Die Corona-Krise wird auch die Spirituosenbranche längerfristig schwächen. Dieses Fazit zog Thomas Ernst, Präsident des Spirituosenverbands BSI, beim 19. Spirituosen-Forum, das wegen der Pandemie als digitale Veranstaltung stattfand. Die Verluste, die die Branche durch die stark rückläufige Nachfrage in der Gastronomie, im Duty-Free-Geschäft sowie im Tourismus- und Event-Bereich hinnehmen musste, könnten voraussichtlich bis zum Jahresende nicht kompensiert werden.
Erfreulich sei indessen, dass die Nachfrage im Lebensmitteleinzelhandel in den letzten Monaten leicht gestiegen sei, so Ernst. Dies bestätigte Dr. Rebecca Hertl, Marktforscherin bei der Nielsen Company, in ihrem Vortrag. Nach den Erhebungen des Instituts wurden im LEH und in Drogeriemärkten von Januar bis September 484,4 Millionen 0,7-Liter-Flaschen Spirituosen verkauft – 6,5 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Der Umsatz stieg sogar um 8,2 Prozent auf 3,408 Milliarden Euro.
Die Zuwächse im Handel konnten aber offenbar die Verluste in den von Schließungen betroffenen Kanälen nicht ausgleichen: Laut Nielsen musste der C&C ein Absatzminus von 16 Prozent auf 24 Millionen 0,7-Liter-Flaschen hinnehmen. Der Umsatz ging um 11,5 Prozent auf 259,3 Millionen Euro zurück. Auch das Duty-Free-Geschäft verzeichnete wegen der Reise-Einschränkungen starke Rückgänge, wie Hertl berichtete. Das schwer gebeutelte Geschäft in Fachhandel und Gastronomie ist in dieser Betrachtung noch gar nicht berücksichtigt.
Verbrauchermärkte und Harddiscount profitieren
Doch auch innerhalb des Lebensmittelhandels zeigten sich im Verlaufe der Corona-Pandemie außergewöhnliche Verschiebungen im Spirituosenkauf: Während – insbesondere kleine – Supermärkte Verluste verbuchten, profitierten laut Nielsen-Erhebungen Verbrauchermärkte und der Harddiscount stark von der Krise. Insbesondere während des Lockdowns im Frühjahr wurden bei Aldi, Lidl & Co deutlich mehr Spirituosen verkauft. Der Höhepunkt war im April erreicht, wo der wertmäßige Marktanteil 27,5 Prozent erreichte – nach 19,5 Prozent im Februar und 23,9 Prozent im März.
Gleichzeitig ist aber auch eine gegenläufige Tendenz zu beobachten: Wie Dr. Rebecca Hertl ausführte, kauften zu Beginn der Krise relativ viele Haushalte mit überdurchschnittlichem Einkommen Spirituosen ein. Die Hochprozenter hätten sich in dieser Zeit als „Luxusgut“ erwiesen, so die Marktforscherin.
Auch nach der Corona-Krise wird sich die Verschiebung in Richtung des stationären LEHs voraussichtlich fortsetzen. Das glaubt jedenfalls Dr. Werner Motyka, Partner bei der Unternehmensberatung Munich Strategy. Es sei wahrscheinlich, dass sich Verbraucher im Sinne eines „Cocooning“ längerfristig „in ihren eigenen vier Wänden einigeln“ werden. Die gegenteilige Annahme, dass sie nach den schweren Zeiten „Nachholbedarf“ hätten und die Gastronomie besonders intensiv nutzen würden, teilt er nicht.
Online-Thema gehört in den Fokus
Ein seit langem bekannter Trend, der durch Covid-19 kräftig an Fahrt aufgenommen hat, ist die Digitalisierung. Darauf wies Prof. Dr. Martin Fassnacht in seinem Vortrag hin, der den Lehrstuhl für Strategie und Marketing an der WHU – Otto Beisheim School of Management innehat. So würden aktuell auch die Online-Auftritte der Spirituosenunternehmen von Verbrauchern vermehrt zur Informationsbeschaffung genutzt – was den Herstellern zugleich wichtige Kundendaten und Insights zur Customer Journey liefern könne. Dieses Thema müssten die Unternehmen jetzt deutlich mehr forcieren.
Das Thema „Omnichannel“ werde „noch sehr eingeschränkt gedacht und behandelt“, unterstrich in seinem Vortrag auch Siamac Alexander Rahnavard, Managing Partner bei der Agentur für digitale Kommunikation „Echte Liebe“. Die Möglichkeiten in diesem Bereich würden vielfach „nicht strategisch intelligent“ eingesetzt.
Wie es kurz- und mittelfristig mit der Branche weitergeht, kann wohl im Moment niemand sagen. Angesichts des derzeitigen zweiten Lockdowns will der BSI jedenfalls keine Prognose fürs Gesamtjahr wagen. Sie könne erst abgegeben werden, wenn absehbar sei, wie sich die Schutzmaßnahmen in Deutschland weiterentwickeln, sagte BSI-Präsident Thomas Ernst zum Abschluss. Den Herstellern bleibt aktuell nur, auf eine leichte Belebung des Geschäfts in der Weihnachtszeit zu hoffen.