Seit einem Vierteljahrhundert setzt sie ein Zeichen für handwerkliches Brauen und regionale Verantwortung: Die Initiative „Die Brauer mit Leib und Seele“ wurde gegründet, um gemeinsame Werte wie Regionalität, Qualität und Unabhängigkeit sichtbar zu machen. Gabriele Lemke, Mitinhaberin der Hirsch-Brauerei Honer, und Gottfried Härle, Inhaber der Brauerei Clemens Härle und einer der Gründer der Vereinigung, erzählen im Interview mit Getränke News, wie sich ihre Kooperation entwickelt hat, warum Vertrauen wichtiger ist als Konkurrenz – und was mittelständische Brauereien dem Preisdruck der Großkonzerne entgegensetzen.

Getränke News: Wenn Sie auf das letzte Vierteljahrhundert zurückblicken – wie hat sich die Braubranche verändert und wie hat das Ihre Kooperation geprägt?
Härle: Die wohl tiefgreifendste Entwicklung der vergangenen Jahre ist der anhaltende Rückgang des Bierkonsums. Für kleine und mittelständische Brauereien ist das eine Herausforderung, der wir nur in begrenztem Maße etwas entgegensetzen können. Gleichzeitig hat die Marktkonzentration weiter zugenommen – sowohl im Handel als auch in der Brauwirtschaft. Große Brauereien wachsen weiter, ihre Produktivitätsvorteile verschärfen den Preisdruck spürbar. Die Zahl der Aktionen nimmt zu, und vielerorts werden Preise gemacht, die langfristig an die Substanz gehen – ohne dass der Konsum dadurch steigt.
Lemke: Erfreulich ist hingegen die Dynamik im Segment der alkoholfreien Biere. Bei einigen Brauereien liegt ihr Anteil am Gesamtausstoß bereits bei zehn Prozent – Tendenz steigend. Die Qualität dieser Biere hat in den letzten Jahren deutlich gewonnen, was Hoffnung macht und neue Zielgruppen erschließt.
Getränke News: Wie erleben Sie aktuell das Spannungsfeld zwischen notwendiger Preisgestaltung und der wachsenden Preissensibilität der Verbraucher?
Lemke: Während der Energiekrise war die Bereitschaft groß, für regionale Produkte tiefer in die Tasche zu greifen – das Verständnis war spürbar. Aktuell erleben wir hingegen eine Phase großer Unsicherheit: Die Konsumzurückhaltung wächst, und die Preissensibilität nimmt deutlich zu. Biere, die über 20 Euro pro Kasten hinausgehen, haben es schwer. Wir konkurrieren zunehmend mit Angeboten, die bis zu zehn Euro günstiger sind – da wandern manche Verbraucher ab. Dennoch: Wir brauchen unsere Preise, um wirtschaftlich bestehen zu können.
Härle: Unser Engagement für die Region ist keine Floskel, sondern Überzeugung. Einige unserer Mitgliedsbrauereien pflegen enge Partnerschaften mit Landwirten vor Ort und beziehen ihr Getreide direkt von ihnen. Dieser Schulterschluss zwischen Landwirtschaft und Brauhandwerk schafft echte Wertschöpfung in der Region. Und er macht uns stark – nach innen wie nach außen. Genau das müssen wir den Kunden vermitteln: was uns unterscheidet und warum unser Bier nicht zum gleichen Preis angeboten werden kann wie die Produkte großer Brauereien, die deutlich effizienter produzieren.
Getränke News: Welche Strategien verfolgen Sie, um auch in einem herausfordernden Marktumfeld erfolgreich zu bleiben – und wo sehen Sie aktuell die größten Chancen für mittelständische Brauereien?
Härle: Jammern hilft da nicht – gefragt sind Anpassung und Weiterentwicklung. Potenziale sehen wir vor allem in neuen Segmenten: Alkoholfreie Biere entwickeln sich dynamisch, und auch Getränkekonzepte wie hochwertige alkoholfreie Erfrischungsgetränke, bieten neue Möglichkeiten. Nicht jeder Trend muss mitgemacht werden – aber wer seine Nische klug besetzt, kann auch in schwierigen Zeiten erfolgreich sein.
Lemke: Unsere besondere Stärke liegt im Gastronomiebereich. Vor 25 Jahren dominierten in unserer Region noch die großen nationalen Biermarken die Getränkekarten – sie galten vielerorts als gesetzt. Heute hat sich das Bild deutlich gewandelt: Gäste fragen zunehmend gezielt nach regionalen Bieren. Davon profitieren wir als mittelständische Brauereien ganz unmittelbar. Wir punkten mit kurzen Entscheidungswegen, hoher Flexibilität und einem persönlichen, verlässlichen Kontakt zur Gastronomie – genau diese Nähe wird heute mehr denn je geschätzt.
Getränke News: Ihre Vereinigung basiert auf klar definierten Grundsätzen, den „5 Werten der Bierkultur“. Wie spiegeln sich etwa Qualität und Regionalität in Ihrem Alltag wider?
Lemke: Regionalität ist für uns keine Marketingfloskel, sondern eine Haltung. Bei jeder Entscheidung prüfen wir, was sich regional umsetzen lässt – sei es beim Einkauf, bei Bauprojekten oder im täglichen Betrieb. Aktuell entsteht bei uns ein neues Kesselhaus. Den Brenner dafür haben wir ganz bewusst bei einem Hersteller aus der Nachbargemeinde bezogen.
Härle: Unsere Verbundenheit zeigt sich nicht nur in der Auswahl unserer Partner, sondern auch im gesellschaftlichen Engagement. Wir unterstützen Vereine, organisieren Veranstaltungen und übernehmen Verantwortung für das kulturelle Leben – so, wie es Brauereien traditionell seit jeher tun. Alle Mitglieder unserer Kooperation stehen hinter dieser Haltung: Wir verstehen uns als aktiver Teil der Region – nicht nur als Gestalter der regionalen Bierkultur, sondern auch als Impulsgeber für das Leben vor Ort.
Getränke News: Welche Rolle spielt das gegenseitige Vertrauen in Ihrer Kooperation – gerade, wenn es um Erfahrungen geht?
Lemke: Innerhalb der Kooperation tauschen wir uns intensiv über unsere Erfahrungen aus – etwa bei der Einführung neuer Produkte. Natürlich trifft jede Brauerei am Ende ihre eigenen Entscheidungen, doch die Erkenntnisse der Partner fließen dabei ganz automatisch mit ein. Dieser informelle Wissenstransfer ist ein echter Mehrwert. Dabei sprechen wir auch offen über das, was nicht funktioniert hat – dieser ehrliche Umgang miteinander ist nur möglich, weil wir uns auf Augenhöhe begegnen und ein hohes Maß an Vertrauen gewachsen ist.
Härle: Besonders wertvoll ist der regelmäßige Austausch unter den Inhaberinnen und Inhabern. Ob bei gemeinsamen Exkursionen – etwa nach Köln oder Bremen, um neue Gastronomiekonzepte kennenzulernen – oder bei intensiven Gesprächen vor Ort: Im Verbund nimmt man sich für solche Impulse bewusst Zeit, die man sich allein vielleicht nicht nehmen würde.
Getränke News: Sie bieten ungewöhnliche Seminare an – was unterscheidet Ihre Fortbildungskonzepte von klassischen Schulungen?
Lemke: Wir haben Qualitätszirkel ins Leben gerufen und passgenaue Fortbildungspakete entwickelt, die auf die Bedürfnisse mittelständischer Brauereien zugeschnitten sind. So können wir Synergien nutzen, gezielt externe Referenten einladen und praxisnahe Schulungen anbieten. Im Laufe der Zeit hat Dieter Klenk, der 24 Jahre lang die Geschäftsstelle unserer Kooperation geleitet hat, einen festen Pool an Referentinnen und Referenten aufgebaut, mit denen wir kontinuierlich zusammenarbeiten. Dieses Netzwerk ermöglicht uns hochwertige, maßgeschneiderte Fortbildungen – und trägt entscheidend dazu bei, Wissen im Unternehmen zu halten und weiterzugeben.
Getränke News: Wie gelingt es Ihnen, Weiterbildung so zu gestalten, dass sie nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch den Teamzusammenhalt stärkt?
Härle: Unsere mehrtägigen Seminare bieten nicht nur fachliche Weiterbildung, sondern auch Raum für den bereichsübergreifenden Austausch. Dabei entsteht oft eine ganz eigene Dynamik – Abteilungen vernetzen sich, lernen voneinander und entwickeln gemeinsame Lösungsansätze. Besonders stolz sind wir auf Schulungsformate, die es in dieser Form sonst kaum gibt: gezielt für Bierfahrer, Brauer oder Mitarbeitende in der Verwaltung. So kombinieren wir beispielsweise Fahrsicherheitstrainings mit Kommunikationseinheiten für den Kundenkontakt – praxisnah und auf die Realität unserer Betriebe abgestimmt.
Getränke News: Worauf sind Sie besonders stolz, wenn Sie auf die Entwicklung der Kooperation blicken?
Lemke: Der Austausch unter Gleichgesinnten hat uns nicht nur als Gemeinschaft gestärkt, sondern auch vielen jungen Nachfolgerinnen und Nachfolgern den nötigen Mut gegeben, Verantwortung im elterlichen Betrieb zu übernehmen. In allen Mitgliedsbrauereien konnte die Nachfolge deshalb frühzeitig und erfolgreich geregelt werden – ein entscheidender Faktor für die Zukunftsfähigkeit unserer Kooperation.
Härle: Besonders erfreulich: Vier der zehn Mitgliedsbrauereien werden inzwischen von Frauen geführt – ein starkes Signal für die Branche.