Der Auerhahn dominiert die Brauwirtschaft
Wenn es um Biervielfalt und Brauproduktion geht, zählt Sachsen-Anhalt zu den Schlusslichtern in Deutschland. Mit einem Ausstoßvolumen von 1,8 Millionen Hektolitern im Jahr 2021 steht die Region zwischen Harz und Altmark sowie Magdeburger Börde und Halle zwar immer noch vor Hessen, doch nahezu die gesamte Menge wird von der Hasseröder Brauerei in Wernigerode gebraut. Nur im Saarland gibt es noch eine so monostrukturierte Brauwirtschaft. Dabei hat Sachsen-Anhalt mit seinen gerade mal 2,17 Millionen Einwohnern beim Bierausstoß im Vergleich zu den anderen Bundesländern die größten prozentualen Einbußen zu verzeichnen. Zwischen 2000 und 2020 gingen dem Bundesland bei einem Absatzverlust von -37,1 Prozent gut 1,08 Millionen Hektoliter verloren.
Ein Dutzend Brauereien sind Geschichte
Der Biermarkt Sachsen-Anhalts bewegte sich nicht immer nach unten. In der zweiten Hälfte der 90er-Jahre profitierte das Bundesland von der wieder boomenden Marktpräferenz der Verbraucher für ostdeutsche Produkte. Längst waren die Betriebe des einstigen VEB Getränkekombinates Magdeburg abgewickelt worden. Zu DDR-Zeiten hatten noch Brauereien in Salzwedel, Stendal, Gardelegen, Burg, Oschersleben, aber auch in Hadmersleben, Stassfurt und natürlich Magdeburg dazugehört. Am Stammsitz des Getränkekombinates waren zu DDR-Zeiten die Diamant Brauerei, die Börde-Brauerei (vormals Brauerei Bodenstein) und die Sudenburger Brauerei vereint. Rund eine Million Hektoliter wurden gebraut.
Zeitzeugen berichten, dass nicht immer nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut wurde. Für das Helle war zeitweise Mais oder Reis genutzt worden. Die Rohstoffe waren – wie vieles zu DDR-Zeiten – eben knapp. Schon 1991 gingen in der Bördebrauerei und in der Sudenburger Braustätte die Lichter aus. Lediglich die Magdeburger Diamant-Brauerei sollte noch etwas Aufschub bekommen. Die März AG übernahm das Ruder, die Führung lag bei der Bavaria St. Pauli Brauerei. Die lokalen Marken Luxator und Goldquell waren alsbald Geschichte, dafür wurde das Magdeburger Pilsener ins Rennen geschickt. Bis 1994, dann war auch dort Schluss.
Hasseröder war der große Profiteur
Die Marke Hasseröder war der große Profiteur der Nachwende-Entwicklung, forciert durch die Neueigentümer aus dem Westen. Unter dem Dach der Hannoveraner Gilde-Gruppe konnte dem Traditionsbrauhaus zu neuer Blüte verholfen werden. Zwischen 1995 und der Jahrtausendwende schnellte das Ausstoßvolumen in Sachsen-Anhalt, vor allem durch den Markterfolg von Hasseröder, von 2,1 auf 2,9 Millionen Hektoliter in die Höhe, erst danach ging es bergab.
Während anderswo in Deutschland die Zahl der Braustätten gerade in den zurückliegenden zehn Jahren deutlich wuchs, ergaben sich zwischen 2011 und 2021 in Sachsen-Anhalt nur drei weitere Standorte, sodass die Braustatistik heute gerade einmal 24 Brauereien im Bundesland zählt – die meisten sind freilich lokaler Natur und besitzen wenig Relevanz innerhalb des regionalen Biermarktes. Es mag deshalb nicht überraschen, dass die Verbraucher in Sachsen-Anhalt überwiegend Biere aus anderen Bundesländern kaufen. Im Handel führt Ur-Krostitzer das Verkaufsranking mit einem Marktanteil von 11,2 Prozent an, auf Platz zwei rangiert Krombacher mit 9,2 Prozent. Danach folgt Radeberger mit 5,3 Prozent. Die Heimatmarke Hasseröder muss sich mit 5,2 Prozent auf Platz fünf begnügen und teilt sich diesen mit dem Freiberger Brauhaus. Auf Platz sieben folgt dann schon Sternburg. Kurzum: Sachsen-Anhalt bevorzugt schon Ost-Marken, aber eben nicht priorisiert aus dem eigenen Bundesland.
Neustart nach der Wende
Der Biermarkt in Sachsen-Anhalt steht und fällt mit dem Markterfolg der Hasseröder Brauerei. Gleich zu Beginn der deutschen Marktaktivitäten von Interbrew im Jahr 2002 griffen die Belgier nach Diebels und Beck‘s kurzerhand auch bei der Gilde-Brauerei in Hannover zu. Die niedersächsischen Brauer hatten in der Landeshauptstadt über Jahre erfolglos versucht, ihre allenfalls lokalen Gilde-Marken in ferneren Gebieten unterzubringen. Selbst an der Marktöffnung nach dem Fall der Mauer hatte Gilde mit dem eigenen Portfolio nicht partizipieren können. Aber durch einen strategisch klugen Schachzug übernahmen die Gesellschafter 1990 von der Treuhand für kleines Geld die Hasseröder Brauerei.
In Wernigerode erwartete die neuen Besitzer aus dem Westen allerdings viel Arbeit, der Handlungs- und Investitionsbedarf war groß: Die alte Braustätte innerorts hatte unter sozialistischer Bewirtschaftung zu einem ruinösen Gebäudebestand geführt, auch der Maschinenpark des Braubetriebs war in desolatem Zustand. Nur ein Neubau machte Sinn. So investierte die Gilde-Gruppe in Wernigerode nach Kräften. 1997 konnte die neue Brauerei auf der grünen Wiese in Betrieb genommen werden. Mehr noch: Durch cleveres Marketing und konsistenter Markenkommunikation gelang es, das Image von Hasseröder solide aufzubauen. Der Auerhahn als traditionelles Markenzeichen wurde revitalisiert und mit zeitgemäßer Imageaktualität aufgeladen.
Noch heute ist das Markendepot, wenn es ums Sportsponsoring geht, bei TV-Zuschauern präsent. Die meisten erinnern sich noch an Boxkämpfe von Henry Maske & Co. – im Bild immer Hasseröder. Sogar in der Deutschen Tourenwagen Meisterschaft (DTM) wurde auf Opel, Audi und VW mitgefahren. Die Marketinginvestitionen sollten sich lohnen und letztlich der Garant dafür sein, dass die gesamte Gild-Gruppe der expansionshungrigen Interbrew schmackhaft gemacht werden konnte. So griffen die belgischen Brauer 2002 zu – vornehmlich mit dem Anspruch, durch Hasseröder eine veritable Ostmarke ins Portfolio zu holen.
Erst Potenzial geerntet, dann den Auerhahn gerupft
Mit der Fusion von Interbrew hin zu Inbev, später dann zu AB Inbev, geschah das, was niemand der stolzen Biermarke aus dem Harz gewünscht hätte: Im nationalen Markenportfolio kam Hasseröder nach und nach regelrecht unter die Räder. Unter der Not der Deutschland-Dependance, immer größere Erträge an die Zentrale abzuliefern, musste bei den Marketingbudget rigoros abgespeckt werden. Gleichzeitig schob das Bremer Management den Mengenturbo an. Das Ergebnis ist bekannt: Die Strategie sorgte für ein Ausbluten der einstigen Premium-Marke – der Auerhahn wurde gerupft. Heute ist Hasseröder nicht mehr als ein Spielball im allenfalls mittelpreisigen Aktionsfeuerwerk des Handels. Für Markenwerbung wird schon seit vielen Jahren keine Geld mehr investiert.
Kein Wunder also, dass die Bierfreunde in Sachsen-Anhalt heute lieber zu Marken aus dem benachbarten Sachsen oder gleich zum Marktführer Krombacher greifen. Von Marktstabilität und Begehrlichkeit kann bei Hasseröder seit langem keine Rede mehr sein. Ein angestrebter Verkauf der Brauerei scheiterte bereits 2018. AB Inbev hatte Marke und Standort gemeinsam mit der Schwesterbrauerei Diebels aus Issum ins Schaufenster gestellt und war kurzfristig einem Finanzinvestor aufgesessen. Dessen geplante Transaktion war mangels Kapitalgebern gescheitert. Das Signal war eindeutig: Die Hasseröder Brauerei ist unverkäuflich.
Fazit – Hasseröder hätte mehr Fürsorge verdient
Bei all den Unzulänglichkeiten lassen sich die Verbraucher in Sachsen-Anhalt nicht vom Kurs abhalten. Wie zu Ostzeiten steht die Halbliter-Flasche wie kein anderes Gebinde im Mittelpunkt. Über 81 Prozent alle Gebinde gelangen so in den Markt. Der Pils-Anteil mit 60,2 Prozent ist ebenso dominant geblieben. Hinzu kommt ein Spitzenwert von 9,2 Prozent bei der Sorte Export – die DDR-Genusstradition ist in Sachsen-Anhalt allenthalben spürbar. Die Zukunft bleibt für die Brauwirtschaft Sachsen-Anhalts unwägbar. Ein offenbar unverkäuflicher Braustandort, der weit über 90 Prozent des Volumens des Bundeslandes ausmacht, ist und bleibt ein Wackelkandidat. Dabei hätte Hasseröder nach dem erfolgreichen Neustart der Nachwende-Zeit mehr Fürsorge verdient gehabt.