Energie, Löhne, Logistik – die Kostenspirale dreht sich weiter. Selbst drei Jahre nach dem Krisenjahr 2022 ist die deutsche Brauwirtschaft weit entfernt von Entlastung. Statt sinkender Preise erleben viele Betriebe ein neues Kostenniveau, das sich verfestigt hat. Immer mehr Brauereien geraten in wirtschaftliche Schieflage, einige müssen aufgeben – zuletzt die Hofer Traditionsmarke Scherdel, deren Muttergesellschaft Kulmbacher Brauerei den Standort Ende 2026 schließen wird (wir berichteten). Begründung: gestiegene Kosten, rückläufiger Absatz, veränderte Konsumgewohnheiten.
„Die entscheidenden Kostenarten liegen inzwischen dauerhaft über dem Vorkrisen-Niveau“, sagt Ulrich Biene, Sprecher der Brauerei Veltins. Zwar hätten sich einzelne Spitzenwerte etwa bei Paletten „etwas entspannt“, doch insgesamt bleibe die Belastung hoch. „Die Energiekosten sind zum Kostentreiber geworden, der sich heute und in Zukunft nicht mehr wegdiskutieren lässt.“ Auch die jüngsten Tarifrunden hätten die Personalkosten „vehement nach oben getrieben“. 2023 sei die Mehrbelastung in den unteren Lohngruppen bei den NRW-Brauereien um bis zu 14 Prozent gestiegen.
Margendruck trotz Preisanpassungen
Laut einer aktuellen Marktanalyse von Roland Berger sind steigende Herstellkosten mittlerweile das zentrale Risiko der Branche. Die Unternehmensberatung beziffert Rohstoffe, Verpackungen und Personal als wichtigste Preistreiber – mit jährlichen Steigerungsraten von bis zu sechs Prozent. Zwischen 2020 und 2024 seien die Produktionskosten in der Bierherstellung deutlich schneller gestiegen als die Abgabepreise: Die Differenz zwischen Kosten und Verkaufspreis liege bei rund zwölf Prozentpunkten. Die Folge: sinkende Margen.
Zugleich ist der Bierkonsum in Deutschland seit Jahrzehnten rückläufig – um rund 35 Prozent seit 1993. Während der Absatz klassischer Biersorten wie Pils um fünf Prozent sank, legten alkoholfreie Biere und Biermischgetränke zwar deutlich zu, können den Rückgang aber nicht kompensieren. Roland Berger sieht die Brauwirtschaft deshalb „vor einem strukturellen Wandel“, der neben Kostendruck auch eine zunehmende Marktkonzentration mit sich bringe.
Hohe Kosten, schwache Nachfrage
Auch bei Krombacher ist die Belastung enorm. Peter Lemm, Sprecher der Krombacher Brauerei, spricht von einem „immensen Kostendruck“, der die Branche und seine Brauerei weiter prägt. Zwar seien Energiepreise „nicht mehr ganz so exorbitant aus dem Ruder gelaufen“, doch Faktoren wie Logistik oder Personalkosten blieben große Herausforderungen. Hinzu kämen regionale Belastungen wie die Sperrung der A45, die für Krombacher eine wichtige Distributionsroute ist. „Auch die konstant steigenden Lohn- und Personalkosten sind sicher eine besondere Herausforderung, insbesondere in diesen schwierigen Zeiten“, sagt Lemm.
Die Personalkosten gehören inzwischen zu den größten Posten in den Bilanzen der Brauereien. Birte Kleppien, Sprecherin der Radeberger Gruppe, betont: „Es ist kein Geheimnis – die deutschen Brauer leiden auch weiterhin unter deutlich erhöhten Kostenniveaus – sei es bei Rohstoffen, Verpackung oder Arbeitskosten, die über die unterschiedlichen Lieferketten gleich mehrfach zu Buche schlagen und sich insbesondere durch die hohen Tarifabschlüsse von rund sechs Prozent wie auch die über die nächsten zwei Jahre um rund 14 Prozent steigenden Mindestlöhne empfindlich weiter verteuern werden.“
Preisanpassungen als notwendiger Schritt
Um wirtschaftlich arbeiten zu können, kommen viele Brauereien um Preiserhöhungen nicht herum. Die Radeberger Gruppe hebt zum 1. Januar 2026 ihre Abgabepreise um durchschnittlich drei Prozent an. „So viel, wie unbedingt nötig, so wenig, wie irgendwie möglich“, beschreibt Kleppien den Ansatz. Auch Warsteiner hat zum 1. Februar 2026 höhere Preise angekündigt (wir berichteten).
Doch ob sich die höheren Preise im Handel überhaupt durchsetzen lassen, ist unklar. Sebastian Holtz, Geschäftsführer Vertrieb und Marketing der Bitburger Braugruppe: „Die Verbraucher sind nach wie vor sehr preissensibel. Die über Jahre gelernten wöchentlichen Niedrigpreis-Promotions bei den großen Biermarken tragen verständlicherweise nicht zur Bereitschaft bei, grundsätzlich mehr für Bier auszugeben.“
Die jahrelange Preisfixierung im Handel habe ein Marktumfeld geschaffen, in dem viele Konsumenten Bier nur noch als Aktionsprodukt wahrnähmen. „Der immer größer werdende Preisabstand zum Handel sorgt insbesondere in der Gastronomie für weitere Konsumzurückhaltung“, sagt Holtz.
Zwar habe Bitburger durch langfristige Einkaufsverträge mit seinen Lieferanten eine gewisse Planungssicherheit, dennoch sei die Lage „sehr angespannt und herausfordernd“. Absatzrückgänge wie zuletzt im August habe die Branche in dieser Form noch nicht gesehen.
Alkoholfrei wächst
Holtz sieht aber auch gesellschaftliche Veränderungen, die das Geschäft zusätzlich beeinflussen: „Natürlich müssen wir uns der anhaltenden Entwicklung vor allem bei jüngeren Konsumenten, weniger bis gar keinen Alkohol zu trinken, stellen.“ Der Trend zu alkoholfreien Varianten sei ungebrochen. „Wir sehen gerade bei unseren alkoholfreien Produkten portfolioweit weiter steigende Absätze“, sagt Holtz.
Der Rückgang beim klassischen Bierkonsum wird durch alkoholfreie Varianten und Biermischgetränke zwar teilweise abgefedert – vollständig kompensiert wird er laut der Roland-Berger-Analyse jedoch nicht. Holtz ergänzt: „Sollte die allgemeine Konsumlaune weiterhin so gedämpft bleiben, können wir kaum große Veränderungen beim Kauf- oder Ausgehverhalten erwarten. Aber der Wunsch der Menschen nach Gemeinschaft und Gemeinsamkeit wird auch künftig bestehen bleiben.“ Das sei für ihn „eine der wenigen Konstanten“, auf die die Branche bauen könne.
Lage in Gastronomie weiter angespannt
Wie angespannt die Lage ist, zeigt sich besonders in der Gastronomie. Holger Eichele, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer-Bunds, beschreibt sie als „besorgniserregend“. Viele Betriebe kämpften ums Überleben. „Die Branche ist weit davon entfernt, sich dem Niveau der Vor-Corona-Zeit wieder anzunähern“, sagt Eichele. Steigende Energiekosten, höhere Einkaufspreise und der gestiegene Mindestlohn setzten Wirte zusätzlich unter Druck.
„Durch den höheren Mindestlohn werden die Personalkosten weiter steigen – in einer Zeit, in der Gaststätten, Hotels und Kneipen ohnehin mit Umsatzeinbußen, hoher Inflation und anhaltender Konsumzurückhaltung zu kämpfen haben.“ Eine Entlastung könne nur eine dauerhafte Senkung der Mehrwertsteuer auf Speisen bringen. „Dieser Schritt wird entscheidend dazu beitragen, die Gastronomie in der Fläche zu stabilisieren. Davon werden auch Partnerbranchen wie die Brauwirtschaft profitieren.“
Eichele warnt, dass viele Brauereien auf stabile Gastronomie-Umsätze angewiesen seien – nicht nur aus wirtschaftlichen, sondern auch aus kulturellen Gründen: „Das Wirtshaus bleibt ein Ort sozialer Begegnung. Wenn diese Orte verschwinden, trifft das auch die Brauereien ins Mark.“
Kritik an Politik und Rahmenbedingungen
Der Verbandschef fordert deshalb klare Signale aus der Politik: „Die Bundesregierung muss dringend Planungssicherheit bei der Energieversorgung schaffen und für bezahlbaren Strom sorgen.“ Zudem müsse der „gigantische Bürokratie-Tsunami“ eingedämmt werden. „Handwerk, Mittelstand und Industrie ertrinken in Dokumentations- und Berichtspflichten.“
Auch Birte Kleppien spart nicht mit Kritik: „Die eingetrübte Konsumlaune im Land, eine Regierung, die es bisher offensichtlich nicht geschafft hat, den Menschen im Lande hinreichend Zuversicht zu vermitteln, um diese Konsumunlust in Konsummut zu drehen, ein in noch nicht gesehener Intensität betriebenes Alkohol-Bashing in Medien und Politik und nicht zuletzt eine Energiepolitik, die eigentlich nur als wirtschaftsfeindlich zu werten ist, treffen auf eine Branche, in der die Krisenjahre Reserven aufgezehrt haben.“ Sie erwartet, dass „die Zwickmühle zwischen sinkenden Absätzen und steigenden Kosten“ die Branche „in den nächsten Jahren ganz maßgeblich verändern wird“.
Fazit: ein Markt im Umbruch
Die deutsche Brauwirtschaft steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Die Roland-Berger-Analyse zeigt, dass steigende Produktionskosten bei gleichzeitig sinkendem Absatz das Geschäftsmodell vieler Betriebe infrage stellen. Während große Brauereigruppen versuchen, über Effizienzprogramme und Preisanpassungen gegenzuhalten, geraten kleinere Brauereien zunehmend unter Druck.
Die Konsolidierung hat bereits begonnen. Mit jeder Betriebsschließung verliert die Branche ein Stück Vielfalt – und mit ihr oft auch ein Stück regionaler Identität. „Auch wenn einige Betriebe schließen müssen“, sagt Eichele, „hat sich die deutsche Brauwirtschaft in den vergangenen Jahren als sehr resilient und krisenfest erwiesen.“ Doch der Markt sortiert sich neu – und die kommenden Jahre werden zeigen, welche Brauereien die Kraft haben, den Strukturwandel zu überstehen.



























































































