„Die Schere wird brutal auseinander gehen“
Die Corona-Pandemie wird die Getränkebranche nachhaltig verändern. Lokal und weltweit. Davon ist Rüdiger Ruoss überzeugt. Als Inhaber einer Werbeagentur und erfolgreicher Veranstalter war er über 50 Jahre lang mit Getränkeherstellern und -händlern eng verbunden und hat mit seinen Kongressen neue Maßstäbe gesetzt. Getränke News sprach mit Rüdiger Ruoss über die Zukunft der Branche.



Getränke News: Inwieweit wird Corona die Getränkebranche verändern?
Ruoss: Diese Pandemie ist keine Eintagsfliege. Sie wird die zivilisierte Welt in drei Bereichen grundsätzlich verändern. Beginnen wir mit den positiven Veränderungen: Erstens bekam die notwendige Digitalisierung einen enormen Schub. Und das ist erst der Anfang. Selbst die älteren Marktteilnehmer lernen schnell dazu. Zweitens gehen wir seit der Krise bewusster miteinander um. Der Umgang miteinander wird sich langfristig verbessern, da bin ich optimistisch. Als Drittes nun die negative Veränderung: Der „Spiegel“ titelte vor gut einer Woche treffend „Die Starken werden stärker, die Schwachen schwächer. Das ist das brutale Gesetz der Krise“. Mit anderen Worten: Die Schere zwischen „sehr arm“ und „extrem reich“ geht noch weiter auseinander. Brutal auseinander.
Getränke News: Auch in der Getränkebranche?
Ruoss: Dies gilt natürlich auch für unsere Getränkebranche. Intelligent geführte Hersteller mit einem Gespür für Marktnuancen werden überleben, wenn sie bis heute Finanzreserven haben und wenn sie bereit sind, einen geordneten Umsatzrückgang als realistisch zu erkennen. Es gibt für mich zwei Vorbilder: Die beiden Brauereien Ganter und Glaab. Beide haben schon vor Jahren erkannt, dass es besser ist, mit einem fünfstelligen Hektoliter-Absatz zu überleben und Gewinn zu generieren als mit einem sechsstelligen ohne Profit.
Getränke News: Sie selbst haben sehr erfolgreich Branchenevents wie das World Beer Forum oder die Sommertage veranstaltet. Würde es Sie reizen, so etwas heute noch einmal auf die Beine zu stellen?
Ruoss: Ich habe einmal anlässlich eines Interviews zu meiner 50-jährigen Berufstätigkeit gesagt, ich würde alles genauso machen wie damals. Das gilt heute nicht mehr so ganz. Spezialisierung auf eine Branche, Schaffung von Kooperationen, Beratung vorzugsweise mittelständischer und familiengeführter Unternehmen, ja. Von Kongressen und Seminaren jedoch würde ich als Veranstalter heute definitiv die Finger lassen. Für mich steht fest: Alle Veranstaltungen werden sich durch die fortschreitende Digitalisierung verändern. Messen werden an Wichtigkeit verlieren. Die Zeiten für große Networking-Veranstaltungen, weltweit und lokal, sind seit Corona über Jahre, wenn gar für immer vorbei. Das gilt selbst für die äußerst kommunikative Getränkebranche.
Getränke News: Was treibt Sie gerade um?Â
Ruoss: Mir macht der Bierconvent International (BCI), die weltweite Bruderschaft rund um den Biergenuss, große Sorgen. Er vegetiert vor sich hin. Ein prominentes Mitglied aus der internationalen Brauszene formulierte es so: „Der Verein befindet sich seit einigen Jahren im palliativen Zustand“. Dieses Mitglied hat daher konsequenterweise zu Ende 2020 seinen Austritt erklärt. Zwei der fünf Senatoren (eine Art Beirat) verlassen den BCI ebenfalls Ende des Jahres. Damit sind es noch ca. 100 Notable, so heißen die Mitglieder. Von ehemals knapp 400. Ich möchte zu einem würdigen und schnellen Abgang des Vereins beitragen.
Getränke News: Welche Bedeutung hatte der Bierconvent International (BCI) für die Branche, für Sie und Ihre Veranstaltungen?
Ruoss: Der Bierconvent International wurde 1969 gegründet. Von Anfang an konnten prominente Brauer aus der ganzen Welt, bedeutende Getränkefachgroßhändler und namhafte Unternehmer als Mitglieder gewonnen werden. 25 Jahre nach der Gründung hatte der Verein 375 Mitglieder aus 22 Ländern. 60 Prozent der Notablen kamen aus Deutschland. Die Bierconvent wurde von der Branche zum Networking genutzt und auch ich hätte mich wahrscheinlich deutlich schwerer getan, Veranstaltungen wie das World Beer & Drinks Forum oder die Sommertage der Getränkewirtschaft von Anfang an so erfolgreich zu etablieren.
Getränke News: Und jetzt ist der BCI in eine brisante Lage geraten…
Ruoss: 30 Jahre lang, von 1969 bis 1999, ging es beim BCI steil aufwärts. Dann 25 Jahre leicht abwärts und in den letzten fünf Jahren beschleunigte sich der Abwärtstrend. Ein Grund dafür war, dass in den 1970er und 1980er Jahren für das Networking eine solche Bruderschaft zwingend notwendig war. Danach gab es, auch durch das Internet, zunehmend andere Möglichkeiten des Austauschs außerhalb des BCIs. Die Folge: Immer mehr namhafte Mitglieder traten aus dem Verein aus.
Als sich die Notablen anlässlich ihrer 49. Generalversammlung im Mai 2018 trafen, war vom amtierenden Präsidium und dem Senat eigentlich geplant, den BCI als international agierendes Networking einzuschläfern. Es kam jedoch anders: Ein neues Präsidium wurde gewählt und sollte bis Ende 2020 einen Relaunch durchführen, um dem BCI neues Leben einzuhauchen. Bis heute ist jedoch nichts Entscheidendes passiert.
Getränke News: Ist der Verein noch zu retten?
Ruoss: Meiner Meinung nach ist der Verein nicht mehr zu retten. Deshalb sollte die 2020 stattfindende Generalversammlung den Mut haben, den BCI bis Ende 2021 aufzulösen und das noch stolze Vereinsvermögen laut Satzung an eine oder mehrere Institutionen wie Weihenstephan, Doemens, die Vereinigung der Haus- und Hobbybrauer oder ähnliche Gesellschaften zu spenden, „die den Genuss von Bier als edles Getränk (gepflegter Geselligkeit) fördern“. Die überlebenswilligen und -fähigen BCI-Landesvertretungen sollten sich künftig als Stammtische treffen.
Getränke News: Für den BCI sind das aus Ihrer Sicht keine guten Prognosen. Gilt das auch für den deutschen Biermarkt?
Ruoss: Der Bierkonsum in Deutschland wird durch Corona kurzfristig um mindestens 10 Prozent zurückgehen. Langfristig eventuell auch um mehr. Besonders im Fassbierbereich und beim Export. Bisher können fast leere Frachtschiffe zurück nach Asien kostengünstig für Bierexporte genutzt werden. Das wird sich ändern. Dann ist es teilweise auch aus mit Dumpingangeboten von deutschem Bier für den chinesischen Markt.
Getränke News: Wo sehen Sie bei der internationalen Vermarktung von Bier noch Potenzial?
Ruoss: Bisher ist Deutschland ein „Industrieland“. Wir werden uns aber mehr und mehr Frankreich, Italien und Spanien nähern, das heißt, weniger Automobilproduktion und weniger Maschinenbau, dafür mehr Tourismus und Landwirtschaft. Von dieser Entwicklung werden auch die regionalen Brauereien profitieren. Tatsache ist: Deutschland hat 46 Unesco-Natur- und Kulturerbestätten, wir haben 16 Nationalparks, haben Meer, Berge und Mittelgebirge. Wunderschöne Seen und Landschaften und einen Waldanteil von 32 Prozent. Das spricht sich weltweit immer mehr herum und wird künftig mehr Touristen nach Deutschland bringen. Schauen sie mal beim Anflug auf Frankfurt aus dem Fenster. Dieser Anblick verblüfft Ausländer immer wieder. Mehr Bäume als Häuser.
Die Brauereien und alle mit dem Tourismus befassten Institutionen sollten zusammenarbeiten. Die Chinesen, Japaner und Südkoreaner werden in Scharen zurückkommen. Nächstes Jahr oder erst in einer knappen Dekade. Das bleibt offen. Fest steht: Im Ranking der Touristen-Länder steht Deutschland heute bereits auf Platz 4. Nach Spanien, Türkei, Griechenland, noch vor Italien. Wir stehen historisch für Bier. Italien, Frankreich und Spanien für Wein. Wir sollten dieses attraktive Ansehen nutzen, um unser Bier und unsere Bierkultur weltweit zu vermarkten.
Unser Gesprächspartner
Rüdiger „Knut“ Ruoss wurde 1938 geboren und war von 1966 bis 1991 Inhaber der Werbeagentur Rüdiger Ruoss & Partner KG. Die Werbeagentur war spezialisiert auf Marketing- und Kommunikationsberatung der deutschen und internationalen Getränke- und Nahrungsmittelindustrie.
Als Veranstalter vieler renommierter Getränke-Branchentreffs wie Fuxenstall, Bündner Runde, Sommertage der Getränkewirtschaft und World Beer & Drinks Forum war Ruoss weltweit tätig und machte sich einen Namen als Networker. Von 1991 bis 2019 hatte er seinen Lebensmittelpunkt in der Schweiz in Chur/Graubünden. Seit 2020 lebt Rüdiger Ruoss wieder in Deutschland.
Bierconvent International
Der Bierconvent International (BCI) wurde 1969 als weltweite Bruderschaft rund um den Biergenuss gegründet. Von Beginn an waren prominente Brauer aus der ganzen Welt, bedeutende Getränkefachgroßhändler und namhafte Unternehmer Mitglieder des BCI.
Folgende zwölf ehemalige BCI-Mitglieder seien exemplarisch genannt:
Heinrich Johannes Barth, Hopfenhändler Barth, Washington, D.C.
August A. Busch III, Chairman of the Board and President Anheuser-Busch, St. Louis
August A. Busch IV, President & CEO Anheuser-Busch, St. Louis
Dr. Michael Dietzsch, Geschäftsführender Gesellschafter Bitburger Brauerei, Bitburg
Dr. h.c. Hermann Kronseder, Krones AG, Neutraubling
Ernest A. Mackay, Chairman South African Breweries (SAB), Johannisburg
Paul Rutten, Gulpener Bierbrouerij, Niederlande
Keizo Saji, Chairman Of Suntary, Japan
Friedrich Schadeberg, Krombacher Brauerei Schadeberg, Kreuztal
Werner Staude, Getränkefachgroßhandel Staude, Hannover
Tomoyuki Suzuki, HKS, Japan
Carl-Heinz Willems, Getränkefachgroßhandel Göttsche, Hamburg