 7. März) schon rund 90 Prozent der Distribution weggebrochen. „Einige Handelsketten haben ihre Regale bereits leergeräumt, andere verkaufen noch vorhandene Bestände“, berichtet Odinius auf Anfrage von Getränke News.
Gesamtes Marketing gestoppt
Wegen des Kriegs importiert Borco derzeit gar keinen Wodka aus Russland und hat beschlossen, sämtliche Marketingmaßnahmen zu stoppen oder zu verschieben. Die langjährige Partnerschaft mit dem Hersteller Roust sei „von gemeinsamen Werten geprägt“, beide Unternehmen distanzierten sich ausdrücklich von dem politischen Geschehen, ist Odinius wichtig zu betonen. Vor allem aber sei das Borco-Team „in Gedanken bei allen Opfern“.
Freilich ändert das nichts daran, dass die radikalen Maßnahmen das Unternehmen wirtschaftlich schwer treffen. Zwar sei Borco in anderen Kategorien wie Tequila oder Whisky gut aufgestellt, wegen der massiven Einbrüche beim Wodka müsse man aber die Prioritäten 2022 „komplett überarbeiten“, so Odinius.
Auch bei Simex, dem Markeneigner des nicht nur von Uwe Christiansen aussortierten Moskovskaya, ringt man fieberhaft um eine Lösung. Wie Geschäftsführer Jürgen Gockel Anfang März in einem Schreiben an die Handelspartner mitteilte, ist Moskovskaya eine deutsche Marke, die allerdings „aus historischen Gründen“ in Russland hergestellt wird.
Produktion muss in anderes Land wechseln
Simex sei seit seiner Gründung 1962 ein deutsches Familienunternehmen mit Sitz in Jülich, es bestünden keinerlei Verflechtungen mit russischen Unternehmen oder dem russischen Staat. „Die russische Invasion widerspricht grundlegend allen Werten, die wir als Demokraten teilen“, unterstreicht Gockel. Deshalb führt Simex intensive Gespräche, wie die Produktion schnellstmöglich in ein europäisches Land verlegt werden kann.
Einen anderen Ausweg dürfte es vorläufig für russische Marken auch nicht geben. Laut Einschätzung des international aufgestellten Marktforschungsinstituts Global Data könnte die derzeitige Lage die Absatzzahlen nicht nur temporär einbrechen lassen, sondern auch auf längere Sicht für eine Abkehr von russischen Waren sorgen.
In einer Umfrage des Instituts vom Herbst 2021 stimmten 41 Prozent der Konsumenten weltweit der Aussage zu, Marken boykottieren zu wollen, die nicht mit ihren persönlichen Werten in Einklang stehen. Wenn der Konflikt länger anhalte, würden voraussichtlich daher viele Menschen in Westeuropa und Nordamerika verstärkt zu Wodkas anderer Herkunft wechseln, glauben die Analysten.
Polnischer Wodka im Aufwind
Darauf hofft man auch bei Borco. Mit Żubrówka sei auch eine stark wachsende polnische Wodkamarke im Portfolio, betont Pressesprecher Nikolas Odinius. Der Markeneigner CEDC gehöre zur Maspex-Gruppe, einem zu 100 Prozent polnischen Unternehmen. Żubrówka zählt weltweit zu den meistverkauften Wodkamarken und gehört jetzt bereits auch hierzulande zu den Wachstumstreibern. Das Potenzial sei noch längst nicht ausgeschöpft und die Kategorie könnte durch die aktuelle Lage „weiteren Aufwind erfahren“, hofft man in Hamburg.
Es stellt sich allerdings die Frage, in welchem Maße Endverbrauchern überhaupt die Herkunft fremdländisch klingender Produkte bewusst ist. Unter Umständen müssen daher auch Marken, die gar nicht aus Russland stammen, um ihre Reputation bangen. So schickte Henkell Freixenet kürzlich eine kurze Information an die Presse, in der das Unternehmen darauf hinwies, dass Wodka Gorbatschow eine deutsche Marke ist, die 1921 in Berlin gegründet wurde und „seit jeher“ in Deutschland produziert wird. Dies werde auf den Flaschen und auch in der Endverbraucherwerbung seit langem so kommuniziert.
Falsches Foto sorgte für Aufregung
Ausgelöst hat den Aussand eine regionale Tageszeitung, die einen Bericht über die Auslistung russischer Lebens- und Genussmittel mit einem Foto der Berliner Marke illustrierte, erklärte Jan Rock, Pressesprecher von Henkell Freixenet, auf Nachfrage von Getränke News. Da der Handel und auch die Fans der Marke über deren Herkunft gut informiert seien, mache man sich zwar keine allzu großen Sorgen, beobachte die weitere Entwicklung aber aufmerksam, so Rock.
Größeren Kummer macht ihm und seinen Kollegen allerdings die eigene Vertriebsgesellschaft in der Ukraine. Sie sei ein „sehr liebes, aber kleines Tochterunternehmen“ mit relativ geringer wirtschaftlicher Bedeutung, groß sei allerdings die Sorge um die dortigen 28 Mitarbeiter, die ihre Büros inzwischen geräumt hätten. Um sie zu unterstützen, hat Henkell Freixenet einiges in Bewegung gesetzt. Unter anderem wurde ein Fonds gegründet, der es anderen osteuropäischen Tochtergesellschaften ermöglicht, vor Ort humanitäre Hilfe zu leisten.
Jetzt auch Luxusgüter auf EU-Sanktionsliste
Wie gravierend die Folgen für die Spirituosenbranche in Europa – über das Wodkageschäft hinaus – noch werden können, vermag noch niemand zu sagen. Zuletzt war Russland der viertgrößte Exportmarkt für europäische Spirituosen, weiß Ulrich Adam, Geschäftsführer des Dachverbands Spirits Europe. Hoffnungen von Unternehmen, ihr Geschäft in diese Richtung auszuweiten, zerschlagen sich wohl langfristig.
Sehr kurzfristig hingegen wird sich die Branche mit den neuesten politischen Maßnahmen auseinandersetzen müssen: Am gestrigen Dienstag hat die EU-Kommission ihr viertes Sanktionspaket verabschiedet – auf der Liste steht nun auch ein Exportverbot für Luxusgüter, wozu im Allgemeinen auch Spirituosen zählen. Was das konkret für die Branche bedeutet, ist noch gar nicht abzusehen.