Sinkende Infektionszahlen stellen die Ampel im Gastronomiegeschäft wieder auf Grün. Nach sechs Monaten Lockdown dürfen in vielen Lokalen die Gäste wieder bewirtet werden. Dabei läuft der Neustart nicht immer reibungslos. Insbesondere der Getränkefachgroßhandel steht bei seiner Logistik teilweise vor großen Herausforderungen.
Mit die ersten, die wieder öffnen durften, waren Wirte aus Schleswig-Holstein. Seit Mitte Mai ist dort unter bestimmten Bedingungen die Innen- und Außengastronomie wieder geöffnet. Waldemar Behn, Geschäftsführer von Behn Getränke, einem der führenden Getränkefachgroßhändler in dem Land an der Küste, zieht eine erste Bilanz: „Das Gastronomiegeschäft zieht langsam wieder an und wir rechnen damit, dass wir in diesem Jahr noch 60 bis 70 Prozent unserer Gastronomieabsätze zum Vergleichszeitraum vom Vorjahr erzielen können. Sechs Monate am Stück ,geschlossen‘, davon vier in diesem Jahr, lassen sich nicht aufholen.“
In bestimmten Städten beliefert Behn bereits seit April wieder seine Gastronomiekunden. In sogenannten Modellregionen testete Schleswig-Holstein ab 19. April, unter welchen Bedingungen Urlauber trotz der Corona-Pandemie kommen könnten. Unter strengen Auflagen durften im Ostseebad Eckernförde, dem Firmensitz von Behn Getränke, Gastronomen zwei Wochen lang auch ihre Innenbereiche öffnen. Das dichte Netz von regelmäßigen Testungen und das strikte Hygienekonzept zeigen offenbar Wirkung: Weder Personal noch Gäste haben sich mit Corona infiziert, so lautet das Ergebnis der vorgeschriebenen wissenschaftlichen Begleitung.
„Die letzten Wochen haben gezeigt, dass Schleswig-Holstein mit der Öffnung schnell wieder viele Urlauber anzieht, so dass die Gastronomie und damit auch unsere Branche mit einem guten Sommer und dem Trend zum Urlaub in Deutschland die Chance zur Erholung bekommen kann“, sagt Behn.
Positive Aufbruchsstimmung deutlich spürbar
Auch bei der Bitburger Braugruppe, die insgesamt mehr als 50.000 Gastronomiepartner beliefert, ist Rainer Noll, Leiter Außer-Haus-Markt, optimistisch: „Wir spüren aktuell in der Gastronomie eine positive Aufbruchsstimmung.“ Das sei vor einigen Wochen, als in den ersten Landkreisen die Außengastronomie wieder öffnen durfte, noch anders gewesen. Damals waren viele Wirte noch sehr frustriert. Jetzt sei das anders und alle seien spürbar optimistisch, beschreibt Noll die Situation. „Die Gäste akzeptieren mittlerweile die Notwendigkeit der Tests und halten die Hygieneregeln ein. Auch die Registrierung läuft deutlich besser ab als im letzten Jahr“, so Noll. „Viele Gastronomen nutzen eine digitale Datenerfassung wie Apps und die Gäste vertrauen zunehmend dem Datenschutz.“
Anspruchsvolle Zeiten für die Gastronomie
Marcus Voeste, nationaler Vertriebsdirektor Gastronomie bei der Brauerei Veltins, rechnet in den nächsten Monaten mit Entspannung im Gastronomiegeschäft. „Ich habe nie zuvor eine solche Aufbruchsstimmung in der Gastronomie erlebt, denn die Betreiber brennen darauf, endlich wieder nah am Gast zu sein. Für viele waren es schmerzhafte Monate. Und das nicht nur finanziell, sondern auch perspektivisch. Die zweite Mai-Hälfte wurde umso engagierter dazu genutzt, alles auf Vordermann zu bringen“, so Voeste. Es stehe außer Frage, dass es seit Jahren die anspruchsvollsten Zeiten in der Gastronomie sind. „Die Rückkehr zur Normalität beginnt gerade erst, und das deutschlandweit regional sehr unterschiedlich“, sagt Voeste.
Tatsache ist: Für die Wirte war es bereits der zweite Lockdown, denn bereits im letzten Frühjahr mussten die Lokale für zwei Monate komplett schließen. Die Wiederöffnung war damals relativ unkompliziert, auch wenn Teile der Gastronomie weiterhin geschlossen bleiben mussten. Nun ist die Situation nach einem halben Jahr Zwangsschließung eine andere. „Wir haben große Mengen abgelaufene Ware, in den eigenen Lägern und bei den Kunden, die ausgetauscht werden müssen. Selbst Artikel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum noch nicht überschritten ist, können nur noch bedingt an unsere Gastronomiekunden ausgeliefert werden, da sie nach über einem halben Jahr im Lager verschmutzt sind“, erklärt Waldemar Behn.
Abgelaufene Ware und Ersatzartikel
Die abgelaufene Ware bekommt der Fachgroßhändler zwar zum Teil von den Lieferanten ersetzt und er hofft außerdem bei der Überbrückungshilfe III noch Ablaufware anmelden zu können. Allerdings geht dies nur in der Höhe des jeweiligen monatlichen Umsatzverlustes. „Das heißt, wenn wir 40 Prozent Umsatzverlust zu verzeichnen haben, dann bekommen wir auch nur 40 Prozent des Warenwertes durch Wirtschaftshilfen erstattet. Das verstehe wer will! Denn die Ware ist ja zu 100 Prozent bezahlt“, sagt Behn.
Ein anderer Punkt, der den Getränkefachgroßhändler täglich herausfordert, ist die Warenversorgung. „Bei den Brauereien gibt es aktuell teilweise erhebliche Standzeiten bei der Abholung und wir bekommen von beinahe allen Getränkeherstellern längst nicht alle Gastro-Artikel, die wir brauchen“, so Behn. Die Gastronomiekunden erhalten deshalb oft Ersatzartikel von anderen Marken. „Wir müssen jeden Tag ein wenig zaubern, um unsere Kunden zufriedenzustellen.“
Auch bei der Brauerei Veltins hat die Nachfrage nach allen gastronomischen Produkten angezogen. Veltins sei jedoch nahezu vollständig lieferfähig und die Wartezeiten würden sich im normalen Bereich bewegen, erklärt Marcus Voeste. Auch ein weiteres Anziehen der Nachfrage werde daran nichts ändern. Lediglich im fassbierorientierten Eventbereich rechnet Veltins mit einem verzögerten Einsetzen der Aktivitäten erst zum Spätsommer.
Veränderte Tourenplanung mit geringen Stoppmengen
Waldemar Behn schildert ein weiteres Problem bei der Getränkelogistik: Viele Gastronomiebetriebe seien noch immer geschlossen, was sich auf die Tourenplanung auswirke. „Und bei denen, die bereits geöffnet haben, ist das Geschäft häufig noch so eingeschränkt, dass unsere Stoppmengen noch relativ klein sind.“ Außerdem gehe oftmals abgelaufene Ware mit zurück. „Hinzu kommt, dass nach wie vor alle Großveranstaltungen ausfallen und der Städtetourismus noch nicht zurück ist. Wir transportieren zwar wieder Waren, aber Geld verdienen lässt sich damit noch nicht“, sagt Behn. „Glücklicherweise können wir in der Gastronomie bisher nur ganz wenige Schließungen beobachten. Die Entschädigungszahlungen haben wohl viele gerettet.“
Staatliche Zahlungen offenbar ausreichend
Auch die Bitburger Braugruppe spürt aktuell noch keine Zunahme von Insolvenzen in der Gastronomie. „Es scheint, dass die staatlichen Hilfen ausreichend waren. Es bleibt allerdings abzuwarten, was nach dem 1.7. passiert“, sagt Rainer Noll. Die Wirte hätten aktuell die Möglichkeit, sich Hygienemaßnahmen, Sonnenschirme, Lüftungsanlagen etc. über die Überbrückungshilfe III subventionieren zu lassen. „Viele unserer Gastronomen nutzen diese Förderung“, so Noll.
Marcus Voeste weiß: „Unsere vordringliche Aufgabe als Brauereipartner ist es schon jetzt, das Management in der Gastronomie noch stärker als bisher als Sparrings-Partner zu unterstützen.“ Die Kollegen im Veltins-Außendienst seien auf den Umgang mit schwierigen Situationen vorbereitet. Dabei ließen sich die Fragestellungen oftmals clustern und analoge Lösungsvorschläge ableiten. Das könne im praktischen Fall schon ein wirklicher Hilfsimpuls sein. „Tatsächlich gibt es historisch keine Blaupause, die nur einen annähernden Vergleich für die wirtschaftliche Gesundung zulässt. Ich denke, dass wir alle gut daran tun, sehr differenziert vorzugehen“, so Voeste. „Jetzt heißt es für uns und unsere Kunden gleichermaßen, operativ die Ärmel hochzukrempeln und anzupacken.“
Fachkräftemangel nimmt deutlich zu
Eine große Herausforderung dabei ist der Fachkräftemangel, der bereits vor der Pandemie spürbar war und nun deutlich zugenommen hat. Viele Servicekräfte mussten sich andere Jobs suchen, da die staatlichen Hilfen nicht ausreichten. Viele kommen nicht wieder zurück in die Gastronomie. „Um unseren Gastronomen bei der Personalsuche etwas zu helfen, werden wir bei der Bitburger Braugruppe eine Art Personalbörse einrichten“, sagt Noll.
Fest steht: Die Getränkehersteller und Fachgroßhändler werden ihren Wirten auch weiterhin helfen müssen. Es scheint jedoch, dass das Schlimmste überstanden ist. Und es gibt Grund zu Optimismus: In den touristischen Regionen stehen die Sommerferien bevor, was schon jetzt zu einem sehr positiven Buchungsstand in der Hotellerie geführt hat. Die Nachfrage in der Speisegastronomie wird dort analog dazu rasch anziehen. „Wir wissen aus den aktuellen Verbraucherbefragungen, dass die Menschen richtig Lust auf Biergarten und gastronomisches Flair haben“, sagt Voeste. Auch der Bitburger Gastro-Chef glaubt, dass sich die Besuchsfrequenz in der Gastronomie erhöhen wird. „Die Leute haben einen enormen Nachholbedarf. Die Gastronomen und deren Mitarbeiter freuen sich darauf, endlich wieder ihre Gäste bewirten zu dürfen“, so Noll.
Krise als Chance
Bei Veltins ist man davon überzeugt, dass das Sprichwort „In jeder Krise liegt auch eine Chance“ die Situation durchaus auf den Punkt bringt. „Letztlich gibt es für den ambitionierten Gastronomen und Eventanbieter doch auch nur ein Ziel: Er will seinen Betrieb nach vorn bringen und auch nach der Pandemie weitermachen! Wer sich so positioniert, kämpft zweifellos an der richtigen Front“, sagt Voeste.