Markenperle nach aufgeflauter Sonderkonjunktur auf Mengensuche
Noch vor dem Jahrzehntwechsel macht AB InBev das Dutzend voll: Mit Michel Pepa (30) trat der zwölfte Deutschlandchef seit der Übernahme der Brauerei vor 18 Jahren an. Sein Vorgänger Florian Weins (34) war gerade einmal neun Monate auf der Position (wir berichteten). Als die Familiengesellschafter 2001 Kasse machten und die renommierte Marke Beck’s in internationale Konzernhände legten, war Pepa erst 13 Jahre alt.
Keine andere Marke wurde seither so zum Spielball börsennotierter Konzerninteressen – im Hintergrund Investmentbanker Jorge Paulo Lemann, der sich mit der Keimzelle seines brasilianischen Ambev-Biermarktführers aufschwang, um erst die expansionshungrigen Interbrew-Eigentümer und schließlich sogar Amerikas Herzschlag-Bier Anheuser Busch zu vereinnahmen. Die Frage, die alle bewegt: Wo ist in diesem Konglomerat im neuen Jahrzehnt noch Platz für Beck’s? Von 3 Millionen Inlandshektolitern sind 2018 gerade mal 2,52 Millionen Hektoliter geblieben.
Mit dem Windjammer voran
Die Welt schien für die hanseatischen Bierbrauer 1999 noch in Ordnung. Beck & Co. verstand sich mit der internationalen Premium-Marke „Beck‘s“ als „führende deutsche Ausfuhrbrauerei“. In den Jahren zuvor hatte die Bremer Managementlegende und der spätere Wirtschaftssenator Josef Hattig immer wieder die Stärke seiner Marke beschworen. „Die Marke zieht die Brauerei – nicht umgekehrt“, wird Hattig, der den Beck’s-Pulsschlag geradezu fühlen konnte, immer wieder zitiert. Und tatsächlich sah sich das Bremer Traditionsunternehmen vor der Jahrtausendwende in einer glücklichen Marktposition. Während nach der Grenzöffnung längst die Konsolidierung des deutschen Biermarktes eingesetzt hatte, nutzte Beck’s das eigene Marktpotenzial, um weiter international zu punkten – der Botschafter deutschen Bieres sozusagen. Und das rund um den Globus. Mit einer eigenen Dependance in den USA nahm die traditionsreiche Brauerei sogar damals schon die Geschäfte selbst in die Hand und konnte dank der 100-prozentigen Beck & Co.-Tochter auch das kanadische Geschäft in den Mittelpunkt stellen.
Keine Frage, Beck‘s stand spätestens mit der Einführung des 1984 gelaunchten Key-Visuals „Marke von Welt“ in der Verbraucherwahrnehmung ganz vorn. Der grüne Windjammer der Alexander von Humboldt verkörperte das hanseatisch-maritime Markenimage – authentisch und glaubwürdig. Man kann sich leicht vorstellen, dass die traditionelle Hafennähe die Wurzeln für das prosperierende Exportgeschäft ausgemacht hatte. Kurz vor der Jahrtausendwende besitzt Beck‘s in Deutschland eine kerngesunde Marktposition und einen Inlandsausstoß von 1,71 Millionen Hektolitern – verkauft freilich vornehmlich im Norden der Republik. Im Süden Deutschlands hatte die Marke in jenen Jahren eher eine Exotenposition und die Sonderkonjunktur noch vor sich.
Jahrtausend-Start
Der Start ins neue Jahrtausend fiel erfreulich aus. Im Geschäftsjahr 2000 verbuchte Beck‘s einen Ausstoßzuwachs von 10 Prozent – 173.000 Hektoliter gingen im Fass in die Gastronomie, über 600.000 Hektoliter fanden in der Dose den Weg zum Kunden. So bilanzierte das Unternehmen einen Ausstoß von 1,89 Millionen Hektolitern. Es war die Zeit des Umbruchs für Deutschlands Brauwirtschaft. Viele Gesellschafter machten sich zu Beginn des Jahrtausends Gedanken über die Ausrichtung ihrer Unternehmen und es war unübersehbar, dass ausländische Braugruppen auf den deutschen Markt drängten. Bei einer brauwirtschaftlichen Tagung von Roland Berger im Frühjahr 2000 verteilten kaum Deutsch sprechende Manager aus der belgischen Interbrew-Zentrale unverhohlen Visitenkarten unter den anwesenden Brauern. Allesamt mit dem Hinweis, man möge sich doch mal melden.
Dieter Ammer, nach Josef Hattig Vorsitzender der Geschäftsführung von Beck & Co., sollte Rat schaffen und die zweifelnden Gesellschafter zur finalen Entscheidung bewegen. So war es im Jahr 2001 um die Eigenständigkeit der Traditionsbrauerei in der Hansestadt geschehen: 67 Gesellschafter verabschiedeten sich mit dem Verkauf aus ihrem langjährigen Engagement. Der Trennungsschmerz sollte nicht allzu groß sein, denn mit der Kaufsumme von 3,5 Milliarden D-Mark wurde der bis dahin höchste Kaufpreis für eine deutsche Brauerei gezahlt. Die Deutsche Presseagentur zitierte damals gar Brancheninsider, die beim Bekanntwerden „vom Ausverkauf des Tafelsilbers der deutschen Brauindustrie“ sprachen. Das Versprechen der belgischen Neueigner von Interbrew schien zunächst verlockend: Sie hatten in die Kriegskasse gegriffen, um endlich eine international veritable Marke für alle Länder in der Hand zu halten. Niemand hätte es zu diesem Zeitpunkt für möglich gehalten, dass der Wachstumshunger der belgischen Brauer 2004 auch der Verlockung einer Fusion mit der brasilianischen Ambev-Gruppe nicht widerstehen konnte.
Unternehmenskultur verändert
Es war der größte Einschnitt für Beck‘s, denn fortan sollte sich die Unternehmenskultur nachhaltig verändern. Viele Besucher der Hamburger Internorga erinnern sich noch daran, wie am Beck‘s-Stand der Bruch mit Traditionen und die gewünschte Verjüngung augenfällig aussehen sollte. Vertriebsmitarbeiter, die traditionell-konservativ das Haus mit feingebundener Krawatte vertraten, fühlten sich denkbar unwohl, als sie mit offenem Hemdkragen zum Schaulaufen in den Hamburger Messestand gebeten wurden. Es sollte der Beginn von zahlreichen Veränderungen sein.
Was die hanseatischen Brauer mit stoischer Ruhe und Marktbearbeitung als verlässliche Partner für den Getränkefachgroßhandel, aber auch für die Gastronomen im Land erreicht hatten und lange Zeit auszeichnete, wurde angesichts des Shareholder-Value-Prinzips immer mehr zurückgedrängt. Längst hatten die südamerikanischen Investmentbanker um Jorge Paulo Lemann im Hintergrund die Parole auf ungehemmte Ertragssteigerung ausgegeben. Bei Beck‘s wurde gespart, was das Zeug hielt. Gerüchte machten die Runde, wonach der Außendienst die Waschstraße für die gestellten Dienstwagen selbst bezahlen musste. Und wer zu Meetings in die belgische Zentrale von Leuven beordert wurde, durfte die Nacht in einem Doppelzimmer verbringen – freilich mit einem oft bis dahin unbekannten Kollegen. Sparzwang eben.
Beck’s Gold schießt durch die Decke
Tatsächlich sollte Hattigs Segelschiff der Marke lange Zeit eine denkbar stabile Imageposition einbringen, die auch auf die weiteren Sorten einzahlte. Im Jahr 2000 wurden bereits 150.000 Hektoliter alkoholfreies Bier in den Markt gegeben, 2002 zündete dann Beck‘s Gold. Keine andere Marke hat es seither je wieder geschafft, innerhalb von nur zwölf Monaten regelrecht durch die Decke zu schießen. Von 5.000 auf 310.000 Hektoliter wuchs das durch und durch gold wirkende Bier in der Klarglasflasche für alle unerwartet. 2005 wurden schon über 700.000 Hektoliter gebraut und für die gesamte Szene der Republik ausgeliefert.
Die Marke Beck‘s erlebte eine unvergleichliche Sonderkonjunktur, in deren Schatten die InBev-Renditejäger ihre Aktionäre zufriedenstellen konnten. Während der Konzern weiter wuchs, lief das Deutschlandgeschäft über viele Jahre erfreulich, wenngleich das traditionelle Fassbiergeschäft für die Marke Beck‘s immer mehr an Bedeutung einbüßte. Stattdessen wurde der Szene-Außendienst in die Trendobjekte von Berlin, Hamburg, Köln oder München geschickt, um die Kühlschränke mit grünem oder goldenem Beck‘s zu füllen. Erfolg im Glanz der Marke. So ganz nebenbei wurde das Beiboot Beck‘s Green Lemon zu Wasser gelassen, das 2006 schon 430.000 Hektoliter zum Ergebnis des Deutschlandgeschäftes beitrug.
Während die Branche immer noch mit Respekt auf die Markenentwicklung von Beck‘s schaute, hatte die veränderte Unternehmenskultur längst für alle sichtbar durchgeschlagen. Spätestens jetzt wurde klar, dass Brautradition und Biergeschäft nur noch Mittel zum Zweck der Marktkapitalisierung des Börsenriesen waren und längst der Brasilien-Schweizer Jorge Paulo Lemann und seine Mitstreiter mit dem Private-Equity-Fonds 3G die Fäden im Hintergrund zogen. Die Bierseligkeit hanseatischer Brauertradition war allenfalls noch in den Erzählungen der Getränkefachgroßhändler von längst vergangenen Zeiten zu hören.
Zwanghafte Markenverjüngung
Zugleich erlebte die Marke Beck’s eine zwanghafte Markenverjüngung, die auch etwas über die Akteure im Hintergrund aussagte. Mit immer neuen Gesichtern an der Spitze der Bremer Brauerei wurden diese augenscheinlich jünger, aber eben nicht markterfahrener. Mit der 2008 erfolgten Übernahme des amerikanischen Marktführers Anheuser-Busch und der Umfirmierung zu AB InBev geriet das Deutschlandgeschäft aufgrund des wettbewerbsintensiven Marktes und der vergleichsweise niedrigen Rendite immer mehr ins Hintertreffen. Zwischenzeitlich wurde kolportiert, dass gar die Bremer Beck’s-Brauerei ebenso zur Disposition gestellt werden könnte wie die übrigen deutschen Standorte, um die Anheuser-Busch-Übernahme zu finanzieren. Nahezu im Jahresrhythmus wechselten die Deutschland-Geschäftsführer und das Unternehmen zog sich mit Aussagen über die eigenen Produkte hinaus immer weiter zurück. Viel Bewegung auch auf der Produktseite: Die Biermixe Chilled Orange, Level 7 und Ice sollten das Portfolio der Biermischgetränke bis zum Jahr 2010 deutlich ausweiten.
Letztes Jahrzehnt
2010 wurde der Einstieg ins neue Jahrzehnt mit einem respektablen Ausstoßvolumen von 2,57 Millionen Hektolitern beendet – 1 Million Hektoliter davon wurde allein durch die Biermix-Range und das alkoholfreie Bier erreicht. Und weil Trends immer nur eine Zeitlang funktionieren, sollte 2015 schon der Bergab-Kurs von Beck‘s Gold mit der Halbierung des einstigen Spitzenabsatzes auf dann 355.000 Hektoliter unverkennbar sein. Um Duftmarken im immer spezialisierteren Biermarkt zu setzen, wurden zwischenzeitlich Craftbier-Editionen gelauncht. Der Mengenerfolg war allerdings stets überschaubar.
Das zurückliegende Jahrzehnt sollte schließlich das Auslaufen der Sonderkonjunktur der Marke Beck‘s unwiederbringlich einläuten. Das weltmännische Flair, das die Marke über viele Jahre begehrlich gemacht hatte, wurde immer mehr vom Landlust-Trend konterkariert. Auf den Balkonen von Berlin-Friedrichshain findet man seit ein paar Jahren die grünen Beck’s-Kästen kaum noch, stattdessen stehen dort Marken vom Schlage Augustiner, Bayreuther Hell oder Tegernseer. Und schließlich war 2019 auch noch das zu beobachten, was AB InBev bereits bei den Konzerngeschwistern von Hasseröder, Franziskaner und Diebels tatenlos geschehen ließ: Der Handel setzte die Aktionspreise für Beck‘s zuweilen unter die 10-Euro-Schwelle. Der Konzern hatte offensichtlich frühzeitig die Marschroute zu deutlichem Mengenzuwachs ausgegeben.
Deutschlandgeschäft
Zum Deutschlandgeschäft von AB InBev zählen heute die Standorte Bremen (Beck’s, Haake Beck), München (Franziskaner, Löwenbräu), Wernigerode (Hasseröder) und Issum (Diebels). Für die Brauereien Diebels und Hasseröder wurde 2018 ein Bieterverfahren eröffnet, das im Frühjahr 2019 ergebnislos endete – die Standorte erwiesen sich als unverkäuflich. Von 2004 bis 2007 wurde auch die Stuttgarter Brauerei Dinkelacker-Schwabenbräu zunächst von Interbrew gekauft, unter der Inbev-Führung aber wieder an frühere Familiengesellschafter veräußert. In diesem Zeitraum wurde auch die Mauritius-Brauerei in Zwickau als Ostkauf von Dinkelacker wieder in die Eigenständigkeit entlassen.
Werbung
Bereits 1955 setzten die Bremer auf den Slogan „Beck’s Bier löscht Männerdurst“ – das Wirtschaftswunder konnte kommen. Ein maskuliner Auftritt passte zum Bräu aus dem hohen Norden. Tatsächlich ging schon 1958 ein erster TV-Spot über die erst wenigen flimmernden Bildschirme. 1984 gelang es endlich, ein markendifferenzierendes Key-Visual zu verankern – fortan sollte die Alexander von Humboldt mit grünen Segeln ein unverwechselbares Erkennungszeichen werden. Der TV-Spot und die Melodie „Sail away“ wurden zum deutschen Bierklassiker. Das Segelschiff wurde angesichts der Markenverjüngung von Beck’s immer weiter zurückgedrängt – bis es ganz verschwand. Seither bestimmen austauschbare Motive mit Lagerfeuerromantik und klischeehafter Urbanität das Markenbild.
Status
Nach dem 1,78-Milliarden-Euro-Deal von 2001 hat die so traditionsreiche Brauerei Beck & Co. unter der Ägide von Interbrew, InBev und nun AB InBev in der Wahrnehmung der Branchenteilnehmer in Handel und Gastronomie deutlich an Aura eingebüßt. Seit langem haben sich anfängliche Sorgen über die Marktkraft des internationalen Giganten in Wohlgefallen aufgelöst. Der deutsche Biermarkt gestaltet sich eben widerstandsfähiger, als es sich börsennotierte Unternehmen auf dem Weg zu marktbeherrschender Größe ausgerechnet hatten.
Beck’s ist freilich eine Premium-Perle im deutschen Biermarkt geblieben, während das AB InBev-Management einer dauerhaften Operation am offenen Herzen gleicht. Der Patient zuckt zwar widerstandsfähig, die meisten mehr oder weniger geschickten Operateure sind allerdings längst über alle Berge – entweder aus eigenem Antrieb geflüchtet oder kurzerhand in ihrer Deutschland-Mission beschnitten. Die Marke Beck’s stand in den 1990er-Jahren wie keine zweite für weltmännisches Flair und erlebte eine beachtliche Sonderkonjunktur, die für hohe Markenkraft und eine erfrischend junge Positionierung stand.
Inzwischen ist die Sonderkonjunktur sichtbar abgeebbt. In der studentischen Szene von Berlin-Friedrichshain wurde Beck’s erst gegen Craftbier und jetzt gegen Augustiner Hell ausgetauscht. So mancher Branchenbeobachter hält es keineswegs mehr für ausgeschlossen, dass das Schicksal von Beck’s und des gesamten Deutschlandgeschäftes irgendwann noch einmal in andere Hände wandern könnte.
Zahlen & Fakten
Ausstoß 2018: 2,52 Millionen Hektoliter* (ohne Exportmärkte)
Fassbieranteil: 4 %*
Marktanteil Pils im Handel: 4,5%**
*geschätzt
**AC Nielsen
Über die Serie
In unserer Serie „Bier-Marken-Analyse 2020“ betrachten wir monatlich eine der Top-Biermarken in Deutschland. Teil 6 „Veltins“ erscheint Ende November.