Im Musterländle verloren große Brauereien ihre Selbstständigkeit
Es rühmt sich als Musterländle, doch in Sachen Biermarkt-Profilierung hat es Baden-Württemberg in den letzten Jahrzehnten nicht zu echter Marktbedeutung geschafft. Dabei sind die Probleme weitgehend hausgemacht. Innerhalb der vergangenen 25 Jahre konnte keine der damals fünf großen Brauereien ihre Selbstständigkeit wahren – die baden-württembergischen Platzhirsche sind allesamt der Marktkonzentration zum Opfer gefallen. Das hat geschwächt.
In 25 Jahren ein Drittel des Marktvolumens eingebüßt
Noch zur Mitte der 90er Jahre waren es regionale Hektoliter-Millionäre, die in Baden-Württemberg das Sagen hatten. Damals hatte der Biermarkt dort noch ein Ausstoßvolumen von 9,1 Millionen Hektolitern, 3,35 Millionen Hektoliter sollte der Markt in den folgenden 25 Jahren schlichtweg über Bord werfen. Doch 1995 schien die Welt noch intakt. In Mannheim regierte die Eichbaum Brau AG, in Stuttgart gaben die Dinkelacker Brauerei AG und die Stuttgarter Hofbräu AG den Ton an, während in Donaueschingen die Fürstlich Fürstenbergische Brauerei sogar auf dem nationalen Premiumweg unterwegs war. Derweil hatten sich die großen nationalen Premium-Marken wie Krombacher, Bitburger und Veltins längst auf den Weg gemacht – auch Richtung Baden-Württemberg.
Dort kämpfte man zusehends mit eigenen strukturellen Problemen, die der Vergangenheit und der oftmaligen Börsennotierung der Brauereien geschuldet waren. Während die nationalen Größen auf Markenkraft und konsequente Distributionserweiterung setzten, waren die Aktiengesellschaften im Südwesten in sich gefangen. Angesichts der schrumpfenden Marktmengen wurden sie ein Opfer mangelnder Marktambitionen und Finanzstärke. Entweder waren sie bereits in den Fängen einer fusionshungrigen Brauerei-AG oder hatten schlichtweg die unabdingbare Notwendigkeit einer Markenprofilierung aus den Augen verloren. Nicht anders ist es zu erklären, dass die Eichbaum Brau AG in Mannheim heute im regionalen Handel mit ihrem durchaus ansehnlichen Markenportfolio nicht einmal mehr unter den Top 10 ihres Heimatmarktes zu finden ist.
Eichbaum: Übernahmestrudel reißt kleine Standorte mit
Aber wie kann ein so eklatanter Verlust eines Marktstatus passieren? Die Marktkonzentration war schuld. 1970 hatte der damalige Braugigant Henninger aus dem benachbarten Hessen kurzerhand bei Eichbaum zugelangt und die Mannheimer Brauerei übernommen. Freilich war vor 50 Jahren kaum absehbar, dass es mit Henninger in Frankfurt späterhin erst langsam, dann steil bergab gehen sollte und die einstige Braugröße inmitten der Bundesrepublik vom Kaufhunger der bayerischen März-Gruppe aufgesogen werden sollte.
Dass SAP-Gründer Dietmar Hopp mit seiner Actris AG nach der März-Übernahme letztlich nur eine Resteverwertung des einst stolzen Mannheimer Brauortes vornehmen konnte, blieb schicksalhaft. Wieder einmal hatte es eine Konzernbrauerei in Deutschland geschafft, eine kleine Tochter mit in den Strudel wirtschaftlicher Schwierigkeiten zu ziehen. Nur gut, dass 2009 endlich ein Management-Buy-out etwas Ruhe in die Mannheimer Sudkessel brachte. Die neuen Gesellschafter konnten sich trotz erkennbarer Marktschwierigkeiten nach und nach zumindest ihren lokalen Markt zurückerobern; zur Auslastung der vorhandenen Braukapazitäten sollten dann Handelsmarken für Lidl und Co. helfen.
Weg in den Weltkonzern wurde zum Irrweg
Der Marktzweite, der vor 25 Jahren noch alle Register zu ziehen vermochte, war die Dinkelacker Brauerei AG, die 1994 bereits eine Mehrheitsbeteiligung durch die Münchener Spaten-Franziskaner-Bräu erfahren hatte. Bei Dinkelacker übernahm man die Aufgabe des Konsolidierers und initiierte alsbald den Zusammenschluss mit dem Marktfünften, der Stuttgarter Schwabenbräu AG. Die Gesellschafterachse Stuttgart-München erwies sich letztlich als wenig zukunftsfähig, um im Südwesten neue Impulse zu geben. Überdies geriet der Stuttgarter Standort 2003 mit der Übernahme von Spaten-Franziskaner-Bräu alsbald in die Fänge von Interbrew und damit eines wenig hilfreichen Weltkonzerns. Der hatte mit der Fusion zu Inbev weder das Können noch den Willen, die unverzichtbare Regionalität der aufgekauften Braustätten zu pflegen. Kurzum: Dinkelacker war in den wenigen Jahren unter der Regie von Inbev nie im Weltkonzern angekommen.
Generationswechsel bei Dinkelacker vorerst missglückt
Letztlich war es gut so, dass eine Rückführung der Gesellschaftsanteile in den Dinkelacker-Familienbesitz vollzogen wurde. Man gab dort neue Impulse, belebte 2008 die Retromarke Wulle, die mit der Schließung der gleichnamigen Brauerei 1971 vom Markt verschwunden war. Trotz dieses Achtungserfolgs hat es Dinkelacker bis heute nicht geschafft, unter die zehn absatzstärksten Marken im baden-württembergischen Handel zurückzukehren. Vielleicht dachten die Familiengesellschafter zu lokal, vielleicht fehlten die notwendigen Investitionen in weitere Expansionen.
Und dann scheiterte zu Jahresbeginn 2022 auch noch der Generationenwechsel, der in der Außenwirkung als vollständig missglückt wahrgenommen werden musste. Colin Dinkelacker war mit 27 Jahren selbstbewusst in die Geschäftsführung eingetreten, beendete aber den unternehmerischen Familienausflug schon mit 29 Jahren wieder. Als künftige Generation mit viel unternehmerischer Macht ausgestattet, war der junge Dinkelacker euphorisch gestartet, doch letztlich fehlte ihm offenbar das Gefühl für den Markt und die Menschen. Von der Marke Dinkelacker, so viel steht fest, dürfte in absehbarer Zeit keine Marktoffensive ausgehen.
Oetker agiert gewohnt lautlos
Ohnehin ist der regionale Markt Baden-Württembergs heute von Oetkers Brauerei-Dependance, der Radeberger Gruppe, in der Landeshauptstadt geprägt. Stuttgarter Hofbräu hat es geschafft, den Handelsabsatz mit einem Marktanteil von 5,8 Prozent anzuführen. Lautlos, wie die Radeberger Gruppe am liebsten ihr Geld verdient, haben sie es mit solider Vertriebsarbeit geschafft, die Marktposition von Stuttgarter Hofbräu zu zementieren. Erst danach folgt die Badische Staatsbrauerei Rothaus mit einem Marktanteil von 5,2 Prozent. Sie befindet sich unverändert zu 100 Prozent im Landesbesitz und nimmt für sich in Anspruch, mit ihrem Standort auf 1.000 Metern Höhe im Hochschwarzwald zugleich die höchstgelegene Brauerei Deutschlands zu sein.
Kaum zu glauben, dass es die staatlichen Brauer waren, denen man vor knapp 20 Jahren noch den Weg in die nationale Premium-Liga zutraute. Weil man die Schlüsselmarke Tannenzäpfle nie überdehnte und überdies ohne Marketingkraft noch pflegte, hatte sich die Badische Staatsbrauerei AG in den Trendobjekten seinerzeit einen guten Namen machen können. Viele Jahre stand das Tannenzäpfle mit seinem unverwechselbaren Markenauftritt in den Berliner Spätis in Griffhöhe, heute ist es längst in die untere Reihe verbannt worden, sofern es in den Kiezen überhaupt noch erhältlich und nicht von Augustiner oder Bayreuther Hell abgelöst ist.
Keine Werbung für Tannenzäpfle
Der Vorteil eines unverbrauchten Markenimages wurde fürs Tannenzäpfle letztlich zum Nachteil. Den Staatsbrauern sollte die Balance zwischen Geheimtipp und kommunikativer Nachfrageforcierung nicht gelingen. Die einstige Trendmarke wurde von der bundesdeutschen Markenbühne auf den Kernabsatzmarkt zurückgedrängt. Das machte sich natürlich auch in den Zahlen bemerkbar. Von 75,6 Millionen Euro im Jahr 2016 schob sich der Jahresumsatz 2018 sogar auf 77,66 Millionen Euro hoch. Danach kam der Absturz: 2020 wurde nur noch ein Umsatz von 67,98 Millionen Euro erreicht – zweifellos auch ein Ergebnis des ersten Pandemiejahres.
Derweil dürfte auch Rothaus unter dem Kostendruck des Geschäftsjahres 2022 mächtig leiden, zumal Vorstand Christian Rasch im Frühjahr vollmundig angekündigt hat, auf eine Bierpreiserhöhung vorerst verzichten zu wollen. Ambitioniert sind hingegen die Zukunftsziele, die dank der Rückendeckung des Landes Baden-Württemberg durchaus erreichbar erscheinen. Bis zum Jahr 2030 will die Brauerei klimapositiv produzieren, sodass im Braubetrieb unterm Strich dann mehr klimaschädliches CO2 ausgeglichen als verursacht will.
Mit diesem klimafreundlichen Kurs hat Rasch vor allen Dingen die Rückendeckung des grünen Finanzministers Danyal Bayaz. Angestrebt werden Investitionen von rund 40 Millionen Euro, die über die nächsten Jahre verteilt werden sollen. Dabei geht es auch darum, eine immerhin 9.000 Quadratmeter große Fläche mit Photovoltaik zu bestücken. Jedenfalls wird im Hochschwarzwald ertragreich gearbeitet und gutes Geld verdient, sodass respektable Erträge an die Landeskasse abgeführt werden können. 2020 waren es immerhin rund 8,5 Millionen Euro, über die Baden-Württembergs grünes Finanzministerium verfügen konnte.
Paulaner Gruppe mit solider Marktposition
Während sich AB Inbev schon vor 15 Jahren aus Baden-Württemberg zurückgezogen hat, engagiert sich neben der Radeberger Gruppe auch die Paulaner Gruppe im Musterländle. Die Fürstlich Fürstenbergische Brauerei in Donaueschingen rollt unter dem Dach von Paulaner den Markt im Südwesten auf und hat längst ihre nationalen Marktambitionen der 90er Jahre aufgegeben. Gleiches gilt für die Privatbrauerei Hoepfner in Karlsruhe, die 2005 unter das Paulaner-Dach geschlüpft ist, aber für sich allenfalls einen lokalen Klassenerhalt verbuchen kann. Die vorgeschobene Rampe in Donaueschingen und Karlsruhe hat auch etwas Gutes: Die große Mutter konnte der Stammmarke Paulaner einen soliden Platz in der Handelsbedeutung sichern. Mit einem Marktanteil von 4,0 Prozent rangieren die Münchner immerhin gleich hinter Stuttgarter Hofbräu, Rothaus und Oettinger.
Wettbewerb zwischen großen und kleinen Brauern
Lange Jahre bewegte sich Baden-Württemberg innerhalb der deutschen Brauwirtschaft mit Platz 5 im vorderen Drittel, musste aber 2021 mit einem Ausstoßverlust von 3,4 Prozent auf 5,61 Millionen Hektoliter nochmals Federn lassen. Damit hat die baden-württembergische Brauereienlandschaft in den letzten 25 Jahren immerhin 36,6 Prozent Volumen verloren. Es waren vor allen Dingen die großen Brauer, die unterm Strich ein Minus von 3,35 Millionen Hektoliter zu verschmerzen hatten.
Dafür kämpfen die verbliebenen regionalen Brauer wie Goldochsen in Ulm oder die Brauerei Moninger in Karlsruhe – beide solide und privat geführt – um regionale Marktreputation. Für sie ist es naturgemäß schon deshalb schwierig, weil die Platzhirsche des Bundeslandes aufgrund ihrer Unternehmensgröße und mangelnder Marktchancen außerhalb der Landesgrenzen im baden-württembergischen Binnenmarkt enormen Druck ausüben. Hinzu kommt, dass die Gastronomie – und das gilt vor allem für die Vorzeigebetriebe – seit jeher von den großen nationalen Premiummarken umworben und vertraglich gebunden werden.
Regionalität bringt unternehmerische Stabilität
Aber es geht auch anders, denn Regionalität lässt auch Wachstum zu: Die Waldhaus-Brauerei im Naturpark Südschwarzwald wuchs in den letzten Jahren dynamisch, weil es gelungen war, die Regionalität im Produktportfolio als wesentliche Differenzierung zum Wettbewerb herauszuarbeiten. Lediglich 2021 war der Ausstoß pandemiebedingt von 106.000 auf 101.230 Hektoliter zurückgegangen. Wie das Unternehmen mitteilte, lag der Umsatz 2021 bei 13 Millionen Euro. 2020 hatte er noch 13,3 Millionen Euro betragen. Brauereichef Dieter Schmid hatte bereits vor Jahren damit begonnen, seine Persönlichkeit und seine Mitarbeiter als junges Team zu profilieren – bei Waldhaus hat die Marke Gesichter. Dieter Schmid selbst war es auch, der frühzeitig die Weichen zur klimaneutralen Brauerei zu stellen wusste. Hierzu seien in den kommenden Jahren noch weitere erhebliche Anstrengungen notwendig, bis das Unternehmen 2030 klimaneutral sei, so klingt es aus dem Südschwarzwald.
Ein weiteres Beispiel für erfolgreiche regionale Positionierung ist die Alpirsbacher Klosterbrauerei im Nordschwarzwald. Die Brauerei wird in vierter Generation von Carl Glauner geleitet. Er ist der Urenkel des Brauerei-Gründers Johann Gottfried Glauner, der 1877 das Unternehmen kaufte und damit die Benediktiner-Klosterbrauerei aus dem elften Jahrhundert reaktivierte. Bei den Alpirsbacher Brauern macht der Anteil des Getränke-Umsatzes durch Gastronomie und Veranstaltungen in der Regel gut 35 Prozent aus. Davon war allein im Jahr 2020 etwa die Hälfte weggebrochen. Inzwischen hat sich das Geschäft deutlich erholt. Die Brauerei konnte sich nach eigenen Angaben 2021 in einem schwierigen Marktumfeld gut behaupten und besser als der Gesamtmarkt entwickeln. Der Bierabsatz der gut 200.000 Hektoliter großen Brauerei lag mit +0,1 Prozent fast genau auf Vorjahresniveau. Die Umsatzerlöse stiegen aufgrund von Preiserhöhungen um 4,0 Prozent.
Helles hängt Weizenbier weiter ab
Nur eines ist im Südwesten genauso wie andernorts: Die Brauwirtschaft verzeichnet ein strukturelles Wachstum der Braustätten, was allerdings auch dort keine Mengenimpulse nach sich zieht. Von 1996 bis 2020 ist die Zahl der Brauereien von 173 auf 208 Standorte gewachsen. Wie es sich für den Süden der Republik gehört, bevorzugen die Verbraucher in Baden-Württemberg die Halbliter-Mehrwegflasche als Traditionsgebinde. Sie führt mit einem Marktanteil von über 64 Prozent den Gebindemix im Handel an, die Drittelliter-Flasche kommt auf rund 20 Prozent.
Deutlicher sieht es bei den Sortenpräferenzen aus. Unabhängig von allen Sortenveränderungen führt Pils die Hitliste mit 34,7 Prozent an, Helles und Weizen halten sich mit 11,5 Prozent bzw. 11,3 Prozent nahezu die Waage. Noch! Allerdings dürfte sich der Abstand des Hellen zum Weißbier alsbald deutlich erhöhen. Gemeinsam mit Bayern zählt Baden-Württemberg zu den Wachstumstreibern der Sorte Hell. Immerhin 74 Prozent aller Hell-Biere werden in den beiden süddeutschen Bundesländern verkauft.
Fazit: Wenige Impulse vom Musterländle
Baden-Württemberg ist und bleibt ein Auto- und Hightech-Land. Für die nationale Brauwirtschaft mit aller handwerklicher Tradition geht vom Musterländle aber kein Impuls aus. Ideen und Innovationen für den deutschen Biermarkt? Fehlanzeige! Und das wird auch in Zukunft so sein. Übernahmefantasien erschließen sich angesichts der wenig wachstumsversprechenden Brauereien und deren Marken ebenso wenig. Die Badische Staatsbrauerei Rothaus wird erwartbar Gewinne abwerfen, vorausgesetzt die Wettbewerbsintensität nimmt nicht weiter zu. Im Südwesten heißt es: Weitermachen – Business as usual.
In den Zahlen sind alkoholfreie Biere und Malztrunk sowie das aus Ländern außerhalb der Europäischen Union eingeführte Bier nicht enthalten.
Teil 13
Sachsen-Anhalts Brauereien belegen vorletzten Platz
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