Der Sommer steht vor der Tür, immer mehr Menschen sind geimpft, die Corona-Inzidenzen sinken allmählich. Es sieht aus, als bewegten wir uns endlich auf der Zielgeraden – und auch in der Getränkebranche keimt vorsichtiger Optimismus auf: Wenn bald die Gastronomie wieder öffnen darf, wird in absehbarer Zeit auch das Bier wieder sprudeln. Hoffentlich.
In die Vorfreude auf den baldigen Re-Start mischen sich jedoch auch Sorgen. Denn manche Probleme, die während der Pandemie etwas aus dem Blick geraten sind, werden sich nicht in Luft aufgelöst haben. Eines davon ist der Fahrermangel, der sich seit vielen Jahren in allen Branchen verschärft.
Laut einer Umfrage der Internationalen Straßentransportunion (IRU) unter 800 Logistikunternehmen aus mehr als 20 Ländern trat der Mangel 2020 wegen der in weiten Teilen darniederliegenden Wirtschaft deutlich schwächer zutage als im Vorjahr: Die Zahl der unbesetzten Stellen sank von 24 auf nur noch 7 Prozent. Doch es gibt keinen Zweifel: Sobald sich die Volkswirtschaften wieder erholen, wird auch die Nachfrage nach Transportdienstleistungen wieder steigen – und die Lücken beim Fachpersonal werden sehr schnell wieder schmerzhaft spürbar werden.
Bald 200.000 Stellen unbesetzt?
Nach Schätzung der IRU werden bis 2027 etwa 185.000 Berufskraftfahrer in Deutschland fehlen – bei einer Gesamtzahl von gut 1,1 Millionen ein beachtlicher Anteil. In der Getränkebranche geht man von 27.000 fehlenden Fachkräften in diesem Bereich aus, wie Markus Rütters, CEO der Deutschen Getränke Logistik (DGL), einem Joint Venture der Radeberger Gruppe und der Brauerei Veltins, weiß.
„Das Thema Fahrerknappheit begleitet uns nach wie vor sehr, sowohl im Speditionsumfeld als auch im GFGH-Bereich“, betont Rütters. In der aktuellen Situation seien annähernd die Planstellen besetzt, dies habe man aber nur mit großen Anstrengungen bewerkstelligt. Dabei habe sich die Lage während der Pandemie weiter zugespitzt: Durch die Lockdowns seien in vielen Branchen Lkw-Transportkapazitäten reduziert worden und deshalb viele Fahrer in andere Berufe abgewandert.
Ob sie wieder in ihren alten Beruf zurückkehren werden, sei fraglich, zeigt sich Rütters eher pessimistisch. Immerhin konnte die DGL als „systemrelevantes Unternehmen mit einem krisensicheren Arbeitsplatz“ andererseits auch einen gewissen Zulauf an Fahrern registrieren. Was man in anderen Sektoren der Branche nicht behaupten kann, wie Dirk Reinsberg, geschäftsführender Vorstand des GFGH-Bundesverbands, konstatiert.
Viele Fachkräfte wegen Lockdowns abgewandert
Im Gespräch mit Getränke News berichtet er, dass er inzwischen regelmäßig Anrufe von Mitgliedern bekommt, die im Bereich des Gastronomie-Verteilerverkehrs langgediente Mitarbeiter verloren haben, weil diese – nach Monaten in Kurzarbeit – zu Unternehmen in oder außerhalb der Branche wechseln, die nicht von der Pandemie betroffen sind. Kein Wunder, wie Reinsberg meint: „Die Angebote sind ja da“, sie seien inzwischen auf jeder zweiten Bordwand großflächig zu lesen.
Doch wie ist der Getränkehandel im Wettbewerb um die verzweifelt gesuchten Fachkräfte aufgestellt? Für die Branche spricht, dass die Mehrzahl der Fahrten innerhalb einer Region oder zumindest in einem relativ geringen Radius stattfinden. Im Allgemeinen hätten daher die Fahrer geregelte Arbeitszeiten. „Immer mehr Fahrer wünschen sich heutzutage eine Tätigkeit in ihrem sozialen Lebensumfeld“, bekräftigt auch DGL-Chef Markus Rütters. Dies mache sein Unternehmen „zu einer guten Adresse“, da die Fahrer im GFGH-Bereich alle ihren Feierabend zuhause bei ihren Familien verbringen könnten.
Die Kehrseite der Medaille, zumindest im Gastronomie-Geschäft, zeigt GFGH-Bundesverbandschef Reinsberg auf: Der Anteil an körperlicher Arbeit ist groß; die zurückzulegenden Strecken seien zwar kurz, dafür müssten Kisten und Fässer abgeladen und verräumt werden. Viele Fahrer wollten dann doch lieber in ihrer ureigenen Tätigkeit beschäftigt sein – und eben mehr fahren als zu schleppen.
Angesichts eines steigenden Anteils an älteren Fahrern dürfte auch dieser Faktor bald noch stärker ins Gewicht fallen: In Deutschland gehen laut dem Bundesverband Güterverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) aktuell jährlich ca. 30.000 Fahrer in Rente. Demgegenüber stehen weniger als 17.000 Personen, die durch eine Ausbildung zum Berufskraftfahrer hinzugewonnen werden.
„König der Landstraße“ hat abgedankt
Das hängt sicherlich auch mit dem Berufsbild zusammen, das in den letzten Jahren „bedeutend an Attraktivität verloren hat“, wie Michael Stadlmann, Vorsitzender der Geschäftsführung beim Streckenlogistiker Trinks, bedauert. Fahrer hätten sich heute eben immer schlechteren Rahmenbedingungen zu stellen. Stress angesichts eines wachsenden Verkehrsaufkommens, Staus und Zeitdruck, Mangel an Parkplätzen und Rastanlagen – alles bei gleichzeitigem Zwang zur Einhaltung von Lenk- und Ruhezeiten: Das sind nur einige negative Aspekte, die den Job heute wenig attraktiv erscheinen lassen. Der früher vielzitierte „König der Landstraße“ hat wohl längst abgedankt.
Eines ist klar: Die Lage wird immer schwieriger, und das Thema muss auf der Tagesordnung auch des Getränkefachgroßhandels dringend in der Priorität nach oben rücken, wie Dirk Reinsberg fordert. Eine gewisse Chance sieht er in der Beschäftigung von Arbeitnehmern aus Osteuropa. Hier müsse die Politik allerdings dringend Hürden aus dem Weg räumen; die Bürokratie allein rund um den Führerschein sei, vorsichtig gesagt, „nicht gerade unternehmerfreundlich“.
Um nur ein Beispiel zu nennen: Wer seinen ersten Wohnsitz in Deutschland hat, muss die Fahrerlaubnis auch hierzulande erwerben – und das in deutscher Sprache. Die Umschreibung eines ausländischen Führerscheins indessen ist nicht oder nur schwer möglich. Darüber würden viele mögliche Kandidaten resignieren, so Reinsberg.
Rekrutierung braucht große strategische Programme
Es tobe inzwischen „ein reiner Verteilkampf“ oder „War for talents“, stöhnt Markus Rütters – zwischen einzelnen Unternehmen sowie zwischen verschiedenen Branchen. „Wir werden die schon seit geraumer Zeit gestarteten mühsamen Rekrutierungsbemühungen aufrechterhalten müssen, um dauerhaft unsere Stellen zu besetzen“, so der DGL-Chef. Zudem werbe man bei allen Kunden für eine höhere Vergütung, um die komplexen Dienstleistungen dauerhaft zuverlässig erbringen zu können.
Auch das Trinks-Management bemüht sich unter Hochdruck um Lösungen. So fahre man bei der Bewerbersuche spezielle Kommunikationsstrategien, da Berufskraftfahrer ihre eigenen Jobsuche-Kanäle nutzten. Das werde aber langfristig nicht reichen, fürchtet der Vorsitzende der Geschäftsführung, Michael Stadlmann. Deswegen habe sein Unternehmen ein großes strategisches Programm zur Rekrutierung aufgesetzt. Details hierzu will er aber noch nicht nennen.
Der GFGH-Verband indessen hat bereits vor Corona begonnen, am Berufsbild zu arbeiten, und will das Projekt nach der Krise wieder aufgreifen, wie Dirk Reinsberg ankündigt. Bier und andere Getränke seien „hochemotionale Produkte“. Danach müsse man das Image ausrichten.