Dit is Berlin: Kühles Pils und eiskalte Marktkonzentration
Berlin ist längst das Wohnzimmer in Oetkers Bierreich – 80 Kilometer weiter in Frankfurt/Oder geht’s um Bier aus PET-Flaschen zu Discountpreisen. Und dann versuchen noch Dutzende Craftbier-Brauer in Goldgräbermanier aus ihren kellergroßen Sudkesseln ein Geschäftsmodell zu machen. Größer könnten die Kontraste im Biermarkt Berlin/Brandenburg kaum sein. Manche behaupten, dass hier Trends gemacht werden. Die Wirklichkeit ist deutlich ernüchternder.
Trend-Setting in den Spätis wird überbewertet
Wer sich in Mitte bewegt, braucht nur in den Spätis vorbeizuschauen, um des Berliners bevorzugte Marken zu erkennen. Natürlich Schultheiss in der Steinie-Flasche und Berliner Pilsner im Halbliter-Gebinde. Es wird gern genommen – für daheim oder gleich als Wegbier dorthin. Nirgendwo in Deutschland ist das Ritual des Unterwegsseins mit dem Bierbegleiter so ausgeprägt und selbstverständlich wie in Berlin – ja, dit is Berlin!
Dass seit Jahren Augustiner in den Spätis in Griffhöhe steht und längst das Tannenzäpfle von Rothaus als Szenefavorit abgelöst hat, beweist eins: Der Biermarkt wandelt sich in Berlin langsam, aber er wandelt sich. Flaschenbier-Kühlschränke für die Szenegastronomie sind immer noch en vogue, allein der Absender hat sich verändert. War es in den Nuller-Jahren Beck’s, ist längst Heineken nach vorn gekommen. AB Inbev ist im ständigen Häuserkampf der Berliner Trendbezirke unterwegs und hat die angestammte Fassbierkompetenz aus den Nachwendejahren längst an den Nagel gehängt. Ran an die Buletten, hieß es für Deutschlands Brauer nach dem Fall der Grenze.
Während Berlin zu pulsieren begann, bewegte sich der Speckgürtel rings herum, aber auch das überschaubare Bier-Bundesland Brandenburg mit verminderter Geschwindigkeit. Im Vergleich der Bundesländer gilt die Region Berlin/Brandenburg als die Nummer 2 im Osten. 3,8 Millionen Hektoliter werden dort gebraut. Zugleich gelangen veritable Mengen aller großen Marken nach Berlin – ganz gleich ob in den Handel oder per Fassbier in die Gastronomie. Bieralltag in Deutschland eben.
Die tatsächlichen Mengen, die vermutlich nationale Markentrends formen können, fallen in Wirklichkeit kaum ins Gewicht. Für den waschechten Spree-Athener sind derlei Bierabenteuer ohnehin nichts. Er schwört aufs Schultheiss im Westen und aufs Berliner Pilsner im Osten. Wobei sich die Markenpräferenzen mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung im Tagesgeschäft durchaus harmonisiert haben. Und die legendäre Berliner Weisse mutet auf den Getränkekarten der Gastronomie ohnehin als Platzhalter an. Für viele zu säuerlich, findet es sich bei Berliner Kindl als Biermix mit Himbeere, Waldmeister oder Kirsche wieder.
Mit Meisterbrief und Diplom von Berlin nach Hause
Dass die pulsierenden Zwanziger- und Dreißigerjahre des letzten Jahrhunderts mit ihrer damaligen Großstadtgastronomie ihre Spuren hinterlassen haben, davon legt der Berliner Biermarkt auch heute noch facettenreiches Zeugnis ab. Im Kontrast dazu geht es in Brandburg eher traditionell zu; das Stadt-Land-Gefälle wird hier erlebbar. Bier braucht auch dort Heimat – und gute Ausbildung. All das hat die Hauptstadt. Der Leuchtturm der Berliner Brautradition liegt zweifellos eher abseits der touristischen Gastronomie, besitzt dafür weltweite Ausstrahlung. Die Versuchs- und Lehranstalt für Brauereien in Berlin (VLB) war einst von der Brau- und Malzindustrie als Verein gegründet und erfreut sich heute als international anerkanntes Institut inmitten der brauwirtschaftlichen Aktivitäten allseitiger Reputation.
Die VLB gilt heute mit ihren Lehr-, Versuchs- und Forschungseinrichtungen als verlässliches Rückgrat der Brauwirtschaft. Generationen von Brauern und Mälzern haben hier ihren Meister gemacht, andere hatten nach ihrer intensiven Berliner Studienzeit das Diplom in der Tasche. Die meisten bleiben dem Brauhandwerk ein Leben lang treu – das ist die gute alte Berliner Schule.
Berlin und Brandenburg sind regionale Einheit
Dass der Biermarkt in Berlin und Brandenburg als regionale Einheit verstanden werden sollte, liegt auf der Hand. Die Hauptstadt mit ihren knapp 3,7 Millionen Menschen als Kernmarkt, rings herum das eher ländlich strukturierte Brandenburg mit weiteren 2,5 Millionen Verbrauchern. Die strukturellen Marktveränderungen seit den Neunzigerjahren blieben nicht ohne Spuren.
Und tatsächlich hat die Region im Nordosten der Bundesrepublik in den zurückliegenden 25 Jahren das stattliche Volumen von 657.778 Hektolitern (14,1 Prozent) verloren. In den letzten fünf Jahren konnte sich der Ausstoß in Berlin und Brandenburg dann etwas erholen und wuchs um 98.005 Hektoliter (2,5 Prozent) wieder an. Dabei konzentrieren sich die Braustätten im Wesentlichen auf den Oetker-Standort in Berlin sowie das Frankfurter Brauhaus an der Oder. Allein aus diesen beiden Standorten stammen heute mehr 60 Prozent des Ausstoßes beider Bundesländer. Im Gesamtausstoßvergleich aller Bundesländer rangieren Berlin und Brandenburg damit vor Hessen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Hamburg und Thüringen.
Nach der Wiedervereinigung sah es vielversprechender aus
Dabei sah die Lage der Brauereien in Berlin und Brandenburg sechs Jahre nach der Wiedervereinigung doch vielversprechend aus. Der im Konzentrationsdrang von Dortmunder Union und Schultheiss-Brauerei fusionierte Berliner Verbund mit den Hauptmarken Berliner Pilsener und Schultheiss hatte 1995 mit einem Ausstoß von 1,6 Millionen Hektolitern eine veritable Menge. Dabei stand Berliner Pilsener, zu DDR-Zeiten die große Ost-Berliner Kernmarke des VEB Getränkekombinates, längst aufgefrischt in den Märkten und erfreute sich nicht nur jenseits des alten Westens an Zuspruch.
Die Berliner Kindl Brauerei AG als angestammte Dependance von Oetkers Bieraktivitäten war mit einer knappen Hektoliter-Million das zweite Schwergewicht der damals neuen Bundeshauptstadt. In Brandenburg hatte sich Brau und Brunnen inzwischen die Oderland Brauerei in Frankfurt/Oder ins eigene Konzernreich geholt, während Oetker die Brauerei Potsdam zurückgewann. Mit einem Ausstoß von 620.000 Hektolitern im Jahr 1995 reichte ihr Status kaum über eine regionale Wertschätzung hinaus – das Potsdamer Rex-Pils musste in der Flasche schließlich 2018 abdanken.
Nationale Premium-Marken waren schnell vor Ort
Während sich in den Neunzigerjahren die großen Premium-Marken mit Wachstum weiter im Markt festigten, sollten es die regionalen Platzhirsche in Berlin und Brandenburg bis zur Jahrtausendwende schwer haben. Für ein nationales Markenprofil von Berliner Pilsner oder gar Schultheiss war es längst zu spät. Die Reputation gelang vielmehr über die Gastronomie – und da waren Warsteiner, Bitburger, Veltins & Co. gerade in der Bundeshauptstadt agiler und zu guter Letzt auch begehrter.
Der vor 1989 im Westen noch solide aufgeteilte Gastronomiemarkt war in den Neunzigerjahren so freizügig wie nie zuvor und geriet dabei unweigerlich zum Spielball von Marken- und Konzerninteressen. Jeder wollte in der sich nach 1995 erkennbar neu aufstellenden Hauptstadt ein Wörtchen mitreden.
Die nach der Fusion von Schultheiss mit der Dortmunder Union lange Zeit gesicherte Vormachtstellung des Konzerns, der sich jetzt Brau und Brunnen nannte, zerrann in den Nachwende-Jahren sichtbar. Als unwesentliches Zünglein an der Waage sollte die Berliner Bürgerbräu rings um die Hauptstadt herum agieren, ohne mit ihren rund 180.000 Hektolitern noch ein gewichtiges Wörtchen mitreden zu können. Die Berliner Bürgerbräu sollte nach 1989 zwar die Zwangsverstaatlichung zum Volkseigenen Betrieb (VEB) überstanden haben, letztlich nicht aber die Marktwirtschaft.
Und auch die Bärenquell-Brauerei, die sich die März-Gruppe bis zu ihrer eigenen Zerschlagung noch aus der DDR-Erbmasse gesichert hatte, konnte mit 230.000 Hektolitern im Jahr 1992 nicht zukunftsfähig sein. Die Weichen waren für alle Brauereien auf Zusammenschluss gestellt; die Züge rollten in der neuen bundesrepublikanischen Wirklichkeit unweigerlich aufs Berliner Einheitsgleis zu. Nach der Jahrtausendwende sollte es soweit sein – die Standorte waren im harten Wettbewerb mit gastronomischem Häuserkampf schlichtweg sturmreif geschossen.
Am Ende blieb nur eine Braustätte
Für die Brandenburger Standorte in Potsdam und Frankfurt/Oder ergab sich zugleich das Dilemma der Berlin-Nähe, wo die Standorte von Brau und Brunnen, aber auch von Oetkers Binding-Gruppe genügend Kapazitäten vorhielten, um ihre Sudkessel mit Brandenburger Kapazitäten auslasten zu können und dabei unnötige Investitionen zu vermeiden. Bei einem Gesamtmarkt von Berlin und Brandenburg von nicht einmal sechs Millionen Menschen – damit kleiner als Hessen – war absehbar, dass die Erosion erdrutschartig sein sollte. So waren es 2004 lediglich die Folgen eines absehbaren Konzentrationsprozesses.
Mit der Übernahme und Zerschlagung des Brau-und-Brunnen-Konzerns und dessen gewichtigen Traditionsstandorten in Berlin und Dortmund schwante Franz-Josef Möllenberg, seinerzeit Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG), nichts Gutes. Er sah die Bündelung aller Braukapazitäten an einem Standort als unausweichlich.
Nach damaligen Aussagen lag die Produktionsauslastung von Berliner Kindl 2001 nur noch bei 56 Prozent. Schon damals veranlasste Oetker die Schließung der Potsdamer Brauerei und die Verlagerung der Produktion von „Rex Pils“ und „Märkischer Landmann“ in die Braustätte nach Neukölln. Bereits in der unmittelbaren Nachwendezeit war reichlich Bier- und Braukultur in der Hauptstadt verloren gegangen. In den Neunzigerjahren hatten nacheinander die Bärenquell Brauerei in Niederschöneweide, die Schultheiss-Brauereien in Spandau und Kreuzberg sowie die Engelhardt Brauerei in Charlottenburg aufgegeben, freilich alles kleine Standorte.
Zu guter Letzt benötigte Oetker zur Ausgestaltung des eigenen Wohnzimmers nur noch die Braustätte in Hohenschönhausen, die Kindl-Brauerei in Neukölln wurde 2006 ausgelöscht. Seither sorgt die Berliner-Kindl-Schultheiss-Brauerei an der Indira-Gandhi-Straße dafür, dass der Berliner Vertriebskoffer der Radeberger Gruppe gut gefüllt ist. Hier werden laut „B.Z.“ jährlich 1,5 Millionen Hektoliter von Berliner Pilsner, Berliner Kindl, Engelhardt, Schultheiss und Berliner Bürgerbräu produziert.
Von Frankfurt/Oder aus das Preiseinstiegssegment erobert
Keineswegs geradlinig verlief nach der Jahrtausendwende die Entwicklung des zweiten großen Standortes in Frankfurt/Oder. Zeitweise stand das Schicksal der dortigen Oderland-Brauerei sogar auf der Kippe. Noch unter der Regie von Brau und Brunnen gelang es, die angekündigte Schließung abzuwenden und den Betrieb an die neue Frankfurter Brauhaus GmbH zu verkaufen – der Neustart begann am 1. Januar 2004. Zugleich wurde die Inbetriebnahme einer PET-Anlage angekündigt, nachdem das Einwegpfand Bier aus Plastikflaschen salonfähig gemacht hatte. Die Discounter griffen zu, weil ein verschließbares Einweggebinde die Hygieneprobleme aus den Märkten genommen hatte.
Jetzt traten zwei bislang unbekannte Akteure ins Rampenlicht, die so recht gar nicht ins Bild überzeugend zapfender Brauereiinhaber passen sollten: Karsten Uhlmann und Mike Gärtner schwimmen seither auf einer Erfolgswelle – ihr Rezept: Menge statt Marke, kleiner Preis statt Premium. Rasch zum Frankfurter Brauhaus unbenannt, wurde in der Zentrale der TCB Beteiligungsgesellschaft an der Grenze zu Polen zur Aufholjagd geblasen.
Uhlmann und Gärtner wollten wachsen, gern mit PET und Dose, gern mit Private Labels für jede Vertriebsschiene, die im Preiseinstiegsbereich einen Lieferanten suchte. Als Carlsberg 2011 den Dresdener Standort von Feldschlösschen über Bord warf, griff das ostdeutsche Unternehmens-Duo ebenso zu wie in Hannover, als AB Inbev 2015 die traditionsreiche, aber arg geschundene Gilde-Brauerei verkaufte. Nach eigenem Bekunden produziert die TCB Beteiligungsgesellschaft in ihrer Firmengruppe, die insgesamt rund 700 Beschäftigte zählt, pro Jahr rund acht Millionen Hektoliter Bier.
Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass man sich – ganz gleich ob in Frankfurt/Oder, Dresden oder Hannover – schon auf die Standorttradition besann und den lokalen Marken durchaus Handlungsspielraum gab. Wer meint, Karsten Uhlmann kann nur Preiseinstieg, wird rasch eines Besseren belehrt. Er sitzt mit dem ehemaligen „Bild“-Chefredakteur und heutigem Agenturinhaber Kai Diekmann, Reiner Hoffmann vom Deutschen Gewerkschaftsbund, Wolfgang Ischinger von der Münchner Sicherheitskonferenz sowie Alexander Graf Lambsdorff (FDP) im Vorstand der Atlantik-Brücke, die von Sigmar Gabriel geführt wird.
Eine Hochburg des Pilseners
1995 war die Welt in Berlin und Brandenburg noch in Ordnung. Mit einem Sortenanteil von 85,7 Prozent in Berlin und 83,4 Prozent in Brandenburg war Pils der unangefochtene Favorit der Bierfreunde. Zu diesem Zeitpunkt machten Weizenbiere und Export-Biere jeweils lediglich 2,5 Prozent Marktanteil. Lediglich in Brandenburg erfreute sich die Sorte Export aufgrund ihrer Wertschätzung zu DDR-Zeiten eines Anteils von 7,4 Prozent. Alkoholfreie Biere kamen gerade einmal auf 2 Prozent Marktanteil.
25 Jahre später haben sich Berlin und Brandenburg ihre Sortenpräferenzen bewahrt – mit 65,8 Prozent führt Pils weiter mit Abstand die Sortenpräferenzen an. Weizenbier (2,3 Prozent), Helles (3,2 Prozent), aber auch Lager (3,8 Prozent) führen im Vergleich zu anderen Regionen in Deutschland nur ein Schattendasein. Wer vielerorts in Berlin die Schirme der bayrischen Weißbierbrauer sieht, weiß damit, dass hier Marke und Markt gemacht werden. Für die Gebindepräferenzen gilt eine klare Bevorzugung der Halbliterflasche – immerhin 77,8 Prozent gehen als Einzelflasche oder als kompletter Mehrwegkasten über den Ladentresen. Die Halbliterdose, in der 1995 noch jeder dritte Liter Bier (Anteil 34 Prozent) verkauft wurde, wurde auf 6,0 Prozent zurückgeführt.
Craftbier – viel Lärm um wenig
Die Craftbier-Szene der Hauptstadt hält inzwischen den Atem an. Vorbei die Zeiten, als alle Welt neugierig die kleinen Brauanlagen beäugte, um sich vom neuen, kreativen Biergeschmack überraschen, manches Mal auch irritieren zu lassen. Rechtzeitig zum 500. Jubiläum des Reinheitsgebotes pulsierte die Szene auf einem Höhepunkt, der viele euphorisch machte. Von 2011 bis 2019 hat sich die Zahl der Braustätten in Berlin und Brandenburg verdoppelt.
Tatsächlich waren die Craftbier-Brauer gerade zum rechten Zeitpunkt zur Stelle, als die deutsche Brauwirtschaft nach handwerklicher Erdung suchte. Gemeinsam mit Hamburg wurde Berlin zum Schmelztiegel für junge Selfmade-Brauer, die zuweilen provokativ dem Mainstream abschworen, um sich zugleich in eine Nische mit Sackgassencharakter zu begeben. Dort besteht letztlich wenig Aussicht auf Wachstum.
Geblieben ist die gescheite Craftbier-Avantgarde, die ihr Geschäftsmodell frühzeitig der Marktrealität angepasst hat. Dazu gehört der Mix aus Brauer-Folklore, funktionierendem Gastronomieerlebnis und einem Hauch Berliner Großstadtflair. Allen voran hat es Olli Lemke vom gleichnamigen Brauhaus am Hackeschen Markt in Mitte ebenso geschafft wie BRLO in Kreuzberg oder die Berliner Berg Brauerei, sich aus der beklemmenden Nische heraus zu bewegen.
Brewdog hat diese Bewährungsprobe noch vor sich, um den von der Stone Brewery übernommenen Betrieb neu zu beleben. Die Bilanz einer rasanten, freilich auch medienwirksamen Entwicklung zeigt die mangelnde Nachhaltigkeit offensiver Geschäftsmodelle, wenn es zumeist an der Drinkability hapert. Nachhaltige Mengenerfolge der Berliner Craftbier-Szene für den deutschen Biermarkt? Fehlanzeige! Die Berliner Wurzelbewegung sollte nicht über einen Achtungserfolg hinauskommen – Ernüchterung ist längst eingetreten.
Hochmut kommt vor dem Fall
Vorangegangen war eine der schillerndsten Episoden eines ausländischen Brauers auf deutschem Boden. Greg Koch hatte 2016 auf dem Gelände des alten Gaswerkes weit ab vom Schuss damit begonnen, sein Konzept aus Produktionsstandort und Erlebnisgastronomie zu verwirklichen. Nichts Geringeres als die Eroberung des europäischen Biermarktes hatte er von dort aus vor. Dass er stets vollmundig die deutsche Brauwirtschaft diskreditierte („deutsches Bier ist langweilig“) und zum Auftakt gar einen Findling auf eine Palette deutscher Biere fallen ließ, brachte ihm in der Branche wenig Respekt und bei seiner unternehmerischen Flucht aus Deutschland 2019 obendrein noch Hohn und Spott ein.
Das 25-Millionen-Euro-Invest des Greg Koch sollte wie Eis in der Sonne zerschmelzen – Brewdog musste letztlich nur die Hände aufhalten und das Abenteuer auffangen. Der deutsche Biermarkt besitzt eben Besonderheiten, denen mit Hochmut nicht beizukommen ist. Allen Unkenrufen zum Trotz: Berlin braucht die Szene und die Szene eine Metropole wie Berlin. Dort tun die gut und gern 30 verbliebenen Craftbier-Brauer der Szene weiterhin gut. Ob es auf Dauer so viele bleiben werden, bezweifeln die Newcomer hinter vorgehaltener Hand selbst. Schade wäre es trotzdem.
Berlin bleibt begehrt und umkämpft
Mit zwei Großbrauereien in Berlin-Hohenschönhausen und in Frankfurt/Oder hat die Wirklichkeit des deutschen Biermarktes die Bundesländer Berlin und Brandenburg längst erreicht. Von der einstigen Vielfalt der Standorte ist wenig geblieben. Je offener, je touristischer ein Markt ist, umso wettbewerbsintensiver erweist er sich allein durch die Begehrlichkeit frequenzstarker Gastronomieobjekte. Das gilt vor allem für Berlin. Da ist selbst Oetker mit seiner Radeberger Gruppe manches Mal überrascht, mit welchen Offerten die ganz Großen vom Schlage eines Krombachers unterwegs sind.
Der Wunsch nach Regionalität greift zwar auch in Berlin, gilt aber längst nicht als Allheilmittel für den Markterfolg heimischer Anbieter – und seien sie noch stabil aufgestellt. Starke Marken haben es in einem Ballungszentrum immer leichter. Kein Wunder also, dass im Handel von Berlin und Brandenburg gleich nach den Markenleuchttürmen von Berliner Kindl und Berliner Pilsner schon Krombacher als ärgster Feind unterwegs ist und die Regale prall gefüllt hält. Auch dit is Berlin.
In sämtlichen Zahlen sind alkoholfreie Biere und Malztrunk sowie das aus Ländern außerhalb der Europäischen Union eingeführte Bier nicht enthalten.
Teil 5: Die Bier-Katastrophe: Wie Hessen in 25 Jahren
69 Prozent seines Ausstoßes verliert
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