Wer an Saarländer und Rheinland-Pfälzer denkt, hat unterschiedliche Bilder im Kopf: Die einen schwenken den Grill, die anderen greifen gern zum Riesling. Das Saarland und Rheinland-Pfalz kennzeichnen einerseits Kontraste, gleichzeitig haben sie aber auch eine homogene Bierkultur.
Mit fünf Millionen Verbrauchern und einem letztjährigen Ausstoß von 5,07 Millionen Hektolitern belegen sie zusammen Platz sechs im Länderranking. Brauwirtschaftlich gibt es eine unübersehbare Dominanz: Immerhin rund 65 Prozent des im Saarland und Rheinland-Pfalz gebrauten Bieres stammen aus den Sudkesseln der Bitburger Brauerei. Für den gesamten Wettbewerb wird damit das ganze Dilemma der Regionalität deutlich. Die einen überzeugen mit nationaler Markenstärke und Investitionskraft, die anderen kämpfen um Regionalität – Getränke News beleuchtet im Länderreport die Hintergründe.
Aufräumen bei Karlsberg im saarländischen Homburg
Tatsächlich haben die strukturellen Veränderungen des nationalen Biermarktes im Südwesten der Republik sichtbare Spuren hinterlassen. Mit einem Ausstoßverlust von 3,72 Millionen Hektolitern haben die Braustätten von Saarland und Rheinland-Pfalz in den zurückliegenden 25 Jahren immerhin 41 Prozent ihres Ausstoßes eingebüßt. Nur Nordrhein-Westfalen und Hessen litten noch stärker unter den veränderten Konsumbedingungen. Bemerkenswert ist auch, dass kaum eine Region sich schon so frühzeitig selbst bereinigte. Standorte wurden aufgegeben, Markenrechte wechselten die Besitzer. Nur noch zwei Große spielen eine wesentliche Rolle im grenznahen Landstrich zu Frankreich.
Mit Abstand steht die Bitburger Brauerei in der brauwirtschaftlichen Pole-Position. Zwar haben die Brauer aus der Eifel seit Erreichen ihrer Ausstoßspitze von 4,23 Millionen Hektolitern im Jahr 2003 erhebliche Mengen verloren, dennoch dürfen sie von sich behaupten, den Heimatmarkt zu beherrschen. Die Stubbi-Flasche, inzwischen von Bitburger als eigene Marke angemeldet und damit in der Namensnutzung geschützt, gibt den Menschen in der Region ein bieriges Heimatgefühl, das die Karlsberg Brauerei in Homburg auf ihre Weise versucht, dem eigenen saarländischen Käuferklientel zu vermitteln.
Keine leichte Aufgabe für Christian Weber, der damals als Juniorchef nach Heineken-Lehrjahren zurück in die Familienbrauerei gekommen ist, um in fünfter Generation erst einmal aufzuräumen. Nur gut, dass angesichts der allenfalls regionalen Bedeutung des Traditionssortiments zumindest das Biermix-Zeitalter der Nuller-Jahre erfreuliche Spuren hinterlassen hat. Mixery gehört unverändert zu den innovativen Biermixen im deutschen Biermarkt und gibt der Homburger Brauerei Luft zum Atmen. Die können die Webers angesichts der angespannten Marktlage auch gut gebrauchen.
Zwischendurch-Beteiligung von Schörghuber längst Geschichte
Tatsächlich hatte die Karlsberg Brauerei schon früh versucht, dem schrumpfenden Markt durch Risikostreuung zu entkommen, indem man 2003 eine 45-prozentige-Beteiligung von Schörghubers Brau-Holding-International (BHI) zuließ und damit mittelbar auch Heineken ins Boot holte. Doch das Projekt geriet nur allzu schnell ins Stocken. Dr. Richard Weber und die BHI zogen die Notbremse. Weber selbst, lange Zeit als Brauerpräsident ein charismatischer Repräsentant der Biernation, holte die Anteile wieder zurück nach Homburg.
Bis heute wurde der in den 90er-Jahren aufgebaute Karlsberg-Verbund regelrecht zerschlagen – aus dem bereinigten Geflecht verschiedener horizontaler und vertikaler Marktbeteiligungen sollte der Stammsitz gestärkt hervorgehen. Die Privatbrauerei Becker Sankt Ingbert, die vor 25 Jahren immerhin eine knappe Hektoliter-Million zum Gruppenausstoß von damals 2,56 Millionen Hektolitern beitrug, stellte 1997 ihren Betrieb ein.
Die schon 1992 ebenfalls in den Karlsberg-Verbund übernommene Königsbacher Brauerei in Koblenz sollte nach vergeblichen Mühen nicht mehr in Fahrt kommen, sodass 2010 die Markenrechte versilbert wurden und die regional durchaus populären Biere Königsbacher und Nette Edel-Pils in die Hände des Erz-Wettbewerbers Bitburger wanderten. Der Koblenzer Brauereistandort von Königsbacher wurde schließlich 2011 an die Gesellschafter des Rhenser Mineralbrunnens veräußert. Fortan konnte die umbenannte Koblenzer Brauerei unter neuer Regie mit dem gleichnamigen Pils in den Markt gehen. Marktkonsolidierung im Südwesten Deutschlands wurde durch die Karlsberg Brauerei pragmatisch nach vorn getrieben.
Wachstum auf 77 Braustätten gibt keinen Mengenimpuls
Zwar geht von den auf 77 angewachsenen Braustätten kein nachhaltiger Mengenzuwachs für die Brauwirtschaft zwischen Westerwald und Saarbrücken aus, für die Biervielfalt hingegen ist die Zahl schon bemerkenswert. Die Craft-Bier-Welle lässt grüßen. Bei aller Sortenvielfalt, die sich in der Handelsnachfrage widerspiegelt, wollen die Verbraucher vornehmlich ihr beliebtes Pils sehen. Mit einem Marktanteil von 58,8 Prozent liegt es weit vorn. Selbst eine Trendsorte wie das Helle schafft es trotz seiner Nähe zur süddeutschen Wachstumsregion gerade mal auf 4,8 Prozent Marktanteil.
Dass es Bitburger im Heimatmarkt mit einem Marktanteil von 30 Prozent an die Spitze der im Handel nachgefragten Biermarken schafft, beweist die Durchschlagskraft der Eifeler Brauer. Der Lokalrivale Karlsberg erreicht gerade einmal 7,4 Prozent und ist damit schon sichtbar in die Enge seines eigenen Saarlandmarktes getrieben. Und noch etwas fällt auf: Nirgendwo anders in Deutschland hat das Drittel-Liter-Gebinde eine solche Marktbedeutung wie im Saarland und in Rheinland-Pfalz. Und das liegt vornehmlich an der bauchigen Stubbi-Flasche, deren Namen sich Bitburger schützen ließ.
Fusion von Park Brauerei und Bellheimer
Zwei weitere Platzhirsche, die Park Brauerei in Pirmasens und die Bellheimer Privatbrauerei Silbernagel – vor 25 Jahren jeweils gut 400.000-Hektoliter stark –, zogen 1995 ihrerseits Konsequenzen und fusionierten angesichts erkennbarer Not. Doch für eine gemeinsame Zukunft der beiden Regionalfürsten sollte es für die neue AG nicht reichen. 2004 kam SAP-Gründer Dieter Hopp und schluckte mit seiner Actris AG kurzerhand auch die beiden Traditionsstandorte in Pirmasens und Bellheim, um sie im Portfolio mit Eichbaum, Henninger und Co. neu auszurichten.
Der in der Brauwirtschaft mäßige Erfolg sorgte bei Hopp für wenig Begeisterung, zumal seine Actris AG mit vielen Standorten der insolventen März-Gruppe damals eher einer Resterampe glich. Das Interesse erlosch wenige Jahre später, sodass die neu formierte Park Bellheimer Brauerei in einem Management-Buy-out in die Selbstständigkeit entlassen wurde. Gut für den Regionalbrauer, denn damit kam das persönliche Engagement der neuen Eigentümer ins Haus zurück.
72 Meter hohes Tankhochhaus am Rheinufer
Wie stolz und selbstbewusst die Brauer der beiden Bundesländer seinerzeit schon waren, darüber staunen heute noch Reisende der Rheinschifffahrt, die das mächtige Tankhochhaus der einstigen Königsbacher und heutigen Koblenzer Brauerei am Ufer wie eine Gebäudewand erkennen. 1970 erbaut, zählt es mit rund 72 Metern Höhe zu den größten Tankhochhäusern Europas. Der Brauerei-Ausschank und der Biergarten wurden zu einem beliebten Ausflugsziel für die Koblenzer Bürger und die Region.
Dass es in einem ausgemachten Weinland wie Rheinland-Pfalz dennoch nicht ohne Bier geht, davon kündet die Gastronomie landauf, landab. Nirgendwo sonst ist der Wettbewerb um den Genießer so augenfällig wie dort – Bier auf Wein, das lob ich mir. Doch die größte Crux beider Bundesländer ist schon daran zu erkennen, dass man jenseits der Landesgrenzen in den Getränkeregalen der Nation zwar überall Pfälzer Weine findet, aber es allenfalls die Marke Bitburger zu veritabler Wertschätzung gebracht hat. Alle anderen Brauer der Region müssen sich mit den angestammten Traditionssorten in der Heimatgastronomie oder an den Sportplätzen der Region begnügen. Zu guter Letzt hat es die Bitburger Brauerei geschafft, mit engagierter Kraft und Investitionen in Marketing und Vertrieb Platz 2 im nationalen Premium-Wettbewerb zu erobern.
Der Blick auf die veränderte Marktstrategie der Eifelbrauer lohnt. Denn die Bitburger Familiengesellschafter haben bereits 2007 gewiss auch aufgrund der regional rückläufigen Entwicklung erkannt, dass das Biergeschäft für sie auf Dauer nicht alleinseligmachend sein kann. Im Umkehrschluss suchte man das Heil der Rendite in Beteiligungen anderer, durchaus bierferner Geschäftsaktivitäten. Werkzeugbau, Feinmechanik oder auch Babyspielzeug fanden sich seither auf der Einkaufsliste, die seither in Bitburg immer wieder aktualisiert wird.
„Mit einer wachsenden Familie nur ein einziges Geschäftsmodell zu haben, auf das sich alle Erwartungen und Projektionen fokussieren, das halte ich für gefährlich“: Die Vor-Pandemie-Worte von Bitburger Holding-Chef Matthäus Niewodniczanski gegenüber dem „Handelsblatt“ hallen nach. Er versteht sich als „Treuhänder“ des Familienvermögens, das zuallererst die Brauerei erwirtschaftet hat. Das Ziel sei, dass das Unternehmen im Wert mindestens so schnell wachse, wie die Familie größer wird. Niewodniczanski: „Das entspricht rund fünf Prozent pro Jahr, nach Inflation.“ Die wachsende Zahl der Familiengesellschafter scheint den Druck im Kessel zu erhöhen.
Klosterbrüder freuen sich über Lizenzgebühr
Auf den vor ein paar Jahren einsetzenden Hellbier-Boom reagierte Bitburger mit der Marke Benediktiner, die seither zwar Lizenzgelder an die Ettaler Klosterbrüder notwendig macht, aber dafür das Spezialitätensegment von Weiß- und Hellbier erfolgreich bedient. Nur eines schafft auch Benediktiner nicht: Das Bier füllt keine rheinland-pfälzischen Sudkessel, sondern wird im mittelhessischen Lich gebraut. 2004 erwarb die Bitburger Braugruppe diesen Traditionsstandort zusammen mit der König Brauerei von der Holsten AG in Hamburg.
Doch die Tücke steckt im deutschen Biermarkt im Detail – und der regionalen Wettbewerbsdichte. So müssen die Bitburger Brauer, die in Rheinland-Pfalz ein Höchstmaß an Wertschätzung in Handel und Gastronomie genießen – gleich hinter der Landesgrenze von NRW gegen die eigene Hausmarke König ebenso ankämpfen wie in Hessen gegen Licher.
Dass man den regionalen Markt mit der Übernahme der Markenrechte von Königsbacher und Nette Edel-Pils sinnvoll arrondierte und damit die eigene Konkurrenzsituation, war ein sinnvoller Schachzug. Doch die Zeiten, als der damalige Bitburger-Geschäftsführer Dr. Michael Dietzsch – heute 82 Jahre alt – als Vertriebschef und langjähriger Brauerpräsident die Ausgestaltung der Premium-Philosophie aus dem Effeff beherrschte, liegen fast 20 Jahre zurück. Dietzsch war es gelungen, der Marke Bitburger ein werthaltiges Fassbier- und Gastronomie-Image zu verschaffen, ohne dass die Gastronomiebesucher in Hamburg oder Berlin nur ansatzweise an Rheinland-Pfalz dachten.
Sandwich-Position auf Platz 2 der Premium-Brauer
Bitburger hat es als nationale Premium-Nummer 2 ebenso schwer, wie Krombacher auf Platz 1 und Veltins auf Platz 3. In der Sandwichposition des großen Premium-Wettbewerbs ist es Bitburger überdies weniger gelungen, neue Markenakzente zu setzen. Während Krombacher das Sortiment immer weiter ausbaute und damit wachsen konnte, gelang es Veltins mit einer erfolgreichen Mehrmarkenstrategie zu punkten. Bitburger hingegen hatte nach gescheiterten Versuchen mit Malvit, Bit Sun oder Cape Cider nur wenige tragfähige Marken-Flashlights zu bieten, die die Zeit überdauerten. Dabei mangelt es an Kreativität nun wirklich nicht. Geschützte Namen wie Bitator, Bit Freeze, Bit Fever oder gar skurrile Wortschöpfungen wie Bitling oder Dampfmichel warten darauf, vitalisiert zu werden.
Fazit: Mammutaufgabe in der Bewahrung von Regionalität
Für die anderen Brauer im Saarland und in Rheinland-Pfalz wiegen die Probleme deutlich schwerer. Die Fassbierverluste der Pandemiejahre drücken dramatisch auf die Erträge und die Luft wird immer dünner. Die unausgelasteten Kapazitäten drücken, die Erträge schmelzen dahin – ein Geschäft zwischen Hoffen und Bangen. Ein Markt mit fünf Millionen Verbrauchern macht es seinen Anbietern nicht leicht – dafür liefert die Marktentwicklung im Saarland und in Rheinland-Pfalz den Beweis. Trotz allen Heimatbewusstseins kennt der Bierfreund auch dort keine Nibelungentreue mehr. Andere Brauer haben eben auch schöne Töchter, gerade dann, wenn sie aus der bayrischen oder baden-württembergischen Nachbarschaft kommt.
In den Zahlen sind alkoholfreie Biere und Malztrunk sowie das aus Ländern außerhalb der Europäischen Union eingeführte Bier nicht enthalten.
Teil 11
Niedersachsen und Bremen – Wo nichts über ein Pils geht
Kennen Sie unsere andere große Bierserie?
In unserer „Bier-Marken-Analyse 2020“ nehmen wir die Top-Biermarken in Deutschland und deren Entwicklung genauer unter die Lupe.