Den großen Getränkelogistikern steht das Wasser bis zum Hals. Seit Jahren bereits wird die Versorgungssituation in der Branche immer prekärer: Ausufernde Sortimente und eine riesige Gebindevielfalt treffen auf Fahrermangel, Frachtraumknappheit und auf gesetzliche Vorschriften, die einen flexiblen Personaleinsatz zunehmend schwieriger machen. Die Corona-Krise hat die Situation nun zum Eskalieren gebracht – und zwingt die Logistiker zum Handeln.
Mit einem Brandbrief, der Getränke News vorliegt, hat sich deshalb in der vergangenen Woche die Winkels Getränkelogistik an ihre Kunden gewendet. „Die Mehrweg-Getränkelogistik hat die Grenze des Machbaren überschritten“ lautet, zusammengefasst, die Botschaft. Verfasst hat den Appell die Profi System-Getränke-Logistik (SGL) mit allen 13 Gesellschaftern. Zähle man die Kunden aller Gesellschafter zusammen, sei die Gruppe „die Nummer 1“ in der Branche, unterstreicht Dieter Hamel, Winkels-Geschäftsführer Vertrieb LEH/Einkauf, deren Schlagkraft. Zudem seien in den letzten Tagen deutschlandweit weitere Logistiker mit demselben Anliegen an ihre Kunden herangetreten, weiß Hamel.
Die Getränkebranche sei früher „ein gut synchronisiertes Getriebe“ gewesen, seit Jahren bereits laufe es aber nicht mehr rund. Während der Corona-Pandemie seien nun auch noch „einige Zahnräder herausgebrochen“, dies führe überall zu Engpässen und Ausfällen, vor allem jetzt im Sommer, während der wenigen Monate also, in denen in der Branche das Geld verdient wird.
„Unsere Auftragsbücher sind voll, aber es gibt keine Fahrer“, benennt Hamel im Gespräch mit Getränke News ein Kernproblem. Der Wettbewerb um Fahrer werde immer härter, der Zuschlag gehe am Ende an die Meistbietenden, oft in ertragreicheren Branchen. Zugleich optimiere die Industrie ihre Prozesse immer stärker, unter anderem würden immer mehr Brauereien eine Abholung nur noch nach Bestellung und Vereinbarung eines Zeitfensters ermöglichen.
„Das bringt uns aus dem Takt, wir können große Mengen nicht mehr flexibel abholen“, klagt Hamel. Bei hitzebedingt besonders hoher Nachfrage könne es an der Rampe mitunter zu Wartezeiten von bis zu 24 Stunden kommen, unterstreicht er. Ein guter Mix aus Transporten von Voll- und Leergut sei unter diesen Bedingungen einfach nicht mehr möglich.
Als weiteres gravierendes Problem führt der Winkels-Manager das fehlende Leergut an. Die Kisten seien wegen steigender Kunststoffpreise doppelt so teuer wie im letzten Jahr, diese Kapitalbindung wolle sich kaum ein Hersteller leisten. Beim Glas müsse man inzwischen monatelang auf Lieferung warten. Und wenn dann einmal ausreichend Leergut im Lager stehe, fehle das Personal. Wegen der Corona-Pandemie konnten zeitweise Arbeitskräfte aus Osteuropa nicht mehr einreisen, die unter anderem in der Sortierung und Kommissionierung dringend gebraucht werden – mit der Folge, dass das System auch an dieser Stelle kollabierte.
Hälfte des Absatzes mit Kleinstmengen
Sorgen macht der Branche indessen auch das ungebremst wachsende Sortiment mit einer riesigen Zahl an Me-too-Produkten: 50 Prozent der Artikel stünden bei Winkels für nicht einmal ein Prozent des Absatzes, berichtet Dieter Hamel. Praktisch bedeutet das, dass die Hälfte des Absatzes sich aus Produkten mit Mengen bis zu einer Palette (also 40 Kisten) zusammensetzt. Und das, obwohl der Logistiker vor allem große LEH-Ketten wie Kaufland oder Rewe beliefert. „Der Handel darf nicht mehr listen auf Teufel komm raus“, ärgert sich Hamel. Wenn es dieses Einsehen nicht gebe, müssten sich beide Seiten überlegen, auf dieses eine Prozent lieber zu verzichten und dadurch die Verfügbarkeit beim restlichen Sortiment zu erhöhen.
„Die Systeme sind an vielen Stellen an den Rand geführt, davor verschließen viele die Augen. Und die Logistiker sollen alle Probleme ausgleichen“, fasst Hamel zusammen. Das sei aber gerade auch angesichts niedriger Margen immer schwerer möglich. „Alle drei Seiten sind aufgerufen, sich mit den Auswirkungen ihres Handelns auseinander zu setzen.“
„Der Druck im Kessel ist extrem hoch“
Für Brauereien mit zu langen Standzeiten werde er seinen wertvollen Frachtraum nicht mehr einsetzen können, kündigt er an. Dies komme dann den Lieferanten zugute, die die Abläufe besser managen könnten. Auch gebe es Überlegungen, mit den Kunden zu prüfen, in Hochphasen die Märkte weniger oft anzufahren, um in der gesparten Zeit mehr Ware ausfahren zu können. So könne das Platzproblem angegangen werden.
„Der Druck im Kessel ist extrem hoch, den vielen Worten der vergangenen Jahre müssen nun Taten folgen“, fasst Dieter Hamel abschließend zusammen. Um die Warenversorgung auch in den nächsten Jahren sicherzustellen, müssten Handel, Hersteller und Logistiker besser zusammenarbeiten, damit „die Zahnräder wieder besser ineinandergreifen“.