In der Europäischen Union wächst die Bereitschaft, den Alkoholkonsum stärker zu reglementieren. Das neue irische Gesetz für Warnhinweise auf den Etiketten könnte Vorbild für strengere Vorschriften in der EU werden. Einen strengeren Kurs wünscht sich auch der Drogenbeauftragte der Bundesregierung Burkhard Blienert.
Werbeverbote, Warnhinweise, Preiserhöhungen: In der Europäischen Union steigt die Bereitschaft zu Regulierungen des Alkoholverkaufs und -konsums – und das staaten- und parteiübergreifend. Zwar fanden gesundheitliche Warnhinweise im Zusammenhang mit dem EU-Krebsbekämpfungsplan Anfang 2022 im Europäischen Parlament keine Mehrheit (wir berichteten), in seiner Stellungnahme begrüßte das Parlament aber verschiedene rigidere Ziele ausdrücklich, wie etwa eine Strategie für den kompletten Alkoholverzicht von Minderjährigen oder neue Abgabe- und Werbebeschränkungen.
Ein Signal in dieselbe Richtung ist auch, dass die EU-Kommission die jüngste Verordnung Irlands nicht beanstandete, die Warnhinweise auf Etiketten alkoholischer Getränke ab Mai 2026 zur Pflicht macht. Die laut dem irischen Gesundheitsminister weltweit erste Gesundheitskennzeichnung auf Alkohol sieht Hinweise auf den Alkohol- und Kaloriengehalt sowie auf die Gefahren des Konsums in der Schwangerschaft vor; zudem muss auf Lebererkrankungen und einen direkten Zusammenhang zwischen Alkohol und tödlichen Krebserkrankungen hingewiesen werden.
Zustimmung dazu kommt vom Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Burkhard Blienert. „Jeder Mensch hat das Recht, vor dem Konsum eines Produktes über dessen Risiken und Gesundheitsschädigungen informiert zu werden. Zumal auch bei geringem Alkoholkonsum ein Krebsrisiko besteht“, betont Blienert auf Anfrage von Getränke News. An den irischen Warnhinweisen sei nichts auszusetzen, die EU habe das Vorgehen Irlands legitimiert.
Irische Warnhinweise sind „gefährlicher Präzedenzfall“
Genau dies wird von den betroffenen Wirtschaftsverbänden scharf kritisiert. Das Gesetz sei „nicht EU-binnenmarktkonform“, erklärt Ulrich Adam, Geschäftsführer von Spirits Europe, des europäischen Dachverbands der Spirituosenbranche. Es sei deshalb „hochgradig überraschend“, dass die EU-Kommission trotz des Einspruchs von 13 Mitgliedstaaten nichts dagegen unternommen habe. Der Vorgang schaffe „einen gefährlichen Präzedenzfall, mit dem sich die Kommission schlimmstenfalls der Möglichkeit beraubt, weitere nationale Alleingänge in diesem Bereich zu stoppen“, sagt Adam, der sogar die Gefahr sieht, dass in dieser Frage der Binnenmarkt zerfallen könnte.
„Würde künftig jedes Land eigene Vorschriften für Etiketten erlassen, wäre der gemeinsame EU-Binnenmarkt am Ende“, glaubt auch Holger Eichele, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer-Bunds (DBB), der die irische Vorschrift auch inhaltlich hart angeht. Insbesondere den Sinn der Krebswarnung zieht er in Zweifel. Der Zusammenhang zwischen Alkohol und Krebs sei „hoch komplex“ und könne auf diese Weise nicht angemessen erläutert werden. Zudem sei Alkohol nur einer von vielen Risikofaktoren für die „multikausale Krankheit“.
Verbände bemängeln fehlende wissenschaftliche Basis
Auch der Deutsche Weinbauverband (DWV) spricht sich für „eine klare Trennung von moderatem Konsum und schädlichem Alkoholmissbrauch“ und gegen einen unmittelbaren Bezug von Alkoholkonsum und Krebserkrankungen aus. DWV-Generalsekretär Christian Schwörer pocht dabei vor allem darauf, „dass alle Entscheidungen wissenschafts- und evidenzbasiert sein müssen“. An fehlenden Belegen stört sich auch Ulrich Adam von Spirits Europe. Beweise, die Irland der Europäischen Kommission zur Rechtfertigung seiner Maßnahmen vorgelegt hat, seien der Öffentlichkeit weiterhin nicht zugänglich, bemängelt er.
Faktisch ist das Gesetz jedoch beschlossen, kaum jemand hofft noch auf eine Umkehr. Die Regelung könnte allenfalls noch durch ein Urteil des europäischen Gerichtshofs (EuGH) gekippt werden, berichtet Dr. Tilman Reinhardt, Experte für Lebensmittelrecht an der Universität Bayreuth, in einem Fachbeitrag für das Branchenblatt „Brauwelt“. Die Chancen dafür sieht er aber als gering an. Bei Regelungen, die auf den Gesundheitsschutz zielten, habe der EuGH den Mitgliedstaaten häufig einen größeren Handlungsspielraum zugebilligt, so Reinhardt. Dies gelte vor allem, wenn es noch keine harmonisierende europäische Vorschrift gebe.
Gibt Irland Rückenwind für EU-Pläne?
Während der Streit um den Alleingang der Iren weitergeht, haben die Vorarbeiten der EU-Kommission für eben solch einen Vorschlag EU-einheitlicher Gesundheitshinweise begonnen. Branchenexperten fürchten, dass das irische Vorbild diesen Plänen sogar noch Rückenwind geben könnte. Sorge macht dabei eine „fortschreitende Verschärfung der Verbotsrhetorik auf Seiten bestimmter NGOs und gesundheitspolitischer Akteure“, wie sie Ulrich Adam von Spirits Europe seit einiger Zeit beobachtet. Der zunehmend aggressive Ton, in dem die Argumente vorgetragen würden, stünden „einer ernsthaften, sachlichen und zielführenden Diskussion im Weg“.
Starke Einflüsse kommen auch von der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Wie Lebensmittelrechtsexperte Tilman Reinhardt erläutert, geht sie davon aus, „dass es im Hinblick auf Krebsgefahr kein sicheres Level des Alkoholkonsums gibt“, und beruft sich dabei auf wissenschaftliche Studien. Dies beeinflusse auch die EU-Politik.
Drogenbeauftragter will Werbeverbote durchsetzen
Auch in Deutschland dürfte die Lage für die Branche in den nächsten Jahren eher schwieriger werden. Neben verstärkter Aufklärung hat die Bundesregierung bereits in ihrem Koalitionsvertrag strengere Regeln für Marketing und Sponsoring festgehalten. Eine entschieden härtere Gangart will nun der Drogenbeauftragte Burkhardt Blienert einschlagen, der Warnhinweise auf Etiketten ausdrücklich für nicht ausreichend oder zielführend hält, „da sie meist nur auf bestimmte Gruppen wie etwa Schwangere ausgerichtet sind“, wie er auf Anfrage von Getränke News hervorhebt.
Seine Bestandsaufnahme klingt düster: Angesichts des großen gesellschaftlichen Schadens, den Alkohol anrichte, sei es nicht angebracht, ihn zum „kulturellen Allgemeingut“ zu stilisieren. „Wir müssen von einem freien Wildwuchs sukzessive zu einem regulierten, kontrollierten Umgang mit Tabak und Alkohol kommen“, fordert Blienert. Dazu gehörten auch noch deutlichere Werbebeschränkungen.
Werbung erhöht langfristig die Suchtgefahr
Alkoholwerbung habe „erhebliche Auswirkungen darauf, wie viele Menschen mit diesen Angeboten ein Problem bekommen“, glaubt der SPD-Politiker. Je häufiger insbesondere Jugendliche mit Werbung konfrontiert würden, desto früher würden sie Alkohol trinken. Und je früher dieser Beginn, desto größer sei auch die Gefahr, „dass es einmal viel zu viel wird“.
Dabei sind Blienerts Vorstellungen, wie und in welchem Maße Werbung eingedämmt werden müsste, schon recht konkret: In einem ersten Schritt müsste Werbung überall dort unterbunden werden, wo sie in besonderem Maße für Kinder und Jugendliche sichtbar ist. „Wir brauchen konsequente Maßnahmen gegen Alkohol-Werbung: raus aus den Sozialen Medien, dem Internet, raus aus dem Fernsehen und dem Radio, am besten rund um die Uhr, aber zumindest zu den Hauptsendezeiten“, so Blienert wörtlich.
Auch gebe es keinen Grund, warum in Supermärkten, an Kiosken und in Tankstellen für Alkohol geworben werden dürfe, er sei schließlich „kein Produkt wie Lippenstift“, sondern könne die Gesundheit erheblich schädigen. „Inakzeptabel“ findet der Drogenbeauftragte auch Print- und Online-Anzeigen von Lebensmittelhändlern, die meist auch noch als „Lockangebote mit besonders billigen Preisen“ daherkämen.
Junge Generation pflegt sehr moderaten Alkoholkonsum
Gerade vor dem Hintergrund der aktuell stark rückläufigen Konsumentwicklung treffen derartige Pläne in der Alkoholwirtschaft auf wenig Verständnis. So weist Holger Eichele vom Deutschen Brauer-Bund nachdrücklich darauf hin, dass der Alkoholkonsum gerade von Kindern und Jugendlichen in Deutschland seit Jahren rückläufig ist und sogar einen „historisch niedrigen Stand“ erreicht hat. Zugleich steige der Anteil an jüngeren Menschen, die völlig abstinent lebten – „übrigens ohne eine Änderung jugendschutzrechtlicher Bestimmungen“, wie der DBB-Chef betont. Studien zeigten, dass die jungen Leute heute wesentlich bewusster und vernünftiger mit Alkohol umgingen als frühere Generationen.