Russland ist für die deutschen Brauer der größte Exportmarkt außerhalb der Europäischen Union und der zweitgrößte Exportmarkt insgesamt nach Italien. Vor dem Hintergrund rückläufiger Inlandsabsätze hatte der russische Markt in den letzten Jahren auch eine maßgebliche Ausgleichsfunktion in den Absatzstatistiken übernommen. So wurden 2021 rund zwei Millionen Hektoliter Bier nach Russland exportiert. Das entspricht 12,7 Prozent des gesamten deutschen Bierexports, so die Zahlen des Verbands der Ausfuhrbrauereien Nord-, West- und Südwestdeutschlands (VAB). Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine verabschieden sich die deutschen Brauer nun vom russischen Markt.
Bitburger stoppt Russland-Investitionen
Die Bitburger Braugruppe hat aktuell auf die Invasion in die Ukraine mit klaren Maßnahmen reagiert: „Obgleich der russische Markt bislang für uns zu den Auslandsmärkten mit großem Zukunftspotenzial gehört hat, haben wir aufgrund der aktuellen Entwicklungen rund um den Ukraine-Konflikt umgehend alle Investitionen in diesen Markt gestoppt“, sagt Axel Dahm, Sprecher der Geschäftsführung der Bitburger Braugruppe, auf Anfrage von Getränke News.
Derzeit überprüfe man eingehend die Geschäftsbeziehungen mit russischen Partnern oder russischer Beteiligung unter besonderer Berücksichtigung der aktuell geltenden Sanktionslisten und setze die Kontrakte auch im Zweifelsfall mit sofortiger Wirkung aus. „Wir werden die weiteren Entwicklungen mit Blick auf unsere wirtschaftlichen Entscheidungen sehr genau verfolgen und entsprechend reagieren“, so Dahm.
Veltins sagt Russland-Geschäft ab
Auch bei der Brauerei Veltins wurde nun ein vielversprechendes Geschäft abgesagt, das sich im letzten Jahr mit einem russischen Importeur entwickelt hat. Der Importeur habe sich sehr betroffen von der politischen Führung seines Landes gezeigt, erklärt Veltins-Sprecher Ulrich Biene. Die Sanktionen seien dort bereits im Biermarkt spürbar: Der Wertverlust des Rubels bedeute für den Importeur eine sofortige Anhebung seiner Verkaufspreise um 20 Prozent, was die Geschäfte zusätzlich erschwere. Bei weiterem Währungsabfall würden die wirtschaftliche Situation und das Preisgefüge für Importbier noch schwieriger.
„Wir gehen davon aus, dass wir für eine lange Dauer ein nicht weiter entwicklungsfähiges Russland-Geschäft haben werden“, sagt Biene. Da die Brauerei Veltins Märkte in unwägbaren Schwellenländern wie Russland und Südostasien seit jeher mit viel Augenmaß bearbeite, bestätige sich die Strategie, eben nicht auf ein volatiles Exportgeschäft zu setzen. „Der deutsche Markt bleibt mit Abstand unser wichtigster Zielmarkt!“, betont Biene.
Die Warsteiner Brauerei, deren Absätze sich im Ausland in den letzten Jahren prozentual deutlich besser entwickelten als im Inland, fährt dagegen eine andere Strategie: Das Unternehmen will Warsteiner zu einer globalen Marke ausbauen. „Die Warsteiner Gruppe exportiert in über 50 Länder weltweit, bis zum Angriff Russlands auf die Ukraine auch nach Russland. Zu den wichtigsten Exportmärkten zählen jedoch Italien, die Niederlande, UK und die USA“, sagt Helmut Hörz, Vorsitzender der Geschäftsführung der Warsteiner Gruppe.
„Der Absatzmarkt in Russland hat sich in den vergangenen Jahren konstant positiv entwickelt. Wir sind entschieden gegen den Krieg in Russland und unser größtes Mitgefühl gilt den Menschen in der Ukraine. Alle Sanktionen gegen die russische Kriegsführung werden wir als Unternehmen unterstützen und konsequent umsetzen“, so Hörz.
Nachgelagerte Verwerfungen befürchtet
Tatsache ist: Der Zusammenbruch der Ausfuhrbeziehungen trifft eine Branche, die bereits durch die Auswirkungen der Pandemie massiv geschädigt wurde und die nun absehbar und langfristig auch noch einen wichtigen Absatzmarkt verliert. „Auch in unserer Unternehmensgruppe machten Exporte nach Russland einen nicht zu vernachlässigenden Teil unseres internationalen Geschäftes aus“, bestätigt Birte Kleppien, Unternehmenssprecherin der Radeberger Gruppe.
Der Warenverkehr nach Russland sei aber bereits eine Woche vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine nahezu zum Erliegen gekommen und werde unter den geltenden Sanktionen und der veränderten Kaufkraft des russischen Rubels auch absehbar weiter entfallen. „Das ist sicher ausgesprochen schmerzhaft für die Branche und somit auch für uns, allerdings machen uns mögliche nachgelagerte Verwerfungen, die die Ukraine-Krise auslösen könnte, deutlich größere Sorgen – und zwar nicht nur mit Blick auf unsere Branche“, sagt Kleppien.
Brauwirtschaft drohen Versorgungsengpässe
Die Versorgung mit Getreide werde deutlich erschwert und werde diese Rohstoffe weiter verteuern. Zusammen mit deutlich steigenden Energiepreisen werde die sich bereits abzeichnende Inflation weiter forciert, so die Sprecherin. Auch die Lieferkette könnte durch den Ausfall ukrainischer LKW-Fahrer zusätzlich unter Druck geraten und energieintensive Branchen wie die Brauwirtschaft könnten vor Versorgungsengpässen und damit drohenden Produktionsausfällen stehen. Aktuell hat die Vetropack Holding AG, einer der führenden Hersteller von Glasverpackungen in Europa, bekannt gegeben, dass sie ihre Produktion in der Ukraine temporär aussetzt. Damit dürfte sich auch die angespannte Situation am Markt für Glasflaschen weiter verschärfen.
Kleppien betont allerdings, dass die rein wirtschaftliche Betrachtung dieser Zeitenwende, die wir gerade erleben und die wohl niemanden in den freiheitlichen Ländern der Welt unberührt lässt, nicht ansatzweise gerecht werde. „Während wir in unserer Branche über wegfallendes Geschäft diskutieren, wird mitten in Europa ein blutiger Krieg um nichts weniger als um Freiheit und Demokratie ausgefochten, bei dem Menschen sterben, auf beiden Seiten. Das sollten wir trotz aller berechtigten wirtschaftlichen Interessen nie vergessen“, so die Radeberger-Sprecherin.